Hamburg. Neue Sicherheitsvorschriften verunsichern Betreibervereine, doch nicht überall wird schwarzgesehen.
Hier also lebten damals die Elblotsen, wenn ihr robuster Schoner draußen in der Nordsee kreuzte. Der große, schwingbare Holztisch in der Mitte des Salons ist mit Kontergewichten versehen, sodass er sich bei Schräglage sanft ausrichten kann. Rundherum sind wie in einer Art Regal die Kojen der Crew angeordnet: schmale Boxen, übereinander und nebeneinander, die sich mit einem Vorhang verschließen lassen.
In einer Ecke steht ein gusseiserner Ofen. Es knarrt, wenn man auf dem hölzernen Boden geht. Viel verändert hat sich hier in den letzten 130 Jahren nicht, seit die „No. 5 Elbe“ bei der Hamburger Stülckenwerft vom Stapel gelaufen ist. „Jetzt müssen Sie sich noch Wellengang und Schneeregen im November vorstellen – das war schon hart damals“, sagt Gerhard Jürgens, der selbst ein wenig aussieht wie ein Lotse des 19. Jahrhunderts.
Eine tiefe Stimme und die mächtigen Hände lassen ahnen, dass er zupacken kann, wenn es darauf ankommt, wenn die kalte Gischt über die Bordwand weht und man ungeschützt draußen an Deck die Segel bedienen muss. Aber der 73-Jährige ist nicht Lotse, sondern Hausarzt in Rente und seit einigen Jahren Vorsitzender des Betreibervereins für den schneeweißen Lotsenschoner, der noch im Hamburger Binnenhafen im Winterquartier liegt.
Ein sogenanntes Traditionsschiff, nach wechselvoller Geschichte 2002 aus den USA nach Hamburg zurückgekommen, restauriert und Teil der Flotte der Stiftung Hamburg Maritim. Rund drei Dutzend solcher Windjammer, Dampfschiffe, Kutter oder historischer Barkassen haben Hamburg als Heimathafen, die meisten gehören zu der Stiftung oder zum Verein Museumshafen Oevelgönne. Und noch einmal gut 100 solcher Traditionsschiffe und dazugehörige Vereine gibt es in Norddeutschland.
Ehrenamtliche Crews
Wie auf dem Hamburger Lotsenschoner sind die meist ehrenamtlichen Crews derzeit dabei, ihre Schiffe auf die neue Saison vorzubereiten. Unter Deck auf dem Schoner stehen daher jetzt Farbdosen statt Kaffeebecher auf dem Tisch, Werkzeug lagert in den Kojen, Schläuche, Pinsel, Tampen. Es tropft durch ein Oberlicht, das noch repariert werden muss. Ab Mai soll der Schoner wie die meisten Traditionsschiffe wieder zu Gästefahrten ablegen. „Nur so können wir uns finanzieren und das Schiff unterhalten“, sagt Jürgens.
Doch genau diese Passagierfahrten sind derzeit ein Problem der Szene. Seit Monaten wird heftig über eine neue Sicherheitsvorschrift des Verkehrsministeriums für die deutschen Traditionsschiffe gestritten. Im Prinzip sollen sie an die Standards der normalen Passagierfahrt angepasst werden.
Ende der deutschen Traditionsschifffahrt?
Teure Umbauten sind nötig, fürchtet man. Und auf die Crews könnten die gleichen medizinischen Checks zukommen, wie sie für Berufsseeleute gelten. Mancher beschwört gar das Ende der deutschen Traditionsschifffahrt herauf, wenn die Regelung gültig wird. Zuletzt hatte der Bundesrat auf Drängen der norddeutschen Länder eine Überarbeitung gefordert. Aktuell liegt der Entwurf zur Entscheidung aber bei der EU-Kommission, die voraussichtlich im Mai entscheiden wird. Die Kommission könnte die Vorschriften abmildern – oder verschärfen.
Ohne Gästefahrten geht es nicht
Doch ohne Gästefahrten geht es nicht, sagt Jürgens, der vor seinem Medizinstudium Offizier bei der Marine war und über das Hochseesegeln zur Traditionsschifffahrt gekommen ist. Rund 300 Mitglieder hat der Verein, etwa 120 davon sind Aktive, die reparieren, restaurieren und das Schiff segeln. Fast 100.000 Euro im Jahr muss der Verein mit seinen Fahrten einnehmen, um den Schoner am Leben zu erhalten.
In der Regel sind das Tagesfahrten auf der Elbe, Törns zur Kieler Woche oder auch mal nach Bremerhaven, wie in diesem Jahr geplant. Wer mitsegelt, steht auf legendären Planken, 1883 lief der Schoner bei der Stülckenwerft auf Steinwerder vom Stapel. Gebaut im Auftrag Hamburgs, um den Lotsendienst in der schwierigen Elbmündung zu gewährleisten. Diese Schoner galten und gelten als äußerst seetüchtig, schnell und sicher. Als er nach dem Ersten Weltkrieg von Dampfschiffen abgelöst wurde, kaufte ihn nach verschiedenen Besitzern ein amerikanischer Buchautor, der samt Familie ausgedehnte Ozeanfahrten unternahm und darüber berichtete.
Und nun soll alles aus sein, nur weil der Bund unsinnige, wie viele meinen, Sicherheitsvorschriften verlangt? Gibt es bald keine Traditionsschiffe mehr, die den Hafengeburtstag begleiten? „Nein“, sagt Jürgens, unsinnig sind die Vorschriften ja nicht, „schließlich fahren wir mit Passagieren, da muss die Sicherheit geregelt sein.“ Und viel konnte auch schon abgemildert werden, zusätzliche Trennwände etwa, also Schotten, müsse man in den Schoner nicht mehr einbauen, wie in ersten Entwürfen noch gefordert war.
Auch Stahltreppen für einen besseren Brandschutz müssen nicht mehr eingebaut werden „Wir stehen ja auch unter Denkmalschutz, fast alles hier ist original“, sagt Jürgens. Wie bei den meisten anderen Hamburger Traditionsschiffen, die eben auch so etwas wie Museumsschiffe sind. Und dafür sieht die neue Vorschrift jetzt Ausnahmen vor. Große Probleme dürften aber Schiffe bekommen, die eher Repliken sind und nun wohl vor großen Umbauten stehen könnten.
„Viele von uns sind Rentner“
Sorgen macht dem Vorsitzenden die Regelung mit den offiziellen Seediensttauglichkeitszeugnissen, die nun auch für Traditionsschiffe gefordert sind. „Schauen Sie sich doch um“, sagt er und zeigt auf die Männer, die hier jetzt werkeln: die sogenannte „Wintercrew“, die jeden Dienstag ihren Einsatz hat. „Viele von uns sind Rentner, man kann uns doch nicht mit jungen Seeleuten vergleichen, die wochenlang unterwegs sind“, sagt Jürgens. Klar müsse man fit sein, wenn man mit Gästen fährt. Aber eine Tagesfahrt sei etwas anderes als ein wochenlanger Törn über die Ozeane. „Wir sind nun alles gespannt, was passieren wird, sagt Jürgens.