Bahrenfeld. Mit der 16-Millionen-Euro-Anlage sollen die Forscher aus Oxford und Wien in Bahrenfeld Infektionskrankheiten wie Malaria entschlüsseln.
Sie wollen die Angriffsmechanismen von Viren, Bakterien und Parasiten durchschauen, um bessere Medikamente zu ermöglichen: Am neuen Zentrum für strukturelle Systembiologie (CSSB) in Bahrenfeld werden Biologen, Chemiker, Mediziner und Physiker Hand in Hand arbeiten. Die Ziele sind ehrgeizig gesteckt: Nach der Eröffnung im Juni werde die Einrichtung „Pionierarbeit zum Verständnis von Infektionskrankheiten leisten“, sagt Direktor Matthias Wilmanns.
An den Mitteln dürfte es nicht scheitern: Wie die Wissenschaftsbehörde mitteilte, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dem CSSB eine Ko-Finanzierung von 7,8 Millionen Euro für eine Anlage mit fünf Supermikroskopen bewilligt. Normalerweise liegt die Höchstfördersumme der DFG für Großgeräte bei fünf Millionen Euro. Die Stadt Hamburg wird noch einmal 7,8 Millionen Euro dazugeben. „Spitzenforschung ist auf Spitzentechnik angewiesen – das ist ein schöner Erfolg“, sagte der Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen, dessen Hochschule die federführende Antragstellerin war.
Moleküle bleiben in ihrer natürlichen Form erhalten
Von dem Geld angeschafft werden fünf Kryo-Elektronenmikroskope der jüngsten Generation. Bei dieser Form der Mikroskopie werden biologische Strukturen sehr schnell eingefroren und dann elektronenmikroskopisch untersucht. „Dadurch bleibt die Molekülstruktur bis zum atomaren Bereich in ihrer natürlichen Form erhalten und kann somit strukturell unverändert studiert werden“, erläutert Antragsteller Kay Grünewald vom Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Uni Hamburg und dem Heinrich-Pette-Institut. Grünewald wechselt von der Universität Oxford nach Hamburg.
Eine führende Rolle CSSB soll auch Co-Antragsteller Thomas Marlovits übernehmen, Leiter des Instituts für Struktur- und Systembiologie im Uniklinikum Eppendorf. Er ist aus Wien nach Hamburg gewechselt.
Campus in Bahrenfeld hat „internationale Strahlkraft“
Mit der Rekrutierung der beiden Forscher und ihrer Arbeitsgruppen verfüge Hamburg nun über herausragende Expertise in der Kryo-Elektronenmikroskopie, sagte Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). Das sei ein weiterer wichtiger Baustein für den Ausbau des Forschungscampus in Bahrenfeld. Vor Kurzem hatte der Wissenschaftsrat den neuen Einrichtungen dort wie dem Zentrum für Freie-Elektronen-Laser (CFEL) und dem etablierten Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) „internationale Strahlkraft“ bescheinigt.
Forschung mit Kryo-Elektronenmikroskopen findet zwar etwa auch in Heidelberg und Berlin statt. Allerdings werden die Hamburger Infektionsforscher für ihre Einblicke in kleinste Strukturen zusätzlich die brillante Röntgenlichtquelle PETRA III und den weltbesten Röntgenlaser European XFEL nutzen können, der im September seinen Betrieb aufnimmt.
Zum Erfolg des CSSB beitragen soll auch Rainer Kaufmann, der eine spezielle Form der Kryo-Mikroskopie entwickelt. Er wechselt ebenfalls aus Oxford an die Uni Hamburg und erhält ein Freigeist-Stipendium der Volkswagen-Stiftung, das mit mehr als einer Million Euro dotiert ist.
Forscher untersuchen Malaria-Erreger und Herpesviren
An den Untersuchungen am CSSB werden zehn norddeutsche Forschungseinrichtungen beteiligt sein. Eine typische Fragestellung der Wissenschaftler ist etwa, wie der Malariaparasit in die roten Blutkörperchen eindringt. CSSB-Forscher untersuchen, welche der 5200 Proteine des gefährlichen Erregers unmittelbar an dem Vorgang beteiligt sind, um so neue Ansatzpunkte für die Behandlung der Malaria zu finden.
Der mit seiner Arbeitsgruppe aus Oxford ans CSSB wechselnde Wissenschaftler Kay Grünewald beschäftigt sich unter anderem mit Herpesviren, die nicht nur die bekannten Lippenbläschen, sondern auch Gürtelrose verursachen und Fehlbildungen bei Neugeborenen führen können. Durch seine Forschung konnte Grünewald feststellen, welchen Trick der Erreger anwendet, um die Zellmembran einer Wirtszelle zu durchdringen.
Neuartige Detektoren verbessern die Technik
Die nun von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mitfinanzierte neue Anlage mit fünf Kryo-Elektronenmikroskopen bildet ein Schlüsselelement der Forschung am CSSB. Auch Kay Grünewald setzt darauf große Hoffnungen. Derzeit erlebe die Methode durch die Einführung neuartiger Detektoren eine kleine Revolution, sagt er.
Wie genau unterscheidet sich die Methode von herkömmlichen Elektronenmikroskopen und Licht- bzw. Fluoreszenzmikroskopen? Die besten Fluoreszenzmikroskope, sogenannte STED- oder PALM/STORM-Mikroskope, erreichen Auflösungen von wenigen Nanometern, also Millionstel Millimetern. Das ist fast scharf genug, um dicht benachbarte Moleküle in lebenden Zellen getrennt voneinander sichtbar zu machen. Zu verdanken sind diese enormen Fortschritte dem deutschen Nobelpreisträger Stefan Hell und seinen ebenfalls ausgezeichneten US-Kollegen Eric Betzig und William Moerner.
Chemische Fixierung kann Schäden verursachen
Bei der Fluoreszenzmikroskopie werden Details in Proben mit einem fluoreszenten Stoff versehen. Wird dieser durch Licht bestimmter Wellenlängen angeregt, gibt er Licht mit veränderter Wellenlänge ab. Daraus ergibt sich auch der Nachteil dieser Methode: Es lassen sich nur Strukturen der Probe sichtbar machen, in die ein fluoreszenter Stoffe eingebracht wurde. Zudem kann die chemische Fixierung winzige Schäden verursachen, wie Kay Grünewald erläutert.
Elektronenmikroskope liefern noch schärfere Bilder. Sie nutzen statt Licht einen Elektronenstrahl. Die modernsten dieser Geräte machen bis zu 0,1 Nanometer kleine Strukturen sichtbar. Allerdings müssen die Proben trocken sein. Dazu wird die natürliche wässrige Umgebung der Zellen gegen sogenannte Einbettharze ausgetauscht. Sodann wird die Probe – fein geschnitten – in einem Vakuum fixiert.
Atomgenaue Bilder von Molekülen
Im Gegensatz dazu bleiben biologische Proben bei der Kryo-Elektronenmikroskopie durch sehr schnelles Einfrieren in ihrem natürlichen Zustand erhalten. Von den Strukturen – Proteinen, Lipiden, Nukleinsäuren – ließen sich dann atomgenaue Bilder aufnehmen, wie Grünewald erläutert. Untersucht würden „Schnappschüsse“ zu verschiedenen Zeiten eines Prozesses. Diese Zeitpunkte seien nicht zufällig ausgewählt, sondern ließen sich vorab in lebenden Proben festlegen, um sie dann mit detaillierten Bildern in einer Auflösung im Nanometerbereich zu erweitern.
Derart scharfe Bilder von Zellstrukturen sollen auch die Röntgenlichtquelle PETRA III und der European XFEL liefern – beides Instrumente, die Wissenschaftler des CSSB neben der Kryo-Elektronenmikroskope nutzen können. „Keine dieser Techniken ist der Königsweg“, sagt Kay Grünewald. „Das ist ja gerade das Spannende auf dem Campus in Bahrenfeld: Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie steht dort nun eine weitere vielversprechende Technik zur Verfügung.“