Hamburg. Der ehemalige Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Werner Marnette, glaubt, dass die Bank abgewickelt wird.
2009 trat Werner Marnette (CDU) als Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein zurück – wegen des Umgangs mit der HSH Nordbank. Doch das Thema lässt den 71-Jährigen nicht los. Beim Interview in seinem Büro in einem alten Getreidesilo im Harburger Binnenhafen ist der Tisch voller Akten und Zeitungsausschnitte.
Herr Marnette, Hand aufs Herz: Wann haben Sie sich zuletzt einen Tag lang keine Gedanken um die HSH Nordbank gemacht?
Werner Marnette: Ich kann mich nicht daran erinnern. Das Thema verfolgt mich seit der Gründungsphase dieser Bank. Ich saß ja im Aufsichtsrat des Vorgängerinstituts, der Hamburgischen Landesbank, und kann mich erinnern, wie seinerzeit der neue Finanzsenator Wolfgang Peiner dort Ende 2001 sich dafür starkmachte, diese zu einer internationalen Geschäftsbank mit hohen Rendite-Erwartungen auszubauen. Dann habe ich das vorhersehbare Drama 2008/2009 als Minister in Kiel aus nächster Nähe erlebt und bin deswegen zurückgetreten. Das alles kriege ich nicht so einfach aus der Wäsche geschüttelt.
Sie schreiben an einem Buch über die HSH-Geschichte. Wann soll es erscheinen, und gehen wir recht in der Annahme, dass es kein Happy End haben wird?
Marnette: Es sollte schon vor mehr als einem Jahr fertig sein, aber es kommt ja immer etwas Neues und noch Negativeres hinzu. Die tatsächlichen Ergebniszahlen der Bank werden immer desaströser.
Die HSH hat für 2016 einen Gewinn vermeldet, mehrere Investoren haben vor Ablauf der Frist am vergangenen Freitag ein Angebot abgegeben – die Lage könnte schlechter sein.
Marnette: Ich halte die Zahlen der HSH Nordbank für falsch. Statt des vermeldeten Plus von 121 Millionen Euro für 2016 hat sie einen betriebswirtschaftlichen Verlust von 1,4 Milliarden Euro gemacht. Das wird nur durch die Zehn-Milliarden-Euro-Garantie der Länder verschleiert, weil sie die hohe Risikovorsorge kompensiert. So geht das seit Jahren: Seit 2011 hat die HSH sechs Milliarden Euro Verlust gemacht. Sie ist am Ende und hätte schon 2015 abgewickelt werden müssen, das sagt ja selbst die schleswig-holsteinische Finanzministerin. Ein Unternehmen der Privatwirtschaft wäre längst wegen Konkursverschleppung verklagt worden.
Dennoch gibt es Interessenten.
Marnette: Ich bitte Sie. Ich habe mir in meiner Laufbahn so viele Übernahmeobjekte angeschaut – natürlich haben wir geboten, aber worum ging es dabei?
Zugang zum Datenraum?
Marnette: Genau. Man möchte Informationen über dieses Unternehmen bekommen, also bietet man.
Sie gehen also davon aus, dass der Verkauf platzen wird?
Marnette: Natürlich. Die Bank hat ja einen negativen Wert und trägt Risiken in zweistelliger Milliardenhöhe. Wer kauft so eine Bank? Außer dass er noch andere strategische Absichten hat.
Sie fordern ja seit Langem die geordnete Abwicklung der Bank. Wäre ein Scheitern des Verkaufs folglich nicht die bessere Lösung für Hamburg und Schleswig-Holstein – denn dann würde auf Geheiß der EU ja genau diese Abwicklung erfolgen müssen.
Marnette: Ja. Aber das hätte man viel früher machen müssen, und dies hat die Belastungen für die Bürger unnötig erhöht. Man hätte die Kern- und Abbaubank sauber trennen und die Abbaubank abwickeln müssen. So war es 2009 auch beschlossen worden. Aber man hat es verantwortungslos schludern lassen. Eine Bad Bank dieser Größenordnung innerhalb einer gesunden Bank, das kann nicht funktionieren.
Warum ist das gemacht worden?
Marnette: Meine Behauptung: um die wahre Situation der Bank, also die tatsächlichen Risiken, zum Beispiel in der Schiffsfinanzierung, zu vertuschen. Es klingt hart, aber man könnte dies auch Bilanzfälschung nennen.
Mit welchem Schaden rechnen Sie am Ende für beide Bundesländer?
Marnette: Ich komme auf ähnliche Größenordnungen wie andere Experten. Das wird eine mittlere zweistellige Milliardensumme von über 20 Milliarden für beide Länder zusammen. Außerdem ist die HSH Nordbank im Haftungsverbund der Sparkassen – für die wird das ein Riesenproblem. Am Ende wird es wie bei der HRE oder der West LB nicht ohne die Hilfe des Bundes gehen. Ich weiß, dass im Hintergrund diese Horrorszenarien doch schon durchgespielt werden. Der Bürger, der alles zu zahlen hat , wird also wieder einmal getäuscht, indem ihm erfolgreiche Verkaufsabsichten vorgegaukelt werden.
Müsste man die politisch Verantwortlichen für dieses Desaster nicht zur Rechenschaft ziehen?
Marnette: Natürlich. Das habe ich immer wieder verlangt. Nehmen wir den Prozess wegen des Omega-Deals. Da sind fünf HSH-Vorstände angeklagt, es werden etliche Zeugen aus unterschiedlichsten Bereichen der Bank gehört, aber die verantwortlichen Aufsichtsratsmitglieder, vor allem der Aufsichtsratsvorsitzende Peiner, nicht. Das ist doch ein unerhörter Vorgang.
Ist dieser Prozess nicht nur ein geniales Ablenkungsmanöver gewesen? Man knetet ein Jahr lang einen – zugegebenermaßen gravierenden – Randaspekt durch, aber die eigentlichen Gründe für die Schieflage der Bank hinterfragt man nicht?
Marnette: So ist es. Aber das ist eine bittere Wahrheit über unser Rechtssystem.
Wer sind denn aus Ihrer Sicht die Verantwortlichen für das HSH-Desaster?
Marnette: Ganz oben steht Wolfgang Peiner. Nicht nur weil er als Finanzsenator und späterer Aufsichtsratsvorsitzender de facto viel Verantwortung trug, sondern weil er als Wirtschaftsprüfer und früherer Vorstandschef einer Versicherung ein Fachmann ist und die treibende Kraft hinter der HSH-Gründung und -Entwicklung war. Der hätte die Probleme schon in der Frühphase erkennen und gegensteuern müssen.
Wer kommt dann? Welche Verantwortung hatten Ole von Beust, Michael Freytag, Peter Harry Carstensen, Rainer Wiegard, Heide Simonis, Ralf Stegner?
Marnette: Alle sind verantwortlich, insbesondere die beiden Regierungschefs. Sie wussten mehr, als sie bereit waren zuzugeben. So habe ich auch von Beust und Carstensen im Februar 2009 gewarnt: Das Rettungspaket von Peiner und Nonnenmacher ist völlig ungeeignet. Dieses Konzept (Marnette hält die Entscheidungsunterlage der Landesregierungen hoch) war die Grundlage für das heutige Desaster, und es war vorsätzliche Täuschung. Man hat die Parlamente und die Öffentlichkeit über die wahre Lage der Bank getäuscht. Die Bank hätte damals gemeinsam mit dem Bund gerettet oder direkt abgewickelt werden müssen. Das müssen wir heute ausbaden.
2009 sagten Sie im Abendblatt-Interview: „Die Zehn-Milliarden-Garantie der Länder wird bestimmt in Anspruch genommen werden.“ In diesem Punkt haben Sie recht behalten. Empfinden Sie Genugtuung?
Marnette: Nein, überhaupt nicht. Ich kenne den Haushalt Schleswig-Holsteins sehr genau, ich kenne die miserable Finanzlage und die Situation in Schulen und in Sportstätten. Wenn ich sehe, wie leichtfertig hier zweistellige Milliardenbeträge verzockt werden, macht mich das wütend und traurig.