Hamburg. Psychotherapeuten in Hamburg gehen auf die Barrikaden gegen die Termin-Richtlinie. Krankenkassen: Das sind “Fake News“.
Etwa jeder fünfte Hamburger, der sich bei seinem Arbeitgeber krankmeldet, hat ein psychisches Problem. Ob Angststörung, Burn-out oder Depression – die seelischen Leiden lösen persönliche Krisen aus und haben ernste volkswirtschaftliche Folgen. So weisen Ärzte immer wieder darauf hin, dass Patienten möglichst schnell behandelt werden müssen, um beispielsweise aus einer depressiven Verstimmung eines Menschen keine chronische Erkrankung oder einen Suizid-Kandidaten werden zu lassen.
Doch auf Termine warten die Betroffenen oft mehr als sechs Wochen. Das könnte sich nun mit einem neuen bundesweiten Angebot ändern, das auch in Hamburg dazu führen soll, dass Patienten schnell einen Therapeuten sehen.
Die neue Psychotherapie-Sprechstunde soll über die Terminservicestellen (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vermittelt werden. Man braucht keine Überweisung mehr dafür. Innerhalb von vier Wochen muss der Termin stattfinden. In einer ersten Sitzung soll abgeklärt werden: Welches Problem liegt vor, wie schwerwiegend ist es, welche Therapie kommt in Frage?
Hamburger Psychotherapeuten: Uns fehlt Zeit für Patienten
Die rund 1000 Psychotherapeuten in Hamburg müssen von ihrer verfügbaren Wochenarbeitszeit 100 Minuten für diese neue Sprechstunde freihalten und Termine der Servicestelle melden. Und hier setzt die Kritik der Seelen-Doktoren an: „Diese Zeit fehlt dann natürlich für die anderen Patienten“, sagt Heike Peper, Präsidentin der Hamburger Psychotherapeutenkammer. Sie glaubt, dass die neue Richtlinie nicht zu einer besseren Behandlung führen werde.
Patienten wollten auch nicht irgendwo irgendwelche Therapeuten, sondern die, die ihren Leiden entsprächen. Zudem werde die neue Sprechstunde von den Krankenkassen um fünf Prozent schlechter bezahlt. Gleichzeitig müssten die Praxen 200 Minuten pro Woche telefonisch erreichbar sein. „Wann soll ich denn da noch therapieren in einer Einzelpraxis?“
Krankenkassen sprechen von "Fake News"
Die Krankenkassen weisen die Kritik zurück. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen spricht davon, dass für die neue Psycho-Sprechstunde 70 bis 100 Millionen Euro mehr ausgegeben würden. Der Ton in der Auseinandersetzung zwischen Kassen und „Leistungserbringern“ (Ärzten und Psychotherapeuten) wird schärfer. Die BKK spricht von „Fake News“, die gestreut würden. Die Techniker Krankenkasse stellt den schnelleren Zugang zur Hilfe in den Vordergrund. Der Verband der Gesetzlichen Krankenkassen kritisiert, dass die Therapeuten nur über zu wenig Geld „jammern“ und rechnet minutenweise vor, dass die Vergütung nicht schlechter werde.
Die Hamburger Vorsitzende des Kassenverbandes VDEK, Kathrin Herbst, sagte: "Wir würden uns über die jetzigen Neuerungen hinaus aber wünschen, dass die Terminservicestellen innerhalb von zwei Wochen – und nicht innerhalb von vier Wochen, wie in der Richtlinie vorgesehen – in eine Akutbehandlung vermitteln. Bei einem akuten Fall sind vier Wochen einfach zu lange.“
Die Psychotherapeuten halten die Turbo-Diagnose insgesamt für fragwürdig. Die Terminkoordination und Dokumentation wirbele ihre Praxispläne durcheinander. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, Walter Plassmann, sprach von einer „skandalösen“ Reform. Die Kosten für die Praxen würden in die Höhe getrieben und nicht honoriert. Plassmann sagte, die KV werde die Psychotherapeuten unterstützen, wenn sie wegen der neuen Richtlinie höhere Honorare einklagen.
Von den etwa 650.000 Sitzungen, die in Hamburg pro Jahr mit den Krankenkassen abgerechnet werden, entfallen auf die tiefenpsychologische Psychotherapie 55,2 Prozent, auf die Verhaltenstherapie 30 Prozent und auf die Analytische Psychotherapie 14,8 Prozent.