Hamburg. In Hamburg hat fast jeder vierte Fehltag psychische Gründe. Überraschende Entwicklung beim Thema Burnout.
Depressionen, Angststörungen, psychische Probleme aufgrund schwerer Belastungen – seelische Erkrankungen waren auch 2014 der häufigste Grund für Krankschreibungen in Hamburg . Damit ist der Anteil der psychischen Erkrankungen am Gesamtkrankenstand mit 22,3 Prozent deutschlandweit am höchsten. An zweiter Stelle steht Schleswig-Holstein mit 19,2 Prozent. Deutlich niedriger war der Anteil psychischer Erkrankungen an Gesamtausfalltagen in Niedersachsen (16,5 Prozent). Das zeigt der DAK-Psychoreport 2015, der am Dienstag in Berlin präsentiert wurde. Danach haben psychische Erkrankungen bundesweit noch nie so viele Fehltage verursacht wie im vergangenen Jahr.
Die in diesem Bericht vorgestellten Ergebnisse beruhen auf einer Untersuchung des Berliner Iges-Instituts. Es hat dafür bundesweit alle Daten zur Arbeitsunfähigkeit bei den berufstätigen DAK-Versicherten analysiert. Grundlage sind die jährlich erscheinenden Gesundheitsreporte der Krankenkasse. Im Psychoreport wurden Daten für fünf psychische Störungen ausgewertet: Depressionen und Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, also depressive oder ängstliche Stimmung als Folge eines schlimmen Ereignisses, neurotische Störungen, bei denen die Betroffenen über körperliche oder geistige Müdigkeit klagen, sich oder ihre Umwelt als fremd wahrnehmen, Angststörungen und somatoforme Störungen, bei denen die Betroffenen unter körperlichen Beschwerden leiden, für die keine organische Ursache gefunden werden kann.
Laut dem Bericht stand Hamburg 2014 mit 288,7 Fehltagen pro 100 Versicherte wegen psychischer Erkrankungen nach dem Saarland und Berlin an dritter Stelle, ebenso bei der Anzahl der Erkrankungsfälle. An vierter Stelle lag Schleswig-Holstein mit 273,5 Fehltagen. Deutlich niedriger war die Zahl der Ausfalltage in Niedersachsen (234,5 Tage).
Die meisten Fehltage wegen seelischer Leiden wurden in der Hansestadt durch Depressionen verursacht. Im bundesweiten Vergleich stand Hamburg bei dieser Erkrankung mit 153,5 Fehltagen pro 100 Versicherte an der Spitze. Auf Platz drei lag Schleswig-Holstein mit 132,8 Tagen. Deutlich geringer war auch hier die Zahl der Fehltage in Niedersachsen (107,2).
Auch bei den neurotischen Störungen führte Hamburg mit 31 Fehltagen deutschlandweit die Liste an, gefolgt vom Saarland und von Schleswig-Holstein. Niedersachsen lag mit 24 Fehltagen an sechster Stelle der Bundesländer. Bei den Angststörungen stand Schleswig-Holstein im bundesweiten Vergleich auf dem dritten Platz, Hamburg im Mittelfeld und Niedersachsen im unteren Bereich. Bei somatoformen Störungen lagen Schleswig-Holstein und Niedersachsen im Mittelfeld und Hamburg am unteren Ende der Liste der Bundesländer.
Eine überraschende Entwicklung gibt es bundesweit zum Thema Burnout. Diese Zusatzdiagnose, die kein einheitliches Krankheitsbild beschreibt, wird von Ärzten immer seltener vergeben. Laut der Statistik der DAK hat sich die Zahl der Fehltage wegen eines Burn-outs seit 2012 fast halbiert, von zehn Fehltagen pro 100 Versicherte auf lediglich noch 5,2.
Als Begründung sagt Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt der Psychiatrie der Asklepios Klinik Harburg: „Die Ärzte diagnostizieren heute eher eine Depression, eine Anpassungsstörung oder Angststörung und verzichten auf die Zusatzdiagnose Burn-out.“ Auch die gesellschaftliche Rezeption verändere sich langsam: Burn-out entwickle sich von einer typischen Managerkrankheit zu einem Problem der Niedriglohnempfänger, Alleinerziehenden oder Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. „Der Begriff veredelt nicht mehr die Leistungsstarken und verliert an Popularität“, glaubt Unger.
Obwohl viele Menschen eine Behandlung brauchen, ist die Zahl der Therapieplätze knapp: Betroffene müssen im Durchschnitt sechs Monate auf einen Therapieplatz warten. Um ihren Versicherten trotzdem möglichst schnelle Hilfe anbieten zu können, nutzt die DAK das Online-Programm Deprexis, ein verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Selbsthilfeprogramm für Menschen, die unter leichten bis mittelschweren Depressionen leiden.
In einer noch unveröffentlichten Studie gemeinsam mit der Universität Bielefeld hat die Krankenkasse die Wirksamkeit des Programms bei 3800 Teilnehmern untersucht. Das Ergebnis: „Mit der Unterstützung von Deprexis schwächt sich der Depressionsgrad in relativ kurzer Zeit ab“, erklärt Studienleiter Prof. Wolfgang Greiner von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Uni Bielefeld. Auch die Arbeitsfähigkeit und die Teilnahme am sozialen Leben verbesserten sich.
Doch was kann jeder tun, um sich vor psychischen Krankheiten zu schützen? „Wichtig ist, dass körperliche und seelische Warnzeichen rechtzeitig erkannt werden und das innere Gleichgewicht zwischen Beanspruchung und Regeneration bewahrt bleibt. Es ist zunächst Sache des Einzelnen, darauf zu achten“, sagt Hans-Peter Unger. Doch auch Unternehmen trügen Verantwortung für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Workshops mit Führungskräften seien deshalb wichtig, um für die Thematik zu sensibilisieren.