Hamburg. Generalbundesanwalt will den Fall erneut prüfen. Trotz der milden Strafen wollen auch drei Angeklagte gegen das Urteil vorgehen.
Eines der erschütterndsten Verbrechen der vergangenen Jahre könnte neu aufgerollt werden: Der Generalbundesanwalt hat sich der Forderung der Hamburger Staatsanwaltschaft nach einer Revision im Falle einer Gruppenvergewaltigung einer 14-Jährigen in Harburg angeschlossen. Das bestätigte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Nun muss der Bundesgerichtshof (BGH) darüber entscheiden, ob er die Revision zulässt – und gegebenenfalls entscheiden, ob Verfahrensfehler in dem Fall vorliegen.
Das Landgericht Hamburg hatte im Oktober die fünf Täter zu Haftstrafen verurteilt, aber diese auf Bewährung ausgesetzt. Nur ein 21-Jähriger muss für vier Jahre in Haft. Vier der jungen Angeklagten hatten das betrunkene Mädchen im Februar 2016 sexuell missbraucht. Anschließend legten sie es bei eisigen Temperaturen leicht bekleidet in einem Hinterhof ab. Eine 15-Jährige filmte die Tat und gab Regie-Anweisungen.
Petition hatte 100.000 Unterschriften gesammelt
Angesichts der Schwere der Tat erschien das Urteil vielen Beobachtern zu milde. Eine Online-Petition sammelte innerhalb weniger Wochen 100.000 Unterstützer, um eine Neuverhandlung des Falles zu fordern. Die Hamburger Staatsanwaltschaft legte bereits wenige Tage nach dem Urteil Revision ein. Die Entscheidung sei unabhängig von einer Petition erfolgt, sagte Frombach damals. „Wir konzentrieren uns einzig auf die rechtliche Analyse des Urteils.“
In der schriftlichen Begründung ihres Revisionsantrages fordert die Staatsanwaltschaft nun eine komplette Aufhebung des Urteils und eine neue Verhandlung. Das Landgericht unter Vorsitz des Richters Georg Halbach habe zwei Tatbestände nicht ausreichend berücksichtigt – zum einen das Aussetzen der 14-Jährigen in der Kälte, zum anderen eine gefährliche Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“. Hätte das Gericht diese Tatbestände umfassend geprüft, wären Bewährungsstrafen womöglich ausgeschlossen gewesen, argumentieren die Hamburger Staatsanwälte.
Kommentar: Fakten statt Emotionen
Der Generalbundesanwalt hält die Bedenken für stichhaltig und wird offiziell eine mündliche Verhandlung beim BGH beantragen. Er kann weitere Argumente vorbringen, die in die Prüfung einfließen. Der Bundesgerichtshof unterliegt keinen Vorgaben darüber, wie lange er sich für die Prüfung des Antrags Zeit nimmt – mit einer Entscheidung über die Revision ist frühestens in einigen Wochen, aber innerhalb eines halben Jahres zu rechnen.
Auch die Rechtsanwälte von drei der fünf Angeklagten haben Revision gegen das Urteil eingelegt, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage des Abendblattes bestätigte. Darunter ist auch der 21-Jährige, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Über die Anträge wird gesammelt entschieden.
Gericht attestierte den Angeklagten aufrichtige Reue
Der Richter Georg Halbach hatte bereits angedeutet, dass er sein Urteil selbst für kontrovers hält: „Das Strafmaß mag einem Teil der Öffentlichkeit milde erscheinen“, sagte der Jurist nach der Urteilsverkündung. Dennoch sei es richtig, vier der Angeklagten auf Bewährung zu verurteilen. „Es kommt einzig darauf an, was erzieherisch geboten ist.“
Rechtsexperten sahen die Chancen auf eine erfolgreiche Revision in dem Fall als eher gering an. „Dem Gericht war beim Verfassen seiner schriftlichen Urteilsbegründung sehr bewusst, dass Revision eingelegt wurde. Entsprechend wird es versuchen, die Urteilsbegründung wasserdicht zu machen“, sagt Bernd-Rüdeger Sonnen, emeritierter Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg. Dass im Strafmaß des Urteils ein eindeutiger Rechtsfehler erkannt werde, kommt selten vor.
Neben dem Verbrechen hatte auch das Verhalten von Familien und Freunden im Gerichtssaal für Empörung gesorgt. Auch die Täter zeigten im Gericht Siegersymbole. Dieses Verhalten kann ein Richter grundsätzlich in sein Urteil mit einbeziehen. Richter Halbach betonte aber, dass die Angeklagten sowohl im Prozess als auch gegenüber ihrem Opfer aufrichtige Reue gezeigt hätten.