Hamburg. Mit „Kommissar Kugelblitz“ wurde die Kinderbuchautorin Ursel Scheffler weltbekannt. Nun steckt sie selbst in einem Kriminalfall.
Der Esszimmertisch ist nun die Zentrale. Ursel Scheffler hat die Briefe von der Polizei gestapelt, die Mahnungen, die Inkassoschreiben – sechs Monate des Dramas. „Ich schlafe oft schlecht. Es ist belastend“, sagt sie. Mit der Figur „Kommissar Kugelblitz“ wurde Scheffler berühmt, die Kinderbücher der Winterhuderin gibt es in 30 Sprachen. Seit Oktober ist sie selbst Detektivin wider Willen. Ihre Identität wurde gestohlen. Und die mutmaßliche Täterin ist kaum zu stoppen.
Es fing ausgerechnet in einer Kirche an, sagt Ursel Scheffler. Beim Gottesdienst in St. Jacobi legte sie ihre Tasche neben sich auf eine Bank. Später schaute sie hinein: ihre Brieftasche, ihre Schlüssel und ihr iPhone – verschwunden. Da saß eine Frau neben ihr in der Kirche, sagt sie, protzige Ohrringe, dunkle Locken, sie ging nach der Kollekte. „Ich habe Anzeige erstattet und musste die Schlösser austauschen. Es war teuer und ärgerlich“.
Einige Wochen später liegt Post im Briefkasten. Zwei Inkassoschreiben. Jemand hatte in ihrem Namen Schmuck im Wert von 300 Euro geordert. Die Rechnung war zunächst nicht an Scheffler, sondern eine andere Adresse in ihrer Straße gegangen. Am Telefon erfährt Scheffler: Jemand hat ein E-Mail-Konto mit ihrem Namen eröffnet, die Daten des Personalausweises genutzt – und im Internet eingekauft.
So wird es der Täter oder die Täterin noch mindestens zehn weitere Male machen: Für Schmuck, Pflegecreme, Medizin, Blumen, selbst Online-Streaming von Filmen. Die Beträge addieren sich schnell auf mehr als 1000 Euro.
Hohe Anzahl an Verfahren
Ursel Scheffler erstattet erneut Anzeige. „Der Kripo-Beamte hat geklagt, dass er in Akten erstickt“, sagt Ursel Scheffler. Die Betrugsabteilung im Landeskriminalamt ächzt unter einer extrem hohen Anzahl an Verfahren. Auch die Fälle von Identitätsklau im Internet steigen laut Polizei in Hamburg an. Nach Umfragen der Schufa wurden mehr als ein Fünftel der Befragten bereits Opfer von Datenmissbrauch. Elf Prozent gaben an, dass in ihrem Namen Waren bestellt worden seien.
An welche Lieferadresse die Waren gehen, erfährt Ursel Scheffler von den Anbietern in den meisten Fällen nicht. Datenschutz, sie müsse das verstehen. Von einer freundlichen Mitarbeiterin erhält sie dann doch einen Tipp: Die Lieferungen gingen zu Rebeca H., wohnhaft in einem Mehrfamilienhaushaus im Hamburger Osten. Sie quittierte offenbar auch selbst. In der Nähe des Hauses wird der Personalausweis von Ursel Scheffler von einer Passantin gefunden.
Beweislast gegen reicht Rebeca H. nicht aus
Rebeca H. ist vorbestraft, selbst über den Namen ihrer Gerichtsvollzieherin soll sie bereits Waren für sich selbst bestellt haben. Sie ist die Frau aus der Kirche, da ist sich Ursel Scheffler sicher. „Ich dachte, damit wäre der Fall bald gelöst. In meinen Büchern wäre er das jedenfalls“, sagt Ursel Scheffler. Doch so einfach ist das nicht.
Der Sachbearbeiter der Polizei sagt Ursel Scheffler, sie müsste die Täterin erst anhand von Bildern identifizieren – diese zu beschaffen könne zwei Monate dauern. Die Ermittlungen wegen des Diebstahls werden Mitte Oktober eingestellt. Offenbar reicht die Beweislast gegen Rebeca H. nicht aus. „Ich hätte mir gewünscht, dass ein Polizist sie wenigstens anruft, um klarzumachen, dass sie ertappt wurde“, sagt Ursel Scheffler. Stattdessen trudeln weitere Mahnungen ein – etwa für eine Bestellung von Pralinen der Marke Hussel im Wert von 220 Euro, ebenfalls an Rebeca H.
Ursel Scheffler legt sich Ordner an und nummeriert die Verfahren, um noch den Überblick zu behalten. „Ich hatte es zum Teil bei einem Verfahren mit fünf verschiedenen Beamten zu tun“, sagt Scheffler, sie habe das Gefühl, dass sie den Beamten einige Informationen wieder und wieder mitteilen muss. „Die unterschiedlichen Bestellungen liegen teils auch in unterschiedlicher Zuständigkeit bei der Polizei“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Insgesamt würden die Ermittlungen seit Beginn gebündelt, „wie es der Optimalfall ist“.
„Kommissar Kugelblitz“ schrieb an die Ermittler
Nach zwei Monaten des Wartens kommt es zur Gegenüberstellung: Im Präsidium werden Ursel Scheffler ein Dutzend Bilder vorgelegt, Frauen mit der gleichen Frisur. Sie habe schnell auf das Foto von Rebeca H. gezeigt, aber auf Nachfrage gesagt: „Bei solchen Bildern kann man nie absolut sicher sein“. Das reicht nicht. Die Mahnungen treffen weiter ein. „Derzeit kommen Rechnungen aus der Weihnachtszeit“, sagt Ursel Scheffler, etwa für farbige Kontaktlinsen in Jadegrün und „sky blue“.
Mitte März schreibt Ursel Scheffler an die Staatsanwaltschaft – als „Kommissar Kugelblitz“. Er legt den Fall noch einmal dar, empfiehlt nächste Schritte; der Brief ist mit „Lieber Kollege“ überschrieben. Ursel Scheffler verweist die Gläubiger an die Polizei und hofft, dass der Albtraum bald endet.
Anklage wegen Betrugs in 21 Fällen
Dass Rebeca H. bald vor Gericht stehen wird, teilte die Staatsanwaltschaft Scheffler nicht mit: Auf Abendblatt-Anfrage sagte eine Sprecherin, dass gegen die Frau Anklage wegen Betrugs in 21 Fällen erhoben werden soll – darunter eine Bestellung im Namen von Scheffler. Rebeca H. droht eine mehrjährige Haftstrafe. Ursel Scheffler will am Prozess teilnehmen: „Diese Frau soll mir in die Augen schauen.“