Hamburg. Bei seinem Konzert in der seit Wochen ausverkauften Barclaycard-Arena hält es von Anfang an niemanden auf den Sitzen.

Wie ein Posterjunge sieht Ed Sheeran nicht aus. Die roten Haare sind zerstrubbelt, meistens trägt er eine Brille, die seine Attraktivität auch nicht gerade erhöht. Doch der Junge aus Yorkshire ist gerade der König des Pop. Sein Erfolg zeigt wieder einmal, dass Erfolge im Popgeschäft nicht kalkulierbar sind, denn Sheeran hat keinen Casting-Wettbewerb gewonnen, er kommt – genau wie Adele – quasi von der Straße.

„Toilet crawl“ nennt er selbst die Zeit, in denen er jahrelang in London von Pub zu Pub gezogen ist, um für ein paar Pfund und ein paar Bier seine Songs an den Mann zu bringen. Nun spielt er vor 13.000 Fans in der seit Wochen ausverkauften Barclaycard-Arena und er hätte sicher auch das nebenan gelegene Volksparkstadion gefüllt. Die Klicks bei den Streamingdiensten gehen inzwischen in die Milliarden, sein drittes Album „Divide“ ist gerade drei Wochen auf dem Markt und wurde schon mehr als zwei Millionen Mal verkauft – Zahlen, von denen andere Künstler nicht zu träumen wagen.

Der Jubel für Ed Sheeran erreicht Boyband-Niveau

Als Sheeran um Punkt 20.30 Uhr auf die Bühne kommt, bricht ein Jubelorkan los, dessen Lautstärke an Teeniekonzerte erinnert. Gerade vor der Bühne drängeln sich viele Teenager, die schon Stunden zuvor vor der Arena campiert hatten, um als erste in die Halle zu gelangen und ganz vorn stehen zu können, doch Sheerans Publikum ist heterogen. Man sieht in der Halle ganze Familien, Mädchen-Cliquen, Paare, Hipster, Normalos.

Doch jeder in der Halle macht bei diesem Begrüßungssturm mit und auf den Sitzen hält es auch niemanden. Der Jubel ist so laut, dass Sheeran anfangs Mühe hat, gegen diese vielen tausend Kehlen anzusingen. Denn er ist nicht von einer lauten Band flankiert, sondern steht allein auf der Bühne. Nur mit seiner Gitarre, die aussieht wie ein 45-Euro-Teil, doch für diese „Little Martin“ muss man ein paar hundert Euro hinblättern. Er kommt in Sneakers und Jeans aus der Garderobe und trägt ein T-Shirt mit dem Wort „hoax“, was auf Deutsch „Scherz“ bedeutet.

Bei Ed Sheeran geht es immer auch um Nähe

Sheeran beginnt sein Konzert mit „Castle On The Hill“, einem neuen Song und eine Ode an seine Heimatstadt. Auf der Bühnenkonstruktion hinter und über ihm flammen Leinwände auf und zeigen ihn überlebensgroß, so dass auch die Fans im Oberrang ein hautnahes Konzerterlebnis haben. Denn bei Ed Sheeran geht es um Nähe und die ist ein Teil seines Erfolges. Er moderiert keine Songs an, sondern er spricht mit seinen Fans, als wäre der Ort eine Eckkneipe und nicht eine Arena. Sheeran ist bodenständig, uneitel, witzig. Zum Mitmachen muss er niemanden animieren, das läuft von allein. Jeder Song, auch die ganz neuen, werden textsicher mitgesungen. Auf den Rängen wird nicht nur getanzt, einige junge Mädchen zeigen ausgetüftelte Choreografien, die sie sich zuhause vor dem Spiegel ausgedacht haben.

„Eraser“ ist die zweite Nummer an diesem Abend, in der Sheerran zeigt, dass er auch als Rapper Erfolg haben könnte. Er ist nicht nur schnell im Saitendreschen auf seiner Western-Gitarre, sondern auch mit dem Mundwerk. Nach jedem Song lässt er sich eine andere Gitarre reichen, denn durch sein vehementes Spiel verstimmt das Instrument. Um Volumen in sein Spiel zu bekommen, loopt er die Gitarre und verstärkt sie so. Ohne diese Hilfsmittel und unterstützenden Einspieler wäre ein Konzert in einer Arena gar nicht möglich.

Seit dem Reeperbahn-Festival ein Hamburg-Fan

„The A-Team“, seine erste Single aus dem Jahr 2011, kommt als Song Nummer drei. Sheeran erzählt, dass er in Hamburg beim Reeperbahn Festival sein erstes Deutschland-Konzert gegeben hat und wie sehr er die Stadt seitdem liebt. Nicht unverständlich, wenn man die Dichte an Kneipen und Bars auf dem Kiez betrachtet, denn Sheeran gehört zu den passionierten Biertrinkern. Über die Schönlinge und Angeber mit ihren Sixpack-Bäuchen macht er sich in „New Man“ lustig, einen Waschbrettbauch wird er nie bekommen.

Seine Songs behandeln Themen, die so normal sind wie Sheeran selber. „Thinking Out Loud“ hat er für seine irische Großmutter geschrieben, „Galway Girl“ bezieht sich ebenfalls auf die irische Seite in seiner Familie, andere reflektieren zerbrochene Beziehungen, Herzleid wie im Pop üblich. Aber Sheeran singt darüber ohne Larmoyanz. Es scheint zum Leben zu gehören wie Weihnachten oder der Gang in den Pub. In „Perfect“ singt Sheeran darüber, wie gut es ihm gerade geht, weil er sich verliebt hat. Den Song hat er für seine Freundin geschrieben.

Premiere für ein neues Stück

Neben den Liedern aus „Divide“ und den beiden Vorgängeralben probiert Sheeran in Hamburg auch ein neues Stück mit dem Titel „Barcelona“ aus. „Kann sein, dass das jetzt voll daneben geht, aber ich versuche es mal“, sagt er. Natürlich klappt es und der Refrain wird schnell mitgesungen.

105 Minuten dauert der Auftritt von Ed Sheeran, der nicht Show, sondern Konzert ist. Nur einmal verschwindet er kurz von der Bühne, die vier Zugaben spielt er am Stück, ohne dass er sich nach jedem Song auf die Bühne zurückklatschen lässt. Beim abschließenden „You Need Me, I Don’t Need You“ peitscht er das Publikum noch mal nach vorne, 13.000 Stimmen skandieren den Refrain mit und sind restlos aus dem Häuschen. Hamburg bleibt ein gutes Pflaster für Ed Sheeran, den so sympathischen König des Pop.