Hamburg. Oliver Bukowskis Sozialfarce „Ich habe Bryan Adams geschreddert“ überzeugt in den Kammerspielen.

Manchmal braucht es gar nicht den vielzitierten Blick durch das Schüsselloch, um hinter die Fassade bestimmter Gesellschaftsschichten zu blicken. Da tut es auch das lockere Zusammensein auf einer sommerlichen Grill-Party. Und wenn dann noch der Chef mitsamt Gattin geladen hat, ist das Erscheinen für alle Pflicht.

Das ist der Rahmen, den Oliver Bukowski für sein aktuelles Stück „Ich habe Bryan Adams geschreddert“ geschaffen hat. Ein Szenario, in dem sich – trotz permanenter Überzeichnung der Charaktere – so manche(r) wiedererkennen kann, wie der minutenlange Beifall für das homogene Hamburger Ensemble nach der Premiere in den Kammerspielen zeigte.

Sorgen verunsicherter Arbeitnehmer

Denn Bukows­ki, ein gebürtiger Brandenburger, Jahrgang 1961 und dank Theatererfolgen wie „Gäste“ oder „Kritische Masse“ längst einer der gefragtesten deutschen Gegenwartsdramatiker, thematisiert in dieser Sozialfarce speziell die Sorgen verunsicherter Arbeitnehmer aus der Mittelschicht. Jener Generation, die mit Bryan Adams’ Hit „Summer Of ‘69“ aufgewachsen ist.

Bis der Song ertönt und auch die Frau des Chefs den abgenudelten Hit nicht mehr hören kann, lernen wir Gastgeber Frank (Michael Lott) sowie seine Ehefrau und Kollegin Tanja (Cornelia Schirmer) erst mal kennen; sie haben die gesamte Abteilung eingeladen. Die hat gerade eine Evaluation überstanden – gehen muss nur einer, der langjährige Mitarbeiter Christopher. Dass der Chef auch ihn hinzugebeten hat, verunsichert die anderen. Wie damit umgehen, und wird Chris erscheinen? Jedes Klingeln an der Tür gleicht einem Schreckmoment.

Etliche Running Gags

Das ist nur einer der Running Gags des Stücks. Ein weiterer besteht in der Grund-Beschwipstheit von Simone (Nina Petri), die mit Ehemann Patrick (Ulrich Bähnk) quasi zum Firmeninventar gehört. Die jüngere Kollegin Paula (Antje Otterson) hat ihren neuen Partner Sascha (Jonas Anders) mitgebracht, der als Fluglotse zwar als Einziger eine Sicht von außen auf die Firma hat, von seiner Freundin indes alsbald zum „Bodenpersonal“ degradiert wird.

Derartige mal mehr, mal weniger böse Ausfälle häufen sich im Laufe des Abends, die Selbstreflektion macht weder vor der eigenen noch der Demütigung anderer halt. Immer wieder bilden sich neue Allianzen unter den Gästen, tun sich Fronten auf, werden Gräben auf und nur notdürftig wieder zugeschüttet. All das inszeniert Ulrike Arnold mit feiner Führung, lässt ihren Schauspielern genug Raum zur Entfaltung. So können sie die vielen kleinen Peinlichkeiten beruflicher Überlebensstrategien aufzeigen. Autor Bukowski entlarvt das Muskelspiel der Angestellten als Ausdruck typischer Formen der Selbstoptimierung.

Chef Frank demonstriert seine Fitness

Der beschworene Teamgeist gerät zum teils harten Überlebenstraining. Michael Lott spielt den Chef richtig schön peinlich als von sich selbst begeisterter und selbstvergessener Partynator, der seine Fitness an der Rüttel-Gymnastik-Stange demonstriert.

Und Bähnk, vom Vorgesetzten provoziert, will ihm als Patrick nicht nur bloß die Stange halten, sondern zeigen, wozu ein Angestellter, ja wozu alle in der Lage sind, wenn man(n) für die Firma als High-Performer in eigener Sache sprichwörtlich durchs Feuer geht – barfuß auf der Grillkohle. Ein komödiantischer Höhepunkt. Und ein Schauspiel, dem erst Tanja, von Cornelia Schirmer mit ordentlich Verve verkörpert, mit reichlich Wasser eine Abkühlung verschafft.

Morgens schon Yoga

In diesem Stück steht keiner auf dem Schlauch, und weil auch der Chef leiden muss, verteidigt ihn Ehefrau Tanja auch ob seiner getroffenen Personalentscheidung: „Frank hat während der Potenzialanalyse im Schlaf Eckdaten geschrien und ganz üble Probleme mit dem Stuhlgang bekommen.“ Und Simone, dank Nina Petri so etwas wie die personifizierte Wahrheitsdroge Alkohol, sagt: „Mein Mann denkt immer nach vorn: Morgens schon Yoga, damit er sich tagsüber besser verbiegen kann.“ Das ist absurder, aber bezeichnender Bukowski-O-Ton.

Marco Reimers als gerade mal volljähriger Gastgeber-Sohn Jannik schließlich entpuppt sich als echte Entdeckung: Der Schauspiel-Novize erklärt englische Management-Floskeln wie „BPO“ – Business Process Outsourcing, die Auslagerung von Geschäftsprozessen – als verschleierte Angstworte und hält den Erwachsenen so den Spiegel vor.

Und wie sagt der Chef gegen Ende so schön? „Der Servicegedanke ist richtig. Dienstleistung, dahin geht die Reise.“ Ob die in der einstigen Servicewüste Deutschland auch zur Reise ins eigene Ich führt, sei mal dahingestellt.

„Ich habe Bryan Adams geschreddert“ wieder Mi 22.3., 20 Uhr, bis 30.4., Kammerspiele, Karten zu 18,- bis 43,-: T. 413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de