Hamburg. Die Regisseurin Eva Hosemann adaptiert den Roman „Tabu“ auf gelungene Weise für die Bühne – als Kammerspiel mit guten Darstellern.
Die Indizien sind dünn. Ein blutiges Kleidchen, DNA-Spuren in einem Leihwagen, ein paar S/M-Utensilien und ein Anruf, der Sebastian von Eschburg (Philip Wilhelmi) belastet. Der Erfolgsfotograf soll ein Mädchen umgebracht haben. Es gibt keine Zeugen, es gibt keine Leiche, aber es gibt ein Geständnis von Eschburg.
Das allerdings soll unter Androhung von Folter zustande gekommen sein. Seit Monaten sitzt der Fotograf in Untersuchungshaft, bis er endlich den renommierten Anwalt Konrad Bieler (Kai Maertens) mit seiner Verteidigung beauftragt. Der soll sich eigentlich in den Schweizer Bergen von einem körperlichen Zusammenbruch erholen, doch Biegler hasst die Berge und die Natur sowieso. Schon nach zwei Tagen bricht er seine Reha ab und fährt zurück nach Berlin. Der Fall interessiert ihn. Weniger wegen der Prominenz seines Klienten als wegen des Folter-Aspektes – eher eine Seltenheit innerhalb deutscher Polizeiarbeit.
Angeklagte hat gar nichts von einem Mörder
„Tabu“ heißt der Roman von Ferdinand von Schirach, in dem der schreibende Anwalt diesen ungewöhnlichen und fiktiven Fall schildert. Schirach hat sich einen Namen gemacht, seit er seine ersten Bücher mit authentischen Kriminalfällen veröffentlicht hat. Seither ist der Jurist ein überaus erfolgreicher Autor. Kriminalfälle sind sein Metier, und sie sind entweder authentisch oder dicht an der Realität. Das ist bei „Tabu“ nicht anders. Die Regisseurin Eva Hosemann hat sich der Vorlage angenommen, sie für das Theater bearbeitet und jetzt als Uraufführung auf die Bühne des Altonaer Theaters gebracht.
„Tabu“ erzählt vor allem die Lebensgeschichte von Sebastian von Eschburg. Erst in der zweiten Hälfte des Romans wird die Mordanklage wichtig. Was im Roman linear erzählt wird, bricht Hosemann auf, denn diese Erzählweise wäre auf dem Theater nicht spannend. Geschickt springt Hosemann in der Geschichte des Protagonisten hin und her. Immer wieder werden in Rückblenden Wesens- und Verhaltensmuster des introvertierten Fotokünstlers dargestellt, in dem er sich selbst an Kindheit und Jugend erinnert oder diese Muster in kurzen Szenen beleuchtet werden. Wichtig war für Sebastian der Vater, der seinem Leben ein Ende setzte, indem er sich aus einem Jagdgewehr eine Ladung Schrot in den Kopf jagte.
Wilhelmi spielt mit großer Ernsthaftigkeit
Philip Wilhelmi spielt die Hauptfigur mit großer Ernsthaftigkeit. Sein Eschburg ist ein Einzelgänger, der mehr beobachtet als agiert. Um seine Freiheit scheint er nicht zu kämpfen, sein Verhältnis zu Biegler ist schwierig, weil er oft nur in Andeutungen spricht. Eschburg hat so gar nichts von einem Mörder. Am meisten ist seine Freundin Sofia (Barbara Lanz) von seiner Unschuld überzeugt. „Ist Ihnen mal aufgefallen, dass er andere Menschen immer mit ausgestrecktem Arm begrüßt?“, fragt sie Biegler. „Er will immer eine möglichst große Distanz zwischen sich und seinem Gegenüber wahren.“
Auch Barbara Lanz als quirliger Gegenpart von Eschburg und die anderen Mitspieler liefern gute Ensemblearbeit ab. Tina Eberhardt muss gleich in fünf sehr unterschiedliche Rollen schlüpfen – sie ist unter anderem die kühle Mutter, die sich mehr für ihre Dressurpferde als für ihren Sohn interessiert. Sie ist auch die Staatsanwältin Landau, die mit Biegler einen Widersacher hat, der ihr im Gerichtssaal ziemlich zusetzt. Alexander Klages macht als Freund der Mutter eine gute Figur, er spielt den „Macher“, wie seine Figur sich selbst nennt, als aufgeblasenen und eitlen Fatzke. Den folternden Polizisten nimmt man ihm jedoch nicht ab, dafür fehlt es seiner Sprache an Härte.
Schlagfertiger Jurist
Dominiert werden weite Teile des Geschehens von Kai Maertens als Anwalt Biegler. Wie im Roman angelegt, spielt Maertens ihn als einen schlagfertigen Juristen, der immer das letzte Wort und jede Menge Marotten hat. Maertens, der aus einer Hamburger Theaterfamilie stammt, sorgt für die komischen Elemente in diesem vorzüglichen Kammerspiel. Seine pointiert vorgetragene Geschichte über das Leben der Aale ist von allerbestem Witz, er zeigt sich in jeder Situation überlegen und wortgewandt. Kein Staatsanwalt möchte ihn als Gegner haben.
Das Stück wartet am Ende mit einer faustdicken Überraschung auf, die hier nicht verraten werden soll. Bis zum Finale haben Hosemann und ihre Schauspieler es bestens verstanden, das Interesse am Leben von Eschburgs und an seinem Kriminalfall aufrechtzuhalten. Timing und dramaturgische Abläufe stimmen, und man hört und sieht den Akteuren gern zu. „Tabu“ ist eine überaus gelungene Roman-Adaption für das Theater.
„Tabu“ läuft bis zum 8.4., die nächsten Aufführungen: 1. bis 4.3., Altonaer Theater
(S Altona), Museumstraße 17, Karten ab 17;- unter T. 39 90 58 70; altonaer-theater.de