Hamburg. Der Hamburger Gerhard Strate ist einer der renommiertesten deutschen Strafverteidiger. Er bewertet den Umgang mit Erdogan.
Der Hamburger Jurist Gerhard Strate (67) ist einer der renommiertesten deutschen Strafverteidiger. In diesem Meinungsbeitrag schreibt er über den schwierigen Umgang der deutschen Politik mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und sieht die deutsche staatliche Souveränität in Gefahr.
|„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Dieses Zitat aus einem Gedicht von Ziya Gölap, vorgetragen vom damaligen Bürgermeister von Istanbul während einer Wahlveranstaltung in Ostanatolien, brachte den Redner vor das Sicherheitsgericht in Diyarbakır, welches auf zehn Monate Haft und ein lebenslanges Politikverbot aufgrund von „Aufstachelung“ erkannte. Der damalige Angeklagte, der vier Monate seiner Strafe auch tatsächlich absaß, hieß Recep Tayyip Erdogan.
Atatürks Errungenschaften werden niedergerissen
Dass die damalige türkische Justiz allen Grund hatte, gegen den drohenden Islamismus regelmäßig solche Brandmauern zu ziehen, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre überdeutlich. Nachdem seine von ihm selbst gegründete Partei AKP das verhängte Politikverbot durch eine Gesetzesänderung aufgehoben hatte, stand dem persönlichen Aufstieg des Recep Tayyip Erdogan nichts mehr im Wege, welcher darin besteht, alle demokratischen Errungenschaften des weitsichtigen Staatsgründers Kemal Atatürk Schritt für Schritt niederzureißen und die Türkei in ein Kalifat umzubauen.
Erdogan stößt damit durchaus auf breite Gegenliebe von Teilen seines Volkes. Das zeigt die Zahl seiner fanatisierten Anhänger, die auch in Europa die türkische Fahne hochhalten, wenn es darum geht, den Sultan vom Bosporus zu feiern. So geschehen auf einer Pro-Erdogan-Demo am 31. Juli 2016 in Köln, wo aus einer Menge von 35.000 Deutschtürken heraus unter Allahu-Akbar-Rufen die Forderung nach der Todesstrafe für Erdogans Gegner skandiert wurde.
Ziel: „die Welt aufmischen“
Dass dieser unglaubliche Vorgang auf deutschem Boden geduldet wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand unserer staatlichen Souveränität. Das dachte sich wohl auch der machthungrige Präsident, dem es nun an der Zeit zu sein scheint, noch ein weiteres Scheit aufzulegen. Immerhin 1,4 Millionen in der Türkei wahlberechtigte Deutschtürken gilt es für das anstehende Verfassungsreferendum in Erdogans Sinne zu begeistern. Ein interessantes Potenzial also, wenn es darum geht, per Votum die Machtfülle des türkischen Präsidenten massiv auszuweiten.
Die Bundesregierung würde seiner geplanten Reihe von Wahlveranstaltungen in Deutschland schon nicht wehren, so sein Kalkül. Zu deutlich noch steht seine Drohung im Raum, bei mangelndem Wohlverhalten der Europäer die Grenzen zu öffnen und eine neue, bisher beispiellose Flüchtlingswelle in Gang zu setzen.
Es war eben ein Sündenfall wider die eigene Souveränität, den europäischen und damit auch deutschen Grenzschutz aus der Hand zu geben und an einen unberechenbaren Neokalifen abzutreten, der neuerdings schon mal äußert, er komme für den türkischen Wahlkampf nach Deutschland, wie es ihm gefalle, und er werde „die Welt aufmischen“, wenn man ihn daran hinderte.
Wer ist im deutschen Haus der Herr?
Dass Deutschland nun trotzdem einige Auftritte türkischer Politiker untersagt hat, ist wohl dem deutschen Superwahljahr geschuldet, in welchem die letzten Illusionen deutscher Souveränität noch so lange wie möglich aufrechterhalten werden sollen. Da ist es ein großer Wurf des Bundesverfassungsgerichts, nun klargestellt zu haben, dass ausländische Politiker sich in Deutschland nicht auf Grundrechte berufen können, wenn sie „in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität“ unterwegs sind. Der Ball liegt nun also dort, wo er hingehört: im Feld der Bundesregierung, die endlich klarstellen muss, wer im deutschen Haus der Herr ist.
Eine weitere erschwerende Zwickmühle für das Ansehen der deutschen Regierung stellt nun das beherzte Vorgehen der Holländer dar, das dem türkischen Außenminister in derselben Mission einfach die Landeerlaubnis verweigerte und die türkische Familienministerin des Landes verwies. Wenn ihnen für ihren geplanten öffentlichen Auftritt durch das Auswärtige Amt der Niederlande keine Genehmigung erteilt worden war, standen diese Maßnahmen in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht.
Sie durften von der türkischen Regierung noch nicht einmal als unfreundlicher Akt begriffen werden. Der Mut des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte war wohl zugleich auch seine Angst, bei der Parlamentswahl den Kürzeren gegen seinen Kontrahenten Geert Wilders zu ziehen, der die sich nun abzeichnenden Probleme schon seit Jahren auf seine Art zum Thema macht. Ruttes Entscheidung zog eine ebenso spontane wie temperamentvolle Demonstration von etwa 2000 Türken zu nächtlicher Stunde in Rotterdam nach sich. Und dass eine türkische Zeitung sogar das Gedankenspiel wagt, die Niederlande hätten doch nur 48.000 Soldaten, während dort rund 400.000 Türkischstämmige leben, zeigt mehr als deutlich, dass sich in Europa durch reine Ignoranz ein Problem entwickelt hat, das uns noch lange beschäftigen wird.
Deutschland hat Fanatikern wenig entgegenzusetzen
Was hat eine alte, müde, in sich zerstrittene Kultur wie die deutsche einem glühenden Vertreter des „wahren Glaubens“ wie Recep Tayyip Erdogan nebst seinen fanatisierten Anhängern entgegenzusetzen? Einen peinlich missratenen Clown namens Böhmermann und ein paar schüchterne Veranstaltungsabsagen aufgrund deutscher Sicherheitsbestimmungen. Ob das genügen wird, wird die Zukunft erweisen.