Hamburg. Am Donnerstag startet das Elbphilharmonie-Festival „Salam Syria“. Ein Treffen mit dem Klarinettisten Kinan Azmeh.

Regen in Syrien, der macht ihn froh. Denn in der schwierigen, schönen, großen Welt von Kinan ­Azmeh ­bedeutet Regen in Syrien, dass die ­Tomatenernte gut sein könnte. Im Jahr sechs nach Beginn des Bürgerkriegs ­wäre schon das eine tröstliche Nachricht für das geschundene Land und die, die dort sind, weil es ihre Heimat ist.

Für Kinan Azmeh ist die Frage nach der eigenen Heimat keine einfache. „Ich bin ein Optimist und nicht in einer Phase, in der ich mich davon überzeugen könnte, dass ich sie verloren habe. Ein Teil von mir will weiter glauben, dass ein säkulares, freies und demokratisches Syrien wahr werden kann.“ Er muss nach Antworten suchen, bis ihm eine gefällt, die dennoch auch zeigt, wie schwer es ist, diese Sache auf den Punkt zu bekommen: Heimat sei „immer der Ort, zu dem ich etwas beitragen möchte, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen“. Und körperlich gesprochen, fühlt er sich „in transit“ daheim, unterwegs, im Übergang.

Der Musiker lebt seit 16 Jahren in New York

Kinan Azmeh, in Damaskus geboren, ist jetzt kurz in Hamburg. Er lebt seit 16 Jahren in New York, wo er an der Juilliard School studiert hat, reist durch die Welt, mit seiner Musik und seiner Klarinette. Bei Auftritten in der US-Provinz konnte es schon mal passieren, dass der eine oder andere Syrien mit ­Sibirien verwechselte, erinnert Azmeh sich. Seine Welt ist groß, da kann für so viele Meinungen Platz sein. Von morgen an stehen Azmeh und einige Musiker-Freunde im Mittelpunkt des dreitägigen „Salam Syria“-Schwerpunkts in der Elbphilharmonie, für den Intendant Christoph Lieben-Seutter auf die Erfahrung von Michael Dreyer zurückgriff, dem künstlerischen Leiter des Osnabrücker „Morgenland Festivals“.

"Salam Syria"

Auch mit handlichen Antworten auf das Wie und Warum syrischer Musik kann Azmeh nicht dienen. „Ich denke so nicht, für mich ist sie nicht durch geografische Grenzen beschränkt. Es gibt arabische, kurdische, armenische Einflüsse, Pop, Jazz, Klassisches, aber auch Zeitgenössisches ... Ich kann nicht erkennen, wo syrische Musik endet und libanesische beginnt.“ Azmehs Welt ist zu groß für harte Grenzen. Schuld daran, dass der Syrer Azmeh zur Klarinette kam, die nun wirklich kein klassisch syrisches Instrument ist, ist übrigens die „Encyclopædia Britannica“. Azmehs Vater, ein Ingenieur, hatte das gebundene Weltwissen angeschafft. Weil er nicht mehr mitanhören konnte, wie sein Sohn seine Geige und damit auch alle anderen quälte, fragte er per Brief die Lexikonmacher im damals noch sehr, sehr fernen London, welches Instrument erfolgversprechender wäre.

Als Trump den Einreisestopp verhängte, war Azmeh in Beirut

Ende Januar, nach einem Konzert mit dem Cellisten Yo-Yo Ma in Hamburgs neuem Konzerthaus, war Kinan Azmeh nach Beirut geflogen, er sollte das Mozart-Klarinettenkonzert spielen. Doch als Azmeh dort ankam, hatte Trump, der Neue im Weißen Haus, gerade in die Welt posaunt, dass auch Syrer, weil sie Syrer sind, von jetzt auf gleich nicht mehr in die USA einreisen dürfen sollten. Auch ihre Green Card sollte ihnen nichts mehr helfen, hieß es. „Es war gut, dass ich das Konzert hatte. Für Panik hatte ich keine Zeit.“ Der Weltmusiker hat eine Green Card, in den Papieren steht, er sei ein „alien with extraordinary abilities“, Fremder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. „Ist ,alien‘ etwas Gutes oder etwas Schlechtes?“, fragt Azmeh jetzt, amüsiert, einige Wochen nachdem zumindest dieser Spuk überstanden zu sein scheint.

Danach wird er wieder ernst, um sich nicht ans Kleinklein zu verlieren. Die letzten sechs Jahre hätten ihm die Maßstäbe verdeutlicht, für alles. „Das mit dem Einreisestopp, das ist nichts wirklich Großes, verglichen damit, was nicht nur viele Syrier verloren haben. Was all die verloren haben, die kein Zuhause mehr haben, keine geliebten Menschen mehr.“ Azmeh bleibt dankbar, dass er seinen „kleinen Apparat“ hat, die Klarinette. Die Musik. „Bis jetzt konnte mir noch niemand meine Stimme nehmen“, sagt er. Jede Stimme zählt, wenn er an Syrien denkt. „Fast eine halbe Million Getötete, das sind fast eine halbe Million individuelle Geschichten, die fast eine halbe Million Familien betreffen. Auf sich aufmerksam machen, Musik machen, das ist eine der Möglichkeiten, um zu überleben. Eine Bestätigung dafür, dass wir unsere Heimat nicht verloren haben“, sagt Azmeh. „Natürlich weiß ich, dass die Klarinette nichts von dem erreichen kann, was ich mir von ihr wünsche. Ich weiß, dass sie keine Kugel aufhält. Dass sie Hungrige nicht satt macht. Dass sie keinen politischen Gefangenen befreit.“ Aber Azmeh glaubt und weiß, dass Musikmachen ein Akt der Freiheit ist. Und dass Regen mehr als nur Wasser von oben sein kann.

DVD: „The Music of Strangers“ u.a. mit Yo-Yo Ma und Kinan Azmeh (Eurovideo, 17 Euro)