Hamburg . Lebensgefahr für Passanten durch aus 30 Metern Höhe herabstürzende Teile. Polizisten und Wachleute besorgt. Spezialisten im Einsatz.
Es ist Sonntagmittag, als ein Beamter der Polizeiwache im Hamburger Rathaus am Computer einen internen Bericht liest. Da ist von zwei „faustgroßen“ Fassadenteilen die Rede, die vom Rathaus aus einer Höhe von rund 30 Metern auf den Bürgersteig und die Große Johannisstraße herabgefallen waren. Und von einer Absperrung, die noch am Sonnabend zum Schutz der Passanten eingerichtet wurde. Der Polizeibeamte unterhält sich mit einem diensthabenden Rathaus-Feuerwehrmann, und beide sind sich schnell einig: „Da hätte jemand zu Tode kommen können.“
Schilder sollen auch Touristen warnen
Seit dem Steinschlag am Sonnabendnachmittag ist die Ostseite des Rathauses an der Großen Johannisstraße weiträumig gesperrt. Ein Passant hatte dort mehrere Fassadenteile auf dem Boden entdeckt. Prompt war die Feuerwehr mit mehreren Fahrzeugen und einer Drehleiter vor Ort. In einer Höhe von 30 Metern wurden mehrere Schadstellen entdeckt. Mit einem weiß-roten Absperrband wurde der Bereich gesichert. Schilder warnen auch in englischer Sprache vor „falling stones“, herabfallenden Steinen.
Spezialisten sollen Fassade dauerhaft sichern
Inzwischen wurde eine feste Absperrung mit Verkehrsbaken aufgestellt. Während der Rathausmarkt weiterhin zugänglich ist, bleiben der Gehweg an der Großen Johannisstraße und eine der beiden Fahrbahnen auf der Seite des Rathauses gesperrt. Eine Baufirma soll die Schäden am mehr als 100 Jahren alten Wahrzeichen der Hansestadt nun unter die Lupe nehmen.
Drei Abbruchstellen sollen sich im Sandstein auf der Höhe des Blitzableiters befinden. „Seit Sonnabend ist nichts mehr herabgefallen, aber vorsichtshalber sperren wir weiter ab“, hieß es am Sonntag bei der Polizei.
Dass auch Wahrzeichen bröckeln können, dürfte niemanden überraschen. „Doch so etwas habe ich in meiner Dienstzeit noch nie erlebt“, sagt am Sonntag ein Security-Mitarbeiter im Rathaus. Auch er befürchtet: „Da hätte jemand sterben können.“ Außerdem sei kein starker Wind oder Sturm gewesen, was den Steinschlag unmittelbar ausgelöst haben könnte. Die 15 Zentimeter großen Gebäudeteile waren direkt am Haupteingang des beliebten und auch am Sonnabend geöffneten Restaurants „Parlament“ eingeschlagen. Weil dieser Zugang nun geschlossen werden musste, ist die Gaststätte im früheren Ratsweinkeller jetzt über einen Nebeneingang erreichbar.
1988 stürzte ein Schwert am Bürgermeister-Büro vorbei
Vor sechs Jahren schon hatte ein weiterer Steinschlag für Aufsehen gesorgt. Ein gut zehn Kilo schwerer Mauerstein war damals vom Turm des Mahnmals St. Nikolai auf den Fahrradweg der Willy-Brandt-Straße gestürzt. Der Brocken hatte sich von der Südseite des Turms gelöst. Zum Glück wurde auch dabei niemand verletzt. Dieses Ereignis war schließlich Auslöser einer umfangreichen Turmsanierung. Viele Hamburger fragen sich nach dem Steinschlag am Rathaus, ob das erst 1997 für damals 75 Millionen D-Mark restaurierte Rathaus ebenfalls erneut zum Sanierungsfall wird. Es war der 2016 verstorbene Bürgermeister Henning Voscherau, der kurz nach seinem Amtsantritt die Sanierung vorangetrieben hatte.
Aus gutem Grund. Denn kaum war er im Jahr 1988 im Amt, da rauschte im Sturm ein steinernes Schwert an seinem Dienstzimmerfenster vorbei. Es stammte von einem der Kaiser-Figuren zwischen den Fensternischen. „Reiner Zufall, dass es niemanden aufspießte“, sagte er. Jedenfalls war dieser Vorfall der Anlass, den „grauenvollen Zustand des Rathauses“ (Voscherau) zu beseitigen. Als es endlich im Mai 1997 in neuem Glanz erstrahlte, glaubte der damalige Bürgermeister: „Jetzt hält das erst mal wieder 90 Jahre.“ Ein Architektenteam unter Leitung von Martin Haller (1835–1925) hatte das Rathaus nach langer Projektphase konzipiert. Der Bau war notwendig geworden, weil das vorherige Gebäude an der Trostbrücke beim Großen Brand 1842 gesprengt wurde, um die verheerende Feuerwalze zu stoppen, was damals aber nicht gelang. Bis das neue Rathaus bezogen werden konnte, vergingen 55 Jahre, in denen Senat und Bürgerschaft die Regierungsgeschäfte in provisorischen Räumen führten.
Hamburgs sechstes Rathaus thront auf 4000 Eichenpfählen im Alstermarschboden. Der Grundstein wurde am 6. Mai 1886 gelegt. Die Bauarbeiten verliefen allerdings schleppend: Choleraepidemie und Streiks bremsten den Fortgang. Das imposante Neorenaissance-Gebäude mit dem 112 Meter hohen Turm und den 647 Räumen wurde 1897 mit einem Volksfest eingeweiht.