Hamburg. Vierter Teil der Serie: Liz Malraux über die Mode im neuen Konzerthaus beim Auftritt von John Malkovich.

Wir stehen am Fuß der Treppe zum Großen Saal und zählen Rucksäcke – eins, zwei, drei, vier. Dazwischen sind sogar ein paar robuste Kuriertaschen. Ihre Träger haben dunkle Jeans und Daunenjacke an. Verständlich: An diesem Abend ist das Hamburger Wetter nicht besonders gnädig zum Konzertpublikum, das in die Elbphilharmonie strömt. Es ist kalt, windig und regnerisch. „Aber ein bisschen mehr Farbe und Chic hätte ich schon erwartet“, sagt Stil-Expertin Liz Malraux (52).

Die Hamburger Modedesignerin, selbst in schwarzer Hose und rosa Kroko-Blazer aus ihrer eigenen Kollektion, macht nicht nur das Wetter für den Lässig-Look der Hamburger verantwortlich: „Anhand ihrer Kleidung kann man erkennen, dass die Leute kein klassisches Konzert, sondern ein modernes Stück besuchen. Das spiegelt sich im sportlichen Outfit wider.“ An diesem Abend wird „Just Call Me God“ mit John Malkovich und Sophie von Kessel in den Hauptrollen gezeigt. Ein älterer Herr, der wie ein klassischer Konzertbesucher mit Anzug, weißem Hemd und roter Fliege gekleidet ist, fällt da schon auf. „Zu altmodisch für diesen Rahmen“, findet Liz Malraux.

Junge Leute in gedeckten Farben

Natürlich sind auch einige Damen in eleganten schwarzen Kleidern unter den Besuchern. Eine junge Frau trägt sogar zu ihren silbernen Pumps eine farblich passende kleine Handtasche, Clutch genannt. „Ein schöner Blickfang“, urteilt die Designerin. „Accessoires können einen schlichten Look enorm aufwerten.“ Liz Malraux, die beruflich viel unterwegs ist und häufig mehrere Termine am Tag wahrnehmen muss, hat immer ein schönes Halstuch, Schmuck und Pumps zum Umstylen bei sich. So wird aus einem Alltags- schnell ein Abend-Outfit.

Über die Modedesignerin

Von Sneakers bis zu Stilettos ist an diesem Abend alles dabei. Gilt für die Laeiszhalle oder die Staatsoper vielleicht noch, sich dem festlichen Rahmen des Hauses angemessen zu kleiden, scheint für die Elbphilharmonie kein Dresscode zu existieren. Jeder kommt, wie er mag. Das entspricht ganz der Philosophie des Intendanten Christoph Lieben-Seutter, der das Konzerthaus für alle öffnen will. Nicht nur in musikalischer, sondern offenbar auch in modischer Hinsicht.

Wegfall der Etikette

Man kann den Wegfall der Etikette beklagen. Oder sich über die neue Freiheit freuen wie Liz Malraux: „Wir leben in modernen Zeiten. Seien wir doch froh, dass wir vom einstigen Kleiderzwang befreit sind und uns so kleiden dürfen, wie wir uns fühlen.“ Sie habe ohnehin in 30 Jahren Selbstständigkeit gelernt, dass man anhand von Kleidung nicht auf Menschen schließen kann – „weder auf Bildung oder Stellung noch auf die Persönlichkeit“. Lediglich eine Gruppenzugehörigkeit könne man anhand von Marken noch festmachen.

Wir setzen unser Gespräch über Stil in der Störtebeker Gastronomie im fünften Stock des Hauses fort. Hier geht es bei Brauspezialitäten und Burgern rustikal zu. Die Klientel: Konzertbesucher, Touristen und Leute, die einfach nur ein Bier trinken wollen mit Blick auf den Hafen. Außer einem jungen Mann, der zu einem hellgrauen Anzug Parka und Wolltuch trägt, gibt es für die Expertin nichts Aufregendes zu entdecken. „Hier sitzen so viele junge Leute, aber alle tragen gedeckte Farben.“ Dabei seien rote, lila und kobaltblaue Kleider doch gerade so angesagt. „Aber man muss auch die entsprechende Figur und den Mut haben, um diese starken Farben tragen zu können“, sagt Malraux.

Auf raffinierte Details setzen

Wer sich nicht so viel zutraut, aber dennoch Akzente setzen will, sollte nach Meinung der Designerin lieber auf raffinierte Details setzen. So wie eine Dame, die in ihrem schwarzen Nadelstreifen-Kostüm und dazu kombiniertem, schlichten Goldschmuck sehr edel, aber dennoch zurückhaltend rüberkomme. Oder eine junge Frau, die ihre blonden langen Haare kunstvoll geflochten und eingedreht hat. Auch eine schwarze Strumpfhose mit goldenem Glitzer könne ein kleiner Hingucker bei einem sonst schlichten Look sein.

Leider gibt es auch Gäste, die ins modische Fettnäpfchen treten. Etwa eine ältere Besucherin, die eine dunkelrote Steppweste zur Jeans trägt. „Viel zu sportlich, auch wenn man nur hier in der Bar etwas trinken möchte“, meint Liz Malraux. Besonders ins Auge sticht ihr aber eine Frau in einem dicken grauen Strickpulli mit großem Rollkragen, der das halbe Gesicht versteckt. „Für den Skiurlaub ist so ein Pullover toll, aber nicht für eine Bar oder sogar ein Konzert. Ich kann nur hoffen, dass sie sich so nicht vor das Orchester setzt.“

Publikum ohne Schwellenangst

Ihr Fazit nach 90 Minuten in der Elbphilharmonie: „Die schlichte Architektur und das moderne, weltoffene Konzept des Konzerthauses zieht ein Publikum an, das keine Schwellenangst mit den dargebotenen Stücken hat. Aber ich würde mir wünschen, dass die Besucher dem festlichen Anlass und den Künstlern durch ihre Kleidung mehr Respekt zollen. Ausgelatschte Turnschuhe, Jeans, Strickpullover und klobige Rucksäcke müssen in der Elbphilharmonie nicht sein.“