Hamburg. Firmen aus der Metropolregion Hamburg bringen viele Innovationen auf den Markt. Wir prüfen, wie gut sie sind. Heute: Tonic-Sirup.

Gegen Mittag zieht der Geruch gebratenen Fleisches durch die Räume der Cateringfirma in Haus K des Valvo-Parks in Ochsenzoll. In der Kälte draußen vor der Tür steht ein transportabler Grill samt aufgespießtem Spanferkel bereit für die Fahrt zum Kunden. Oben im ersten Stock sitzen Peter Hundert und Hendrik Schaulin und erklären detail- und kenntnisreich, warum China-Rinde mit China rein gar nichts zu tun hat, welche unerwünschten Nebenwirkungen latentes Chinin haben kann und dass es deshalb unbedingt ratsam ist, die Schwebstoffe aus dem Tonic-Sirup herauszufiltern.

Der Fotograf und der Modestylist sind Untermieter beim Caterer. In seiner Küche köcheln sie nebenberuflich aus Agavendicksaft, Orangen-, Zitronen-, Limetten-, und Grapefruitsaft und eben Chinarinde ihren „Bio-Getränke­sirup zur Herstellung von chininhaltiger Tonic-Limonade“, so die offizielle Bezeichnung. Kürzer: Tonic-Sirup. Mit kohlensäurehaltigem Mineralwasser lässt sich daraus der nichtalkoholische Grundstoff für Gin Tonic mixen.

Hier können Sie alle bisher erschienenen Tests lesen

„Wir haben uns irgendwann gefragt, warum man inzwischen sehr guten Gin bekommt, ihn aber mit indus­triell gefertigtem und oft überzuckertem Tonic mixen muss“, sagt Schaulin über den ersten Impuls zur Entwicklung des Produkts. Einige Wochen später standen die beiden mit einem Rezept und den einschlägigen Zutaten in der Küche einer Hamburger Wohnung und stellten die erste Charge her: 100 Fläschchen – Weihnachtsgeschenke, mit denen man sich als Freiberufler bei Auftraggebern in Zeitschriftenredaktionen und bei Agenturen gern in Erinnerung hält.

In der Kreativbranche kommen solche individuellen Präsente gut an. Schon einige Wochen später, erinnert sich Hundert, hatten der Fotograf und der Stylist den Eindruck, „dass wir jetzt ganz dringend eine Firma gründen müssen“. Die Fotoredakteurin einer Hamburger Lifestyle-Food-Zeitschrift hatte ihre persönliche und schon fast leere Sirup-Flasche noch schnell fotografieren lassen – das Magazin berichtete über das neue Bargetränk aus der Hansestadt. Weitere neun Monate später standen die ersten Flaschen Tonic-Sirup dann tatsächlich im Regal eines Supermarkts – in der Edeka-Niemerszein-Filiale an der Langen Reihe in St. Georg.

Jahresumsatz von etwa 100.000 Euro

Die Firma pHenomenal Drinks produziert mittlerweile auch einen Ginger-Beer-Sirup und setzt pro Monat durchschnittlich 1000 Flaschen mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 11,99 Euro ab. Schaulin und Hundert wenden zumeist etwa die Hälfte ihrer Wochenarbeitszeit für Produktion und Präsentationen auf. Der Jahresumsatz beträgt etwa 100.000 Euro. „In Europa sind wir die Einzigen, die Tonic-Sirup herstellen“, sagen die beiden. Sie wissen das, weil sie auch einen auf Bargetränke spezialisierten Onlineshop in Australien beliefern. Der führt 18 Tonic-Sirupe. Die meisten kommen aus den USA.

In Deutschland läuft der Verkauf im Onlineshop (www.phenomenaldrinks. com), bei gut sortierten Edeka-Märkten, Spirituosen Wolfoder Concept-Stores, die etwa Kleidung aber auch ein, zwei hippe Getränke verkaufen. Dass der Sirup im Handel bisweilen gleich neben dem in Hamburg destillierten Gin Sul platziert oder mit einer Flasche davon zum Präsentpaket geschnürt wird, empfinden Schaulin und Hundert als Wertschätzung ihres Produkts.

Glühwein-Sirup für Edeka

In einigen Edeka-Nord-Märkten stand vor Weihnachten ein Winter-Sirup von pHenomenal im Regal, eine Auftragsarbeit. 6000 Flaschen hatten Hundert und Schaulin produziert. In ihrem Onlineshop gibt es den Grundstoff für Glühwein noch. Solche Auftragsarbeiten gibt es immer mal wieder.

Die Gründer sind überzeugt: „Wir wissen, wie es geht.“ Aber drei Jahre nach dem Markteintritt stellen sie sich auch grundsätzliche Fragen: Entwickelt sich die Firma so, dass es die Perspektive gibt, eines Tages ausschließlich von seinen Erträgen leben zu können? Sollen sie stärker auf individuelle Kundenaufträge setzen oder sich mit neuen Produkten in den hart umkämpften Markt der Bargetränke stürzen? Wollen sie auch in Jahren noch Wochenenden auf Messen oder Sonnabendnachmittage an einem Promotionstand im Supermarkt verbringen, um zu erklären, wie man aus ihrem Sirup ein Tonic bereitet? Sind ihre Produkte doch zu kompliziert, um breite Käuferschichten zu erreichen? Irgendwann am Vormittag sagt Hendrik Schaulin den entscheidenden Satz: „Wir hätten nichts dagegen, wenn ein Investor sich meldet.“

Nächster Test Jeden Dienstag im Wirtschaftsteil. Lesen Sie am 14. März: Klebeschrauben von Tesa. Alle bisherigen Tests lesen Sie online unter www.abendblatt.de/testserie

Test: Eine Cocktail-Zutat für Fortgeschrittene

Die Flasche: Der Tonicsirup wird in 250-Milliliterflaschen abgefüllt. Jede hat eine handgeschriebene Nummer auf dem Etikett. Sie zeigt, um welche Flasche aus welcher Produktionscharge es sich handelt. Die Hersteller empfehlen ein Mischungsverhältnis von 1:5 mit kohlensäurehaltigem Wasser. Aus einer Flasche Sirup lassen sich also etwa 1,5 Liter Tonic anmixen.

Geschmack: Vergessen Sie Schweppes Tonic. Mit dem Standardprodukt hat der mit Wasser angemischte Sirup rein gar nichts zu tun. Wer sich peinlich genau ans Mischverhältnis hält, bekommt ein intensives, beinahe medizinisch schmeckendes Getränk, das mit der süffig-süß-bitteren Limonade nur den Namen gemein hat. Schon geringe Abweichungen von den empfohlenen zwei Zentiliter Sirup auf zehn Zentiliter Wasser verändern den Geschmack nachhaltig. Genau wie der Kohlensäuregehalt des Mineralwassers. Bei diesem gilt das Motto „viel hilft viel“, sonst schmeckt’s schnell labberig.

Mit Gin: Weil das „phenomenale“ Tonic so intensiv schmeckt, braucht es ein entsprechendes alkoholisches Pendant, über das man Stunden des Fachsimpelns und Probierens ins Land ziehen lassen kann. Wohl auch deswegen empfehlen die Macher das recht starke Mischverhältnis von 1:3. Das Tonic mit dem Standard-Gin Gordon’s zu mischen geht, wäre aber eindeutig verschenkt.

Preis: Eine Flasche Sirup kostet um die 12 Euro, umgerechnet schlägt ein Liter angemischter Tonic mit etwa 8 Euro zu Buche. Das ist viel teurer als Schweppes, aber günstiger als Portionsfläschchen von Fentiman’s oder Fever Tree.

Fazit: Für den Gelegenheits-Gin-Tonic-Trinker ist das Hamburger Bioprodukt definitiv nicht gedacht. Wer aber Spaß am Experimentieren hat und den Sirup als pur verwendete Cocktail-Zutat und nicht als Vorstufe zur Limonade begreift, der findet seine Freude am kleinen Fläschchen. Das Urteil: 3,5 von fünf Sternen.