Hamburg. Landwird Andy Reimers ackert für Qualität ohne Kompromisse. Doch das Geschäft wird auch auf Märkten wie in Eppendorf schwieriger.

Felder, so weit das Auge reicht. Die aufgehende Sonne wirft ein fahles Licht auf den Trecker, das Bild wirkt schon beinahe kitschig. Andreas Reimers (38) tippt auf das Smartphone-Display und sagt: „Ich habe dieses Foto um 8 Uhr morgens gemacht. Genau für solche Momente bin ich Bauer geworden.“

Reimers steckt das Handy wieder in die Weste und schaut durchs Fenster des Cafés am Eidelstedter Marktplatz auf seinen Verkaufswagen. Von Sonne keine Spur; nur wenige Kunden verlieren sich auf dem Wochenmarkt. Tristesse. Reimers weiß, dass er an diesem Sonnabend knapp die Hälfte der mitgebrachten 700 Kilo Kartoffeln wieder zurück auf seinen Marienhof nach Padenstedt in der Nähe von Neumünster fahren wird. Die Geschäfte, sagt er, gingen schon mal deutlich besser. Der Januar sei auch nicht so doll gewesen.

Elfmal Markt pro Woche

Zwischen Padenstedt und Eidelstedt sind es nur 55 Kilometer, man muss einfach nur die A 7 lang. Und doch spiegeln diese 55 Kilometer den ganzen Spagat, den Andy Reimers bewältigen muss. Dort die Arbeit als klassischer Landwirt auf einem Hof mit 110 Hektar im schleswig-holsteinischen Kreis Rendsburg-Eckernförde mitten in der weiten Natur: Spargel, Kartoffeln und 4500 Hühner in Freilandhaltung. Hier der Verkauf auf den Wochenmärkten in Volksdorf, Eidelstedt, Schenefeld, Bad Bramstedt, Großensee, Lütjensee. Und an der Ise­straße in Eppendorf, auf einem der bekanntesten Hamburger Märkte. Elfmal Markt pro Woche, da entscheidet sich, ob sich die ganze Plackerei in Padenstedt gelohnt hat.

Auch an diesem Morgen ist er um 4 Uhr aufgestanden, Kartoffelsäcke und Eierkartons aufladen. Und dann los. Reimers macht das nichts aus, die Tage im Winter seien ja noch vergleichsweise entspannt. Richtig stressig werde es erst Mitte März, wenn die Spargelsaison beginnt. Dann klingelt der Wecker um 1 Uhr nachts – nach drei Stunden Schlaf. Bevor die Erntehelfer aus Rumänien und Bulgarien aufstehen, um Spargel zu stechen, steht Reimers schon in der Halle, verpackt, organisiert – und schreibt. Der „ganze Papierkram“, sagt er, nehme Jahr für Jahr zu. Immer neue Verordnungen, immer mehr Bürokratie, vom Reinigungsprotokoll bis zu Stundendokumentationen.

Er spricht von Spargel, als seien es Edelsteine

Andererseits sei es auch die schönste Jahreszeit. Reimers spricht von seinen Spargelstangen wie von Edelsteinen. Er baut vor allem die Sorte Huchels Alpha an, nicht so gerade und nicht so weiß wie die holländischen Züchtungen. Und vor allem nicht so ertragreich. Aber dafür lecker, so lecker, dass die Eidelstedter Pastorin Imke Sander an ihn den roten Faden weiterreichte. „Wenn ich solche Komplimente höre, weiß ich, dass sich die ganze Schufterei mit 120-Stunden-Wochen lohnt“, sagt Reimers.

Und wieder spürt man den Spagat. Wer wie er bedingungslos auf Qualität setzt, kann im Preiskampf mit Discountern nicht bestehen: „Top-Ware und Top-Ertrag geht nicht, Sie müssen sich entscheiden.“ Reimers hat sich dafür entschieden, möglichst wenig Dünger einzusetzen, lieber weniger ernten, aber dafür mehr Geschmack liefern: „Sonst würde es mir keinen Spaß machen.“

Nicht billig, sondern gut muss die Ware sein

Reimers hasst die „Geiz ist geil“-Mentalität. Auch das Fleisch kauft er bei befreundeten Schlachtern, selbst wenn das Kilo Rinderfilet dort 70 Euro kostet: „Schon meinen Kindern schmeckt das abgepackte Zeug aus dem Supermarkt nicht.“

Sein Problem: Kundinnen wie Pastorin Sander werden rar. Irgendwann, fürchtet Reimers, werden auch Wochenmärkte nur noch etwas für Nostalgiker sein: „Die jungen Leute werden daheim sitzen und sich die Lebensmittel online bestellen. Das Liefergeschäft machen dann die großen Konzerne.“ Reimers deutet auf die Stände mit Billig-Klamotten auf dem Eidelstedter Markt: „Die werden immer mehr, weil viele Kollegen aufgegeben haben.“

Um noch möglichst lange im Marktgeschäft mitmischen zu können, setzt Reimers neben Qualität („Ich kann es mir nicht leisten, schlechte Ware zu verkaufen“) auch auf Technik. Er hat zwei mobile Spargelschälmaschinen angeschafft, seine Kunden können sich das mühsame Schälen daheim also sparen. Statt in Plastiktüten verpackt er die Ware jetzt in Papiertüten mit dem Logo des Marienhofs, die kosten ihn zwar 15 statt zwei Cent, aber die Kunden lieben es. Neuerdings hat er sogar einen Medienberater engagiert, der eine Facebook-Seite für ihn kreiert hat. Privat käme er nie auf die Idee, sich in die sozialen Netzwerke zu stürzen („wenn ich einem Freund etwas sagen will, fahre ich hin oder ruf ihn an“), aber so kann er seinen Kunden zumindest mit Videos und Fotos Anschauungsunterricht vom Marienhof liefern.

Schneebedeckten Spargel will er in diesem Jahr nicht sehen

Das ist ihm wichtig; viele Leute, sagt Reimers, könnten doch die Arbeit eines Landwirts gar nicht mehr wertschätzen. Wer wisse denn schon, dass die Kartoffeln auf seinem Hof noch von Hand eingepflanzt werden? Wobei Reimers ebenso gern das Zusammenspiel zwischen Technik und Natur zeigt. Etwa seinen Trecker mit vier Bildschirmen, der die Spur dank satellitengesteuertem Lenksystem auf den Zentimeter genau zieht: „Dieses Zusammenspiel mit der Technik macht mir Spaß. Das ist moderne Landwirtschaft.“

Und zugleich auch eine Art Gegendarstellung zu der Schlagzeile des Boulevardblatts auf dem Café-Tresen, die von irgendeinem neuen Skandal bei der RTL-Reihe „Bauer sucht Frau“ kündet. Darüber kann sich der sonst eher bedächtige Landwirt mächtig aufregen: „Wir Bauern werden in solchen Sendungen wie die letzten Dussel dargestellt.“

Ein Kartoffel-Geschäft unter Freunden

Er selbst hat mächtig Glück gehabt in der Liebe. Seine Frau, die als Beamtin bei der Bundespolizei arbeitet, toleriert die Entbehrungen eines Landwirtlebens. Dieser Sonnabend, sagt Reimers, sei typisch. Noch am Morgen habe er ihr versprochen, dass sie am Nachmittag nach Rostock fahren, um dort Geburtstag zu feiern: „Aber jetzt hat ein Freund ganz kurzfristig 15 Tonnen Kartoffeln bei mir bestellt. Die muss ich noch ausliefern, also kommen wir deutlich später los. Und dann heißt es wieder, Bauer Reimer ist mal wieder unpünktlich.“ Aber er könne einen solchen Auftrag nicht einfach ablehnen, das Risiko, dass sich der Kollegen dann einen anderen Lieferanten suche, sei einfach zu groß. Und außerdem: Freundschaft ist Freundschaft, erst recht unter Bauern.

Wenn ihn überhaupt etwas nervt an seinem Job, dann das Image des Landwirts: „Sobald irgendwo ein Skandal auftaucht, dass ein Bauer zu viel Gülle ausgekippt hat, stehen wir Landwirte wieder am Pranger. Dabei gibt es in jedem Beruf schwarze Schafe. Dass 99 Prozent einwandfreie Arbeit abliefern und sich nichts zu schulden kommen lassen, will niemand wissen.“ Neulich habe er in Eidelstedt mal ein paar Minuten in seinem Lkw eine DVD geguckt, war gerade wenig los an seinem Stand, die Verkäuferinnen kamen auch ohne ihn klar. Prompt witzelte ein Kunde: „So gut möchte ich es auch einmal haben.“

Den Hof soll die nächste Generation übernehmen

Egal. Reimers liebt seinen Beruf, der für ihn auch Berufung ist. Schon als Siebenjähriger, als er die ersten paar Mark mit Rübenziehen beim Opa verdiente, habe er gewusst, dass er nichts anderes machen will. Und auch seine Jungs, zehn, acht und fünf Jahre alt, seien vom bäuerlichen Leben schon infiziert. Reimers hofft, dass er eines Tages den Marienhof an die nächste Generation übergeben kann. Ganz sicher ist er sich nicht: „Wir müssen abwarten, wie sich die Geschäfte entwickeln.“

Zukunftsmusik. Vorerst gilt seine ganze Konzentration der kommenden Spargelsaison, den auch finanziell wichtigsten Wochen des Jahres. Reimers zeigt auf seinem Smartphone Bilder von schneebedeckten Spargelbeeten aus den späten Apriltagen vergangenen Jahres: „Da wurde es noch einmal richtig kalt.“ Für einen Spargelbauern eine mittlere Katastrophe, Minusgrade zerstören die empfindliche Pflanze. Reimers hofft, dass ihm nun ein ähnliches Malheur erspart bleibt. Wie ein Kind freut er sich schon auf seinen ersten Teller Spargel, mit Schinken, Kartoffeln und Sauce hollandaise. Genießen wird er ihn indes nur ganz am Anfang der Saison, später reicht die Zeit nicht einmal mehr zum Kochen. Dann fährt Genießer Reimers schon mal schnell zu McDonald’s.