Imke Sander ist viel beschäftigte Mutter und Pastorin in Eidelstedt. Ihre Mission: mehr Familien für ihre Gottesdienste zu begeistern – zum Beispiel mit Spaghetti-Andachten. Ein Porträt von Jan Haarmeyer

Wie ihre Kirche aussähe, wenn sie sich eine malen könnte? „Das wäre eine Ansammlung vieler fröhlicher Menschen“, sagt Imke Sander. Menschen, die ihren Glauben so leben, „dass man ihnen das abspüren kann“. Eine schöne Wortbildung ist das, die der gut gelaunten Pastorin da am frühen Morgen so beiläufig über die Lippen kommt. Was man ihr „abspürt“, ist die unbedingte Freude an ihrem Beruf. Als könne sie es kaum erwarten, dass es wieder losgeht mit dem Menschenfangen in ihrer Christuskirche in Eidelstedt.

Die kleine Levke schläft draußen in der Karre vor der gläsernen Tür, drinnen erzählt Imke Sander von ihrem Spagat als berufstätige Mutter mit drei Kindern. Clara ist sieben, Justus ist fünf Jahre alt. Die beiden kamen mit neun und zehn Monaten in die Krippe. Levke ist zehn Monate, und im Juni wird ihre Mutter, sozusagen, statt in der Küche wieder von der Kanzel predigen. Fällt ihr das schwer, die Kinder bald wieder weniger Stunden am Tag auf ihrem Weg durchs Leben begleiten zu können? „Eigentlich nicht, obwohl es den beiden Älteren auch gutgetan hat, dass ich in den vergangenen Monaten immer da gewesen bin“, sagt sie.

Andererseits seien die beiden schon sehr selbstständig. „Und ich weiß meine Kinder in guten Händen.“ Vor allem aber habe es auch ihr selbst gutgetan, immer wieder in ihren Job zurückzukehren. Ihr Mann ist Anwalt, er arbeite ebenfalls sehr viel, einmal in der Woche kommen ihre Eltern aus Bergedorf zur Unterstützung der jungen Familie nach Eidelstedt. Dreifache Mutter, Pastorin und ein viel arbeitender Mann, wie geht das? „Letztlich ist alles nur eine Frage der Logistik“, sagt Imke Sander. „Aber ja, es geht.“ Punkt. „Und es ist auch gut so.“

Ihr Beruf, sagt sie, sei nun mal einer, den man nicht halb machen könne. Immerhin hält sie sich die Nachmittage zwischen 16 und 19 Uhr frei. „Kinderzeit.“ Aber keine Abendtermine, um Zeit für die Familie zu haben? „Das wäre schön, geht aber nicht.“ Denn die ehrenamtlichen Gemeindemitglieder kommen in der Regel abends zusammen. Wenigstens immer ein freies Wochenende? „Schwierig als Pastorin.“

Zumal wenn man so kreativ ist und sich die Spaghetti-Andachten ausgedacht hat. Fünfmal im Jahr treffen sich in der Christuskirche Eltern mit ihren kleinen Kindern am Sonntag um 17.30 Uhr. Nach einer kleinen Andacht mit Liedern, Gebeten und Basteln gibt es Nudeln mit Tomatensoße. „Kirche in kleinen Portionen“, sagt Imke Sander.

Sie sprechen mit den Kindern über das Fasten, über die Nächstenliebe oder darüber, wo die Menschen bleiben, wenn sie sterben. Und vor Weihnachten gibt es das Krabbeln an der Krippe. „Seit wir nach den Andachten noch zusammen Spaghetti essen, kommen immer mehr Familien zu uns in die Kirche“, sagt Imke Sander. Die Menschen hätten ein Bedürfnis, sich auszutauschen. Und vor allem so versteht sie Kirche ja auch: als Ort der persönlichen Begegnungen.

Es gibt in diesen Zeiten Theologen wie Gerhard Wegner, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland, die der Kirche eine Zukunft als Sozialkirche voraussagen. Weil das Interesse am religiösen Gespräch abnehme, während bei vielen Gemeindemitgliedern der Einsatz für Arme und Schwache zunimmt. Christen, für die das Jesus-Wort aus dem Matthäus-Evangelium der Leitsatz ist: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Auch in Eidelstedt, sagt Imke Sander, seien in ihrer Gemeinde eines Tages 30, 40 Leute erschienen, die sich für Flüchtlinge engagieren wollten „und die wir hier vorher zum Teil nie gesehen haben“. Gerade in Krisenzeiten sei die Kirche anscheinend für viele auch ein ganz wichtiger Ansprechpartner. Ihre Gemeinde aber möchte sie nicht auf eine Sozialkirche reduzieren. Genauso wichtig sei nach wie vor die Botschaft: „Jesus als Gottes Sohn, der Mensch geworden ist. Der Trost spendet, wenn etwa bei alten Menschen das Augenlicht nachlässt. Weil er selbst als Mensch durch Höhen und Tiefen gegangen ist und auch Schmerz und Einsamkeit durchlebt hat.“

Dass sie jetzt als evangelische Pastorin arbeitet, daran ist, wenn man so will, das katholische Sophie-Barat-Gymnasium schuld. Die kleine, lebhafte Imke war schon mit fünf Jahren auf Anraten ihrer Turnlehrerin eingeschult worden. Obwohl evangelisch, kam sie deshalb in die katholische Grundschule in Bergedorf. Die Frage, auf welches Gymnasium sie anschließend gehen würde, hat sie dann selbst sehr eindeutig beantwortet. Beim „Tag der offenen Tür“ war sie von der damaligen Schulleiterin der Sophie-Barat-Schule, Schwester Peters, so begeistert, dass sie ihren Eltern sagte: „Wir brauchen uns gar keine weiteren Gymnasien anzuschauen, das ist meine Schule.“ Auch wenn sie eine der wenigen Protestanten unter lauter katholischen Mitschülern gewesen ist. „Das war manchmal nicht einfach, wenn während des Gottesdienstes alle zur Kommunion gingen und nur ich in der Bank sitzen bleiben musste.“

Aber die Fragen nach Gott und nach dem Sinn des Lebens, die Diskussionen mit Lehrern und Mitschülern haben sie immer fasziniert. Und als ihr Musiklehrer Werner Singer sie fragte: „Willst du nicht nach dem Abitur Pastorin werden?“, habe sich dieser Gedanke bei ihr irgendwie eingepflanzt.

Nach einem freiwilligen sozialen Jahr in einer Gemeinde in Bergedorf, in der sie erstmals „Kirche von innen“ kennenlernte, hat sie dann wirklich Theologie studiert. Sie war in vier Städten, und das auch deshalb, „weil man nach dem Studium als Pastorin nicht mehr so weit rumkommt“. In Heidelberg. „Da habe ich meinen Mann kennengelernt.“ In Leipzig. „Kurz nach der Wende, eine tolle Stadt und ein toller Universitäts-Chor.“ In Oslo. „Das war aufregend, dort habe ich auch Norwegisch gelernt, und der Blick von außen auf Deutschland hat mir gutgetan.“ Und schließlich Berlin. „Eine anstrengende Zeit, weil ich mich dort auf das Examen vorbereitet habe.“

Seit neun Jahren ist sie jetzt in Eidelstedt, wo nach der für viele schmerzhaften Fusion der Gemeinden von ehemals vier Gotteshäusern (mit 10.300 Mitgliedern) noch zwei Kirchen übrig geblieben sind. Rund 8500 Gemeindemitglieder zählen sie jetzt noch in diesem Stadtteil, der sichtbar immer beliebter wird bei jungen Familien. „Wir beobachten gerade einen Zuzug von Paaren, die bisher in Eimsbüttel in einer Altbauwohnung gewohnt haben und sich nach der Geburt des zweiten Kindes ein Häuschen mit Garten wünschen.“ Und das sei in Eidelstedt noch etwas erschwinglicher als anderswo.

Die Folge ist eine ziemlich lebendige Gemeinde. Für viel Schwung sorgt seit Jahren das Musiktheater der Christuskirche. Eine Gruppe aus rund 80 Gemeindemitgliedern, die alle Jahre wieder Großartiges auf die Beine stellen. Zuletzt begeisterten sie mit dem Musical „Der mit dem Papst tanzt“ die Zuschauer in der voll besetzten Kirche, die für diesen Zweck zu einem Konzertsaal mit Lautsprechern und professioneller Beleuchtung umgerüstet worden war. „Auch über diese Gruppe finden Menschen den Weg in diese Kirche“, sagt Imke Sander.

Die Zeiten, in denen Kirche zum Sonntagsgottesdienst um zehn Uhr morgens eingeladen hat und alle gekommen sind, seien vorbei. Es sei ein bisschen abgedroschen, aber nach wie vor wahr: „Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen.“ Und zehn Uhr morgens am Sonntag, das könne sie als dreifache Mutter bestens beurteilen, sei für junge Familien schon „sehr sportlich“. Deshalb beginnen die Familiengottesdienste in der Christuskirche am Sonntag auch erst um elf Uhr.

Ab Juni wird auch Imke Sander dann wieder auf der Kanzel oder am Taufbecken stehen und fröhlich die frohe Botschaft verkünden. Dort hat sie jetzt die kleine Levke platziert, die pünktlich nach dem Gespräch aufgewacht ist und für das Foto nun putzmunter mit dem roten Faden hantiert. Pastorin und Mutter, so sieht es aus, das passt schon.