Hamburg. In Ottensen gibt es bald 1200 verschiedene Lebensmittel ohne Klebereiweiß. Längst kein Thema mehr nur für Kranke.

Nichts. Noch sieht man nichts im Laden. Nichts, von dem weißen Tresen, an dem Backwaren und Kaffee verkauft werden. Nichts von den hellen Tischen und Stühlen, die im Café-Bereich aufgestellt werden und an denen man belegte Brötchen oder Kuchen essen kann. Und nichts von den weißen Regalen, in denen bald die Waren stehen werden. Glutenfreie Waren. Sonst – Nichts!

Denn G(l)ut’n’free will der erste glutenfreie Supermarkt sein, der ausschließlich solche Produkte führt. Der nichts anbietet, was Klebeeiweiß beinhaltet. Bereits in wenigen Wochen, am 16. März, beginnt der Verkauf von Backwaren, Mitte April wird der Supermarkt im hinteren Teil des Ladens eröffnet. Auch wenn bisher nichts an ein Geschäft erinnert.

Große Nachfrage

Die Initiatoren von G(l)ut’n’free sind Lutz von Buttlar und Nils Hilker, beide 39, beide mit Vertriebserfahrungen in der Lebensmittelbranche. Sie haben gemeinsam bei einem Fisch- und Feinkostbetrieb gearbeitet – und dabei gemerkt, wie groß die Nachfrage nach glutenfreien Produkten ist.

Als dann ein Freund eine Bäckerei für glutenfreie Backwaren in Berlin eröffnete und sie hörten, wie gut das Konzept funktioniert, stand für sie fest, sich ebenfalls selbstständig zu machen: mit einem glutenfreien Supermarkt. Etwas, das es in dieser Art nach ihren Recherchen nicht gab – und gibt. „Natürlich bekommt man heute in jedem Supermarkt und Bio-Laden ein paar glutenfreie Produkte. Meistens kann man seinen Bedarf aber nicht in einem Laden decken und muss sich seine Zutaten mühsam in verschiedenen Geschäften zusammensuchen“, sagt Lutz von Buttlar.

Glutenfreie Ernährung ist schwer

Anders bei G(l)ut’n’free, das auf ein geballtes Angebot setzt: „Bei uns bekommt man alles, was man fürs tägliche Leben braucht – wenn man Zöliakie, also eine Glutenunverträglichkeit, hat oder wenn man aus anderen Gründen auf Gluten verzichten will“, sagt Nils Hilker. Die beiden Gründer ernähren sich selbst vorwiegend glutenfrei und wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist. „Selbst in Produkten, von denen man das gar nicht erwartet, ist oftmals Gluten enthalten“, sagt Lutz von Buttlar und ärgert sich über Gewürzmischungen oder Rahmspinat, die von Natur aus zwar kein Gluten enthalten, dann aber industriell mit Gluten, oft in Form von Bindemitteln, angereichert werden.

Fast ein Jahr lang haben die Freunde an dem Konzept getüftelt, nach passenden Produkten, Lieferanten und einem geeigneten Standort gesucht. Für das Ladenlokal am Spritzenplatz in Ottensen haben sie sich schließlich wegen seiner Nähe zum Wochenmarkt entschieden. Sie hoffen, dass ihr Geschäft von der Laufkundschaft profitiert – und von der zunehmenden Bedeutung des Themas

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Von einem Trend wollen die Gründer aber nicht sprechen: „Glutenunverträglichkeit ist ja keine Modeerscheinung – sondern medizinisch bedingt“, sagt Lutz von Buttlar und fügt hinzu. „Das bedeutet: Sie wird nicht wie andere Trends einfach wieder verpuffen. Sondern es wird sie immer geben, solange keine medizinische Lösung gefunden wird.“

Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland leidet an Zöliakie, einer chronischen Erkrankung des Dünndarms, die auf einer Unverträglichkeit gegenüber dem Klebeeiweiß Gluten beruht. Die Betroffenen müssen eine strenge Diät halten, unter anderem auf Weizen, Dinkel, Roggen und Hafer verzichten.

Immer mehr Menschen verzichten auf Gluten

Darüber hinaus gibt es eine zunehmende Zahl von Menschen, die aus anderen Gründen auf Gluten verzichten – entweder, weil sie sensibel auf Gluten reagieren und es aus unbekannten Gründen nicht vertragen oder weil sie sich von dem Verzicht mehr Gesundheit oder Vitalität erhoffen. Laut Umfrage sind das rund zehn Prozent der Menschen in Deutschland.

Die Lebensmittelindustrie hat längst auf diese Entwicklung reagiert und bringt immer mehr, immer neue glutenfreie Produkte auf den Markt. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Nielsen werden bundesweit 153 Millionen Euro mit glutenfreien Lebensmitteln umgesetzt.

Marktführer ist ein Südtiroler Unternehmen

Marktführer in dem Segment ist das Südtiroler Unternehmen Dr. Schär. Der Hersteller von Produkten für die glutenfreie Ernährung macht derzeit weltweit einen Umsatz von 320 Millionen Euro.

Kein Einzelfall: Auch das Unternehmen Alnavit, ein Spezialist für glutenfreie und laktosefreie Lebensmittel, profitiert von der gestiegenen Nachfrage nach „Frei von“-Produkten: das Sortiment ist seit 2014 um 70 Prozent, der Umsatz in den vergangenen beiden Jahren um jeweils 40 Prozent gestiegen. Und in Hamburg bei Budnikowsky registrierte man ein Umsatzplus von 3,5 Prozent mit glutenfreien Produkten. Laut Verbraucherzentrale Hamburg können diese Lebensmittel jedoch oft bis zu zweieinhalb Mal mehr kosten als konventionelle Produkte.

Sortiment soll 1200 Lebensmittel umfassen

Das Sortiment von G(l)ut’n’free soll 1200 Lebensmittel umfassen – von der Tiefkühlpizza und den Fischstäbchen mit glutenfreier Panade über Müslisorten, Chips, Brotaufstriche und Backzutaten bis hin zu Gewürzen, Soßen, Bier und Backwaren. Die Brote, Brötchen, Kuchen und Kekse stammen übrigens unter anderem aus jener Bäckerei in Berlin, die ihr Freund aufgezogen hat. Der lange Transportweg stellt nach Angaben der G(l)ute’n’free-ler kein Pro­blem dar.

„Glutenfreies Brot ist nicht zu vergleichen mit normalem Brot. Es hält sich bis zu einer Woche und kann gut nach ein oder zwei Tagen erneut aufgebacken werden, ohne an Geschmack zu verlieren“, sagt Lutz von Buttlar. Ihm und seinem Geschäftspartner ist es wichtig, dass viele ihrer Produkte ein
Alleinstellungsmerkmal haben. Dass es sie nicht beim Supermarkt um die Ecke gibt, dass sie nicht in jedem Bio-Laden zu bekommen sind.

Kunden können Wunschprodukte nennen

Und um genau diese Produkte zu finden, bitten die Gründer ihre Kunden, ihnen per Mail Vorschläge und Wunschprodukte zu mailen an info@glut-n-free.com – damit sie diese rechtzeitig mit ins Sortiment aufnehmen können. Darüber hinaus planen Buttlar und Hilker, auch Waren zu verkaufen, die von Natur aus kein Gluten enthalten, wie Biofleischprodukte aus Mecklenburg-Vorpommern, laktosefreien Käse sowie saisonales Obst und Gemüse.

Der Hintergrund: „Wir wollen, dass die Kunden bei uns ihren Wocheneinkauf abdecken können – und nicht extra in den Supermarkt müssen, um Wurst oder Käse zu kaufen“, so die Gründer. Auf den Namen sind sie übrigens durch ein Wortspiel gekommen, das zu ihrem Motto geworden ist. Es hängt schon jetzt an einem Zettel an der Schaufensterscheibe. „Gut & Free, Glutenfree, G(l)ut’n’free“, steht da. Sonst nichts.

G(l)ut’n’free, Spritzenplatz 10, Ottensen,geöffnet ab 16. März – zunächst nur Backwaren