Hamburg. Wie unterschiedlich Menschen dabei ihre Zeit verbringen, zeigen ab Freitag bis zum 18. Juni die Werke von 23 internationalen Künstlern.

Mit einem Ruck bleibt die alte Dame stehen: „ Da oben sitzt ja ein Junge! Was macht der da?“, scheint sie zu denken. Es dauert eine Weile, bis sie merkt, dass der täuschend echt aussehende Junge aus Epoxyd-Harz ist und Teil des Kunstwerks „ The Wait“ des norwegischen Künstler-Duos Elmgreen & Dragset. Es gehört zu der neuen, wahrnehmungs- und gedankenintensiven Ausstellung „Warten“, die Arbeiten von 23 internationalen Künstlern in der Galerie der Gegenwart versammelt. Kuratorin ist Brigitte Kölle.

Gegenüber der Presse betonte Kunsthallenchef Martin Vogtherr dazu ausdrücklich, Ausstellungen, die die aktuelle Realität befragten, in Zukunft häufiger zeigen zu wollen. Das Warten ist so ein Thema, obwohl es aufgrund ständiger medialer Ablenkung in seiner Reinform im Verschwinden begriffen zu sein scheint. Ein breites Spektrum dessen, was Warten auslöst, bedeutet, verhindert oder überbrückt, wird in der Ausstellung durchlaufen. Eine ausgeklügelte Lichtregie macht die labyrinthisch verbundenen Räume auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen erfahrbar. In den dunklen Filmkabi- netten der Ausstellung sackt man tiefer hinein in den Zustand des Träumens, die hell ausgeleuchteten Räume zeigen dagegen die grelle, nicht unbedingt schöne Wirklichkeit.

Der Künstler Jochen Kuhn zieht den Betrachter in seinem Film „Neulich“ in die kafkaesk zugebaute Welt eines in sich gekehrten, einsamen Menschen. In einer Mischform aus Zeichnung, Malerei, konkreten Figuren und deren malerischer Auflösung erzählt er die Geschichte des Wartens an einer Bushaltestelle. Der wartende Ich-Erzähler wird zum Zeugen einer Liebesgeschichte, die so schnell aufflammt wie sie verraucht und in sich zusammenschrumpft – ein kurzer Traum von der unerreichbaren ewigen Liebe.

Auch bei anderen Arbeiten erscheint das Warten als Vorstufe zum Lieben und Zusammensein. Direkt ist das zu sehen bei der Serie „Land ohne Eltern“, in der Andrea Diefenbach meist einsame, auf sich gestellte Kinder in Moldawien fotografiert hat, deren Eltern in Italien arbeiten gehen. Sie warten auf den nächsten Anruf oder einen Besuch, der oft jahrelang ausbleibt. Auch die nigerianischen Arbeiter, die gut gelaunt unter einer Brücke den Regen abwarten, tun dies, um danach etwas anderes zu machen. David Claerbout führt die Kamera langsam an ihnen vorbei, bis die rötliche Wasserfläche die ganze Bildfläche ausfüllt – ein Moment extremer Zeit-Dehnung.

Metaphorisch lässt sich ein Video des Georgiers Vajiko Chachkhiani deuten: Von außen filmt er in ein Fenster, hinter dem ein älterer Mann wartet. Vögel zwitschern, die paradiesische Natur spiegelt sich in den Scheiben. Abgeriegelt davon starrt der Mann von drinnen unablässig in die Kamera. Irgendwann wendet er sich ab – vom Leben, vom Besucher, von draußen? Das Theater als Ort doppelten Wartens hat Jakob Engel gefilmt – ausschließlich im verheißungsvollen Halbdunkel der Hinterbühne, während die Zuschauer im Licht ebenfalls warten. Statt einer Entzauberung erlebt man so die verdoppelte Magie ständiger wispernder Verwandlungen, Kostümwechsel, Auf- und Abgänge. Schön!

„Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“, Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall 5, bis 18.6., Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00, Eintritt: Di–Fr 12/6,- u. Sa/So 14,-/7,-