Hamburg. Dem Hamburger wird vorgeworfen, im Internet Waren zum Kauf angeboten zu haben, ohne die bestellten Artikel liefern zu können.
In der virtuellen Welt war er ganz groß. Einer der Mächtigen, der Überragenden, ein Held. Immer tiefer tauchte Thorsten S. (Name geändert) in die Sphäre der Fantasiegestalten ein, in fremde Länder, in andere Zeiten, in neue Galaxien – in die Welt des „Krieg der Sterne“, zu Yoda, Darth Vader und anderen gewaltigen Charakteren. Das Internet als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Doch am Ende war es für den 31-Jährigen nicht mehr nur die Lust am Spielen, sondern eine Sucht. Eine Sucht, die ihn in die Kriminalität führte.
Im richtigen Leben ist Thorsten S. kein Held, alles andere als überragend. Das weiß der Hamburger nur zu genau. Mit hängenden Schultern und Dackelblick, die Füße vor Nervosität immer in Bewegung, sitzt der bärtige Mann jetzt in Jogginghose im Gerichtssaal, wo er sich wegen gewerbsmäßigen Betruges verantworten muss, und zieht schonungslos Bilanz. „Ich habe angefangen, mein Leben zu ändern“, betont der Angeklagte.
Vielfach vor allem wegen Betruges vorbestraft
Bisher sah es so aus: Kein Beruf erlernt, seit Längerem ohne Job, vielfach vor allem wegen Betruges vorbestraft. Und nun also diese neuen Taten, bei denen er sich wie auch für seine Spielsucht seines Computers bediente.
Dem Hamburger wird vorgeworfen, im Internet Waren zum Kauf angeboten und dafür Geld kassiert zu haben, ohne die bestellten Artikel liefern zu können – weil er sie schlicht nicht hatte. Im Einzelnen offerierte er laut Anklage jeweils Filme als Blu-Ray beziehungsweise DVDs an. Den jeweiligen Interessenten, die ihm 75 beziehungsweise 85 Euro überwiesen, blieb er die Waren schuldig.
Rollenspiele im Internet
Das Amtsgericht hatte Thorsten S. deshalb bereits zu sechs Monaten Haft verurteilt – ohne Bewährung. 15 Eintragungen im Strafregister hat der 31-Jährige insgesamt, die neuen Taten beging er während seiner Bewährungszeit. Keine guten Voraussetzungen, um noch ein weiteres Mal um die Verbüßung einer Strafe herumzukommen. Und doch hat der Mann Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Früher habe er viel Zeit in Spielhallen verbracht, erzählt Thorsten S. „Aber zuletzt war ich vor allem im Internet unterwegs, bei Online-Rollenspielen wie ,Star Wars‘. Da spielt man dann ein paar Monate, und dann gibt es andere Menschen, die auch nicht länger dabei, aber im Spiel schon viel weiter gekommen sind. Da möchte man mitziehen“, erklärt der Angeklagte.
Schleppende Suche nach einem Job
Das gelinge am schnellsten dadurch, dass der Spieler für seine Charaktere besondere Ausrüstungsgegenstände oder Fähigkeiten kauft. Nicht mit virtuellem, sondern mit echtem Geld – das Thorsten S. als Hartz-IV-Empfänger nicht hat. Um trotzdem über Paypal oder mit Prepaid-Karten an die ersehnten Vorteile zu kommen, beging der Hamburger die Betrügereien.
Leider sei er noch immer arbeitslos, erzählt Thorsten S. Die Zeitarbeitsfirma, für die er zuletzt tätig war, habe ihn „in ein Callcenter stecken wollen. Das kann ich aber nicht, den Leuten am Telefon Dreck anbieten“, formuliert er. Weil er sich weigerte, sei ihm gekündigt worden. Die Suche nach einem neuen Job verläuft eher schleppend. „Bei meinen Vorstrafen funktioniert das nicht mit einem Fingerschnippen.“
Angeklagter auf Warteliste für eine Therapie
Aber auf anderer Ebene hat Thorsten S. Schritte unternommen, um aus der Sucht- und Betrugsspirale herauszukommen. Er steht auf der Warteliste für eine Therapie, und seit wenigen Wochen hat der 31-Jährige eine eigene Wohnung, es ist seine erste. „Dafür habe ich mir zwei Monate lang den Arsch aufgerissen, mit Behördengängen und so“, betont er.
Dreimal verwendet er im Laufe der Verhandlung dafür genau diese Formulierung; es zeigt, wie stolz er darauf ist und wie schwer ihm diese Unternehmungen gefallen sind. Ein Bewährungshelfer bezeichnete Thorsten S. als „etwas antriebslos“. Nun hat er sich ausnahmsweise mal aufraffen können, ist weg aus seinem alten Umfeld und ins Alte Land gezogen. Vor allem aber hat er seinen Computer abgeschafft, hat kein Internet und kein Smartphone. „Damit ich gar nicht erst in Versuchung komme, wieder zu spielen.“
Schaden sei eher gering
Am Ende bestätigt das Landgericht die sechs Monate Haft für Thorsten S. Die Kammer setzt die Freiheitsstrafe aber zur Bewährung aus. „Das ist kein Selbstgänger, wir haben erhebliche Bedenken zurückgestellt“, betont der Vorsitzende Richter. Bei jemandem, der zweifacher Bewährungsversager ist, „verlangt es eigentlich die Autorität des Staates“, dass jetzt die Freiheitsstrafe verbüßt werden müsse.
Allerdings sei der Schaden mit insgesamt 160 Euro eher gering. Und die letzten Betrügereien, die der Angeklagte zuvor beging, liegen mehr als vier Jahre zurück. Dem Hamburger wird auferlegt, jeweils zehn Euro monatlich so lange an beide Opfer zurückzuzahlen, bis der Schaden wiedergutgemacht ist. Wesentlich für die Entscheidung des Gerichts, dass Thorsten S. in Freiheit bleiben kann, ist die Tatsache, dass er jetzt eine eigene Wohnung hat und sich von Computer und Internet getrennt hat. Der Kammervorsitzende: „Deshalb meinen wir, dass Sie das mit dem Spielen auch lassen können.“