Hamburg. Verbandschef Andreas Bartmann über die Folgen steigender Mieten und neuer Verkaufsflächen in der Hamburger Innenstadt.

Die Einkaufsflächen in Hamburg werden kontinuierlich ausgeweitet, gleichzeitig steigen die Mieten. Der Präsident des Einzelhandelsverbandes Nord, Andreas Bartmann, geht davon aus, dass immer mehr traditionsreiche Geschäfte aus der City verschwinden werden. Zugleich sagt er im Abendblatt-Interview, was er über Billigmodeläden denkt und wie er als Vizepräses der Handelskammer den aktuellen Streit in der altehrwürdigen Wirtschaftsvertretung wahrnimmt.

Herr Bartmann, bei der Filial-Eröffnung des Mode-Discounters Primark in Billstedt war der Andrang enorm. Haben Sie dort schon eingekauft?

Andreas Bartmann: Ich war schon da, aber nicht einkaufen. Es ist ein interessantes Konzept. Primark bringt zwar eigentlich dem Preis angemessene vernünftige Qualität, aber die Halbwertzeit der Produkte ist durch den Modegrad und des günstigen Preises geschuldeten Standards sehr gering. Die Käufer, vor allem sind es ja junge Frauen, tragen und waschen die Sachen zwei-, dreimal, dann kommt das nächste. Mich erschreckt, dass Textilien zu Wegwerfartikeln werden.

Das hört sich so an, als wollten Sie das ändern?

Bartmann: Das hat was mit Zeitgeist zu tun. Wir müssen an der Aufklärung arbeiten. Letztlich entscheidet beim Kauf, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. In den vergangenen Jahren sind die Umsätze im Textilhandel deutlich zurückgegangen. Namhafte Firmen mussten Insolvenz anmelden. Ein Grund ist, dass sich die Kundenströme verschoben haben, auch weil die Marken mit einem Überangebot nicht mehr die Exklusivität geboten haben. Jetzt muss der Textilhandel neue Antworten finden.

Auch in der Hamburger Innenstadt gibt es immer mehr günstige Modeläden, gerade hat in der früheren HSH-Passage die türkische Kette Koton eröffnet.

Bartmann: Hamburg ist für viele internationale Unternehmen Experimentierfeld. Die Kunden-Frequenzen in der Stadt sind nach wie vor gut. Was den Umsatz im Einzelhandel betrifft, sind wir auf einem historischen Hoch. Wir werden in Hamburg die Grenze von 13 Milliarden Euro im Jahr 2016 knacken, im Bundesvergleich liegen wir sogar noch leicht über dem Wachstumsschnitt von 2,5 Prozent. Aber letztlich haben wir schon jetzt ein großes Überangebot. Die Anzahl der Geschäfte steht in keiner Relation zu dem, was die Kaufkraft hergibt.

Plädieren Sie für eine Obergrenze bei der Ausweisung neuer Einzelhandelsflächen?

Bartmann: Ich bin gegen eine Reglementierung. Aber Fakt ist: Wenn es Zuwächse von 20 bis 30 Prozent an neuen Flächen gibt, sinken die Umsätze pro Quadratmeter. Schon jetzt wollen zahlreiche Unternehmen in der Kern-City aus ihren Läden raus, weil das Mietniveau so hoch ist. Das ist auch der Historie mit teilweise sehr langfristigen Mietverträgen geschuldet. Vor fünf Jahren sind von vielen Vermietern noch Mieten aufgerufen worden, die sich jetzt angesichts sinkender Umsätze und der Kostenentwicklung nicht mehr rechnen.

Es wird also weitere Schließungen geben?

Bartmann: Der Handelsverband Deutschland hat vor einiger Zeit ermittelt, dass bundesweit 50.000 Geschäfte bis 2020 für immer verschwunden sein werden. Das sind fast 15 Prozent aller Geschäfte. Im gesamten norddeutschen Raum haben wir im Moment etwa 33.000 Geschäfte, in Hamburg davon gut 10.000. Der Schwund wird vor allem in den kleineren Städten sein, und in den Außenbezirken. Aber eine Hamburger Innenstadt wird immer florieren. Dazu kommt: Es gibt funktionierende Zen­tren in den Bezirken, etwa in Altona, Wandsbek, Bergedorf oder auch in den Randbereichen der City. Für kleinere inhabergeführte Läden ist eine Möglichkeit, dorthin zu ziehen – zu deutlich niedrigeren Mieten und damit wirtschaftlich tragfähigen Bedingungen. Ein Beispiel ist das Wäschehaus Möhring, das im Sommer vom Neuen Wall an den Großen Burstah zieht. Es muss ja nicht immer die erste Reihe sein, auch eine hintere Lage kann gut funktionieren.

Ja, aber die Vielfalt macht doch die Attraktivität der Innenstadt aus. Müsste die Stadt die eingesessenen Geschäfte, die ja auch für Hamburg stehen, nicht mehr unterstützen?

Bartmann: Tatsächlich hat der Einzelhandel es besonders schwer, wenn es um die Finanzierung von Umstrukturierungen geht. Es gibt innovative Ideen und gute Konzepte, aber es mangelt oft am Geld. Über die klassische Bankfinanzierung klappt es jedenfalls nicht. Das kann nur die Politik, zum Beispiel mit mehr Bürgschaften helfen. Auch Mikrokredite von Unternehmernetzwerken wären eine interessante Sache.

Immer wieder hört man von Befürchtungen im Hamburger Handel angesichts des neuen Einkaufszentrums, das bis 2021 in der HafenCity entstehen soll. Was stört sie?

Bartmann: Die Elbphilharmonie ist ja in der unmittelbaren Nachbarschaft und wird viele Hamburg-Touristen anziehen. Ich glaube, dass die dann eher in das neue Shopping-Center gehen werden und gar nicht mehr in die Kern-City kommen. Deshalb ist jetzt die große Aufgabe, die Verbindung zwischen diesen Arealen herzustellen. Wir als Handelsverband fordern deshalb genau wie die Handelskammer eine Machbarkeitsstudie zur Untertunnelung der Willy-Brandt-Straße. Wir brauchen eine Achse, die leicht begehbar ist. Da hat die Politik eine Verantwortung.

Auf der einen Seite die Entwicklung des Onlinehandels, die steigenden Mieten auf der anderen Seite – sind die Geschäfte in der Innenstadt demnächst nur noch Showrooms und gekauft wird im Internet?

Bartmann: Das Einkaufsverhalten hat sich drastisch geändert, und es wird sich auch weiter verändern. Die Vielfältigkeit der Sortimente ist inzwischen so immens, dass man nicht mehr alles im Laden zeigen kann. Aber es wird auch aus dem Netz ins Geschäft bestellt. Es wird künftig immer schwieriger zu sagen, was ist Online- und was ist Offlinehandel. Das ist eine Riesenherausforderung. Der Erfolg des Einzelhandels entscheidet sich letztlich auch in der Logistik, Sortimente wirtschaftlich sinnvoll zu bewegen – und schnell. Rabattschlachten, mit denen sich viele Händler im Moment retten, helfen nur kurzfristig.

Themenwechsel: Sie sind einer der Geschäftsführer des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter. Wie hoch ist der Pflichtbeitrag Ihres Unternehmens für die Handelskammer?

Bartmann: Der liegt im fünfstelligen Bereich. Und das bezahle ich gern, sehr gern sogar (lacht). Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit weiß ich, was ich dafür bekomme.

Was antworten Sie den Unternehmern, die Pflichtbeiträge abschaffen wollen?

Bartmann: Das wird zu einer massiven Schwächung der Wirtschaftsinteressen führen. Wir haben eine branchenmäßig sehr gut strukturierte Infrastruktur, aber die Leistungsfähigkeit stößt aufgrund der Freiwilligkeit an Grenzen. Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass es ohne eine übergeordnete Kammer funktioniert. Wir brauchen ja auch einen Moderator, die Immobilienwirtschaft zum Beispiel hat ganz andere Interessen als der Handel und so weiter. Ansonsten besteht die Gefahr, dass nur die Starken gehört werden. Die Solidargemeinschaft bringt schon viel. Und: Die Kammer wird von der Politik gehört. Deshalb meine ich, das aktuelle Prinzip ist gut vertretbar. 40 Prozent zahlen ja sowieso nichts.

Aber die Palastrevolution zeigt doch, wie groß der Veränderungsdruck ist.

Bartmann: Ich bin seit 15 Jahren ehrenamtlich in der Handelskammer tätig. Und ich kann sagen, dass sich diese Institution sehr geändert hat. Wir haben eine gute Haushaltsdisziplin. Die Selbstherrlichkeit, die ich früher auch wahrgenommen habe, gibt es nicht mehr. Die Kommunikationskultur und der Austausch sind sehr gut. Die Digitalisierung ist weiter vorangeschritten als bei den meisten Unternehmen. Und was die Transparenz angeht: Der „Closed Shop“ ist Geschichte. Alle Protokolle, Vorlagen, Beschlüsse stehen im Netz. Aber, das gehört auch zur Wahrheit, im vergangenen Jahr gab es gerade mal 166 Zugriffe über das Transparenzportal. Das sind doch Scheindiskussionen, die da im Moment stattfinden.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Bei der letzten Wahl waren Sie als künftiger Präses der Handelskammer im Gespräch. Sie haben abgewinkt. Wie ist es diesmal?

Bartmann: Natürlich reizt mich das. Aber die zeit­liche Herausforderung ist so immens, dass ich das zurzeit mit meinem beruf­lichen und persönlichen Umfeld nicht vereinbaren kann.