Hamburg. Den Gebäudekomplex in Wilhelmsburg hat die Vonovia SE von der VHW erworben. Mieter wurden vorab nicht informiert.

Ein Immobiliendeal in Wilhelmsburg sorgt für massive Kritik und Verunsicherung. Die Genossenschaft VHW (Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft eG) hat 74 vermietete Wohnungen an die Vonovia SE verkauft. Das ist Deutschlands größter Wohnungskonzern mit einem Bestand von rund 337.000 Wohnungen. ä

Das Unternehmen ist hervorgegangen aus der Deutsche Annington und Gagfah, die in der Vergangenheit für reichlich negative Schlagzeilen sorgten. Bei Mietern hatten diese beiden Anbieter keinen guten Ruf und fielen häufiger wegen Sanierungsstaus in ihren Wohnungsbeständen auf.

„Zumutung für die Mieter"

Seit dem 1. Januar ist die Vonovia jetzt Eigentümer des direkt an der Bahnstrecke gelegenen Gebäudekomplexes Buddestr. 1-5 + 2, Jungnickelstr. 1 und Thielenstr. 1, der Ende der 90er-Jahre bezogen und von der VHW gebaut wurde. Die 74 Mieter, davon sind 56 auch Mitglieder der Genossenschaft, wurden über den Verkauf der Wohnungen am 28. Dezember auf einer Veranstaltung informiert.

Das kritisiert der Mieterverein zu Hamburg scharf: „Es ist eine Zumutung für die Mieter, dass sie am 28. Dezember darüber informiert wurden, dass es ab dem 1. Januar einen neuen Eigentümer gibt“, sagte Siegmund Chychla, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg, dem Abendblatt. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die VHW die Häuser nicht an eine andere Baugenossenschaft, sondern an einen renditeorientierten Investor wie die Vonovia verkauft habe.

Mieter fühlen sich verraten

Ein langjähriger Mieter und Genossenschaftsmitglied, der von dem Verkauf betroffen ist, sagte dem Abendblatt: „Wir fühlen uns verraten und verkauft. Wer bei einer Genossenschaft Mieter ist, der fühlt sich sicher, doch plötzlich sind wir in den Händen eines großen Wohnungskonzerns.“ Außerdem hätte sich der Mieter gewünscht, dass „zunächst mit den Betroffenen darüber diskutiert wird, über Pro und Contra eines solchen Verkaufs.“

Das war nicht der Fall: „Der Verkauf an die Vonovia war eine Vorstandsentscheidung mit Beteiligung des Aufsichtsrates. Aufgrund des unvertretbar hohen Kostenaufwands, vor allem für die Lärmberuhigung des Wohnungsbestandes und des Quartiers, sahen wir uns hier in der Verantwortung gegenüber unseren 15.000 Mitgliedern“, sagte VHW-Vorstand Martin Thoß.

Damit bezieht sich Thoß allerdings auf Kosten, die bereits durch einen Prozess gegen die Stadt wegen zusätzlicher Lärmschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und Erweiterung der Bahnlinie entstanden sind.

Die Genossenschaft hat rund 6500 Wohnungen in Hamburg in ihrem Bestand. Zu den weiteren Gründen sagte Thoß: „Durch die räumliche Distanz zu unserem übrigen Wohnungsbestand in Wilhelmsburg war die Bewirtschaftung der Wohnungen unverhältnismäßig aufwendig, sodass wir uns für den Verkauf entschlossen haben. Die Vonovia ist Eigentümerin der angrenzenden Gebäude, und deshalb passt es gut.“ Die Vonovia hat in Hamburg rund 10.770 Wohnungen.

An Mieten soll sich nichts ändern

Die Mietverträge der verkauften VHW-Wohnungen – zurzeit liegt die Nettokaltmiete bei durchschnittlich 8,30 Euro/qm – müssen laut Thoß von der Vonovia übernommen werden – an den Mieten werde sich nichts ändern. Die soziale Bindung für die Immobilien gelte unverändert bis 2030.

Allerdings warnt Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg: „Wenn die Vonovia Modernisierungen durchführen würde, dann könnten diese auf die Mieter umgesetzt und die Miete erhöht werden.“ Die Vonovia sei bekannt dafür, dass sie nach dem Erwerb von Immobilien die Mieter zügig mit Mieterhöhungen konfrontiere. Aber erst mal dürfte es dazu nicht kommen. Vonovia-Sprecherin Bettina Benner bestätigte dem Abendblatt: „Es sind in den nächsten Jahren keine Modernisierungen geplant.“

Der Vorgang in Wilhelmsburg ist wohl eine Ausnahme: „Wohnungsbaugenossenschaften verkaufen in der Regel keine Wohnungsbestände. Wenn es einmal gemacht wird, sind dies Ausnahmen im Einzelfall, wie zum Beispiel Wohnanlagen, die außerhalb Hamburgs liegen“, sagte Monika Böhm, Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften e.V.

Dass die Vonovia nicht erste Wahl war, räumt auch VHW-Vorstand Thoß ein: „Wir haben der Stadt sowie einer ihr nahestehenden Stiftung und Unternehmen die Gebäude angeboten, doch es bestand kein Interesse.“ Die Vonovia hält Thoß für ein leistungsstarkes Wohnungsunternehmen, das serviceorientiert im Sinne der Mieter handelt. Das neu aufgestellte Unternehmen habe aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Außerdem hätten die Mitglieder unbefristet die Möglichkeit, sich für andere Wohnungen innerhalb der Genossenschaft zu bewerben, so Thoß weiter.

Politik interessiert sich für Immobiliendeal

Auch die Politik interessiert sich für den Immobiliendeal: „Selbstverständlich erwarten wir, dass das Unternehmen seiner sozialen Verantwortung für die Mieter und den Stadtteil gerecht wird“, sagte Hamburg-Mitte-SPD-Vizefraktionschef Klaus Lübke an. Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg sagte: „Dass die Mieter verunsichert sind, kann ich nachvollziehen. Denn die Philosophie einer Genossenschaft und die der Vonovia haben wenig gemeinsam. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Eigentümer die Mieter fair behandelt.“

Siegmund Chychla vom Mieterverein zum Thema Makler Provision
Siegmund Chychla vom Mieterverein zum Thema Makler Provision © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Erst vor Kurzem hatte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, in einem Abendblatt-Interview gefordert: „Hamburg kann sich ein Beispiel an Lübeck nehmen. Dort gilt eine sogenannte Verbilligungsrichtlinie, und die schreibt vor: Wer zum Zwecke des sozialen Wohnungsbaus baut, bekommt 90 Prozent Rabatt auf den normalen Grundstückspreis.“ Dazu sagt Chychla: „Wenn die Stadt zukünftig Grundstücke zu Sonderkonditionen an Baugenossenschaften vergibt, dann sollte ein Verkauf ausgeschlossen werden.“