Hamburg. Laut Staatsanwaltschaft habe Daniel C. den Tod des völlig unterernährten Kindes nicht gewollt, ihn aber billigend in Kauf genommen.
Der Tod seiner lebensbedrohlich unterernährten Stieftochter Lara Mia markierte einen weiteren Tiefpunkt im von Drogensucht, Suizidversuchen und Aufenthalten in der Kinderpsychiatrie überschatteten Leben des Daniel C. Nach dieser Tragödie hatte der junge Mann zwei Beziehungen, aus denen zwei leibliche Kinder hervorgingen.
Zumindest in einem Fall ertrug er die Nähe seiner Tochter nicht, weil ihn die albtraumhaften Bilder der toten Lara Mia quälten. Mehr als sieben Jahre ist es her, dass das Baby, nachdem es über Monate mangelhaft ernährt wurde, schließlich vollkommen abgemagert starb.
Es müssen Bilder eines dramatisch mangelernährten Kindes gewesen sein. Lara Mias Rippen standen spitz hervor, ihre Haut war ganz faltig, als Daniel C. und seine Freundin Jessica R., die Kindsmutter, das tote Baby am 11. März 2009 im Kinderzimmer ihrer Wilhelmsburger Wohnung entdeckten, inmitten von benutzten Windeln und anderem Müll. Es war der tragische Schlusspunkt eines seit Monaten andauernden Martyriums.
Das Kind wog nur 4800 Gramm
Am Ende wog das neun Monate alte Kind nur noch 4800 Gramm, etwas mehr als die Hälfte von dem, was es hätte wiegen sollen, wiegen müssen. Daniel C. habe den Tod des Kindes nicht gewollt, aber doch, davon geht die Staatsanwaltschaft aus, habe er ihn billigend in Kauf genommen: indem er wegsah und weder die Behörden, noch einen Arzt über Lara Mias zunehmend kritischen Zustand in Kenntnis setzte.
Im Prozess gegen Daniel C. plädierten am Dienstag Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Angeklagt ist der 28-Jährige wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen sowie einer Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Die Staatsanwaltschaft hat nur deshalb kein vollendetes Tötungsdelikt angeklagt, weil die Rechtsmedizin nicht mit hundertprozentiger Sicherheit nachweisen konnte, dass Lara Mia verhungert ist.
Daniel C. habe mit der Übernahme der Fürsorgepflicht eine Garantenstellung gegenüber Lara Mia inne gehabt, sagte die Staatsanwältin. Seit Oktober 2008 sei das Kind nicht mehr ausreichend ernährt worden, es habe an Gewicht verloren, spätestens im Dezember sei der Mangel nicht mehr zu übersehen gewesen. Im Februar 2009 legte der Großvater beim Einkaufen die Kleine auf eine Gemüsewaage: Sie zeigte ein Gewicht von etwa fünf Kilogramm an – viel zu wenig für ein Baby dieses Alters und dieser Größe, „spätestens hier wurde ein lebensbedrohliches Maß der Unterernährung erreicht“, so die Staatsanwältin.
Nachbarin wollte sich nicht "einmischen"
Kurz darauf sah eine Nachbarin Lara Mia und war schockiert. Sie vertraute sich aber nur einer Freundin an, nicht den Behörden: Sie habe sich „nicht einmischen“ wollen. Zudem wurde Lara Mia von ihrer Geburt an intensiv vom Jugendamt betreut, eine Sozialarbeiterin war für die Familie zuständig, Marianne K. Zwei Wochen vor dem Tod bescheinigte sie, Lara Mia sei bei guter Gesundheit. So wiederholte es die ehemalige Betreuerin als Zeugin auch im aktuellen Verfahren – die Staatsanwältin kaufte ihr das keineswegs ab.
Es sind Menschen aus dem näheren Umfeld des verstorbenen Babys – Marianne K., die Schwestern der Kindesmutter, der Großvater, die Nachbarin –, denen Verteidiger Ulf-Diehl Dreßler eine „moralische Schuld in unterschiedlichen Abstufungen“ unterstellt – vom krachenden Versagen der Behörden in diesem Fall ganz zu schweigen.
Züge einer "griechischen Tragödie"
Die Gründe dafür, dass sein Mandant nicht handelte, seien auch in der schwachen Persönlichkeit des jungen Mannes zu suchen: Wäre er damals zum Arzt gegangen mit Lara Mia, hätte wohl das Jugendamt der Mutter das Baby entzogen – dann aber hätte auch Daniel C. seine geliebte Freundin verloren. „Das alles hatte Züge einer griechischen Tragödie“, sagte Dreßler.
Weil es am Tötungsvorsatz fehlte und der Angeklagte auch nicht mit „dem Eintreten des Taterfolgs“ – also dem Tod des Kindes – gerechnet habe, sei rechtlich ein versuchtes Tötungsdelikt auszuschließen. Der Tat zugrunde liege eine „bewusste Fahrlässigkeit“.
Urteil wird am 19. Januar verkündet
Dreßler beantragte am Dienstag für Daniel C. eine Jugendstrafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Als Lara Mia wegen des Versagens ihrer Eltern begann, so drastisch abzumagern, war Daniel C. noch keine 21 Jahre alt, bei ihrem Tod schon. Bei Heranwachsenden kann das Gericht bei Reifeverzögerungen noch eine Jugendstrafe verhängen. Diese Voraussetzung sieht die Jugendgerichtshilfe im Fall von Daniel C. als gegeben. Weil für die Staatsanwaltschaft hingegen der Schwerpunkt der Tathandlungen in der Phase nach seinem 21. Geburtstag liegt, beantragte sie am Dienstag eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe von 20 Monaten nach Erwachsenenstrafrecht. Das Urteil wird am 19. Januar verkündet.