Hamburg. Vor sieben Jahren starb das lebensbedrohlich unterernährte Baby Lara Mia. Nun steht Stiefvater Daniel C. erneut in Hamburg vor Gericht.

Der Vorsitzende Richter Georg Halbach liest aus dem Protokoll der Vernehmung von Daniel C., fast sieben Jahre sind seit seiner Aussage bei der Polizei vergangen. An einer Stelle horcht Daniel C. auf. Er wirkt plötzlich tief bewegt, verbirgt sein Gesicht hinter den Händen. Auch für den 28-Jährigen kommt jetzt alles wieder hoch.

Es geht um den Moment am Morgen des 11. März 2009, als der damals 21 Jahre alte Mann seine neun Monate alte Stieftochter Lara Mia leblos im Kinderzimmer entdeckte. Das Baby lag bäuchlings unter einer dünnen Decke, es bewegte sich nicht und war bereits blau angelaufen. Daniel C. schüttelte das Kind, versuchte noch eine Mund-zu-Mund-Beatmung und eine Herzmassage. Ohne Erfolg. Als wenig später die Rettungssanitäter eintrafen, war Lara Mia tot.Warum das lebensbedrohlich abgemagerte Mädchen sterben musste, ist nicht restlos geklärt. Viel deutet aber daraufhin, dass es verhungert ist.

Mutter von Lara Mia bereits wegen Totschlags verurteilt

Lara Mia war im März 2009 im Alter von knapp neun Monaten aus ungeklärter Ursache gestorben
Lara Mia war im März 2009 im Alter von knapp neun Monaten aus ungeklärter Ursache gestorben © Jens Ressing

Jessica R., die Mutter von Lara Mia, war bereits 2011 wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden, nachdem der Bundesgerichtshof das erste Urteil aus dem Jahr 2010 samt aller Feststellungen kassiert und nach Hamburg zurückverwiesen hatte. An dem zweiten Prozess ein Jahr darauf konnte ihr Lebensgefährte Daniel C. nicht teilnehmen: Er war wegen einer schweren psychischen Erkrankung als verhandlungsunfähig eingestuft worden. Tief erschüttert vom Tod des Kindes versuchte Daniel C., sich in den Jahren 2009 und 2010 zweimal das Leben zu nehmen.

Nach jahrelanger Therapie ist Daniel C. soweit stabilisiert, dass gegen ihn verhandelt werden kann. Seit Donnerstag steht er vor dem Landgericht – und schweigt zu den Vorwürfen. Zur Beurteilung seiner damaligen und gegenwärtigen psychischen Situation sitzt an jedem Verhandlungstag ein psychiatrischer Gutachter im Gerichtssaal. Wie der Experte mitteilte, ist Daniel C. inzwischen Vater geworden. Diese Situation habe den jungen Mann im Zusammenhang mit dem Tod von Lara Mia „re-traumatisiert“.

Die Staatsanwaltschaft legt dem jungen Mann versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung und eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht jeweils durch Unterlassen zur Last. Daniel C., der damals mit Jessica R. in einem gemeinsamen Haushalt in Wilhelmsburg lebte, soll seine Stieftochter von Oktober 2008 an nicht mehr ausreichend ernährt haben. Das Kind habe deutlich an Gewicht verloren, sei augenfällig schwächer geworden und sei spätestens ab Februar erkennbar lebensbedrohlich unterernährt gewesen. Trotz dieser klaren Anzeichen, so der Vorwurf, soll Daniel C. keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Am 10. oder 11. März 2009 starb die kleine Lara Mia, sie wog nur noch 4,8 Kilogramm. Das Normalgewicht eines Kindes in diesem Alter liegt zwischen 7,5 und 10,6 Kilogramm.

Fall Lara Mia sorgte in Hamburg für Entsetzen

Wie aus dem am Donnerstag verlesenen polizeilichen Vernehmungsprotokoll hervorgeht, sorgten sich Jessica R. und Daniel C. bereits eine Woche vor ihrem Tod um die kleine Lara Mia: Das Kind habe nur unregelmäßig Nahrung zu sich genommen und habe Gewicht verloren. Sie seien aber nicht zum Kinderarzt gegangen, „aus Angst, dass das Jugendamt uns die Kleine wegnimmt“, sagte Daniel C. aus. Die Frage, ob er sich Vorwürfe mache, bejahte der Stiefvater damals: Er habe sich zu wenig gekümmert, ansonsten „wäre sie ja noch am Leben“, jedenfalls „hätte es nicht passieren dürfen, dass sie so dünn ist.“ Jessica R. und er hätten dem Baby immer „morgens Brei, mittags ein Gläschen und abends Gute-Nacht-Brei“ angeboten. Lara Mia habe damals aber die Nahrung häufig abgelehnt oder wieder ausgespuckt, zudem habe sie kurz vor ihrem Tod unter Durchfall gelitten.

Der Fall Lara Mia hatte in Hamburg für Entsetzen gesorgt – nicht nur, weil das kleine Mädchen bei seinem Tod bis auf die Knochen abgemagert war, sondern auch, weil es seit seiner Geburt unter der Obhut des Jugendamtes Mitte stand. Sozialarbeiterin Marianne K. hatte die Familie knapp sechs Monate betreut. Nur eine Woche vor dem Tod des Mädchens, so sagte sie später den Ermittlern, habe das Kind einen gesunden Eindruck auf sie gemacht. Gegen Marianne K. erließ das Amtsgericht Harburg im August 2010 einen Strafbefehl über 2700 Euro.

Streitig ist in dem Prozess vor allem die Frage der juristischen Bewertung: Sprechen die Tatumstände für eine bewusste Fahrlässigkeit oder ist die Tat als Totschlag mit Eventualvorsatz zu werten? Für Fahrlässigkeit spreche beispielsweise, dass sich sein Mandant auf die Aussagen der Sozialarbeiterin verlassen habe, wonach Lara Mia zwei Wochen vor ihrem Tod noch einen vitalen und gesunden Eindruck gemacht habe, sagte Daniel C.'s Verteidiger Ulf-Diehl Dreßler dem Abendblatt. Am 17. November soll Jessica R., die Mutter von Lara Mia, als Zeugin aussagen. Ein Urteil wird nicht vor dem 16. Dezember erwartet.