Hamburg. Auch Transatlantikflüge sind mit dem Jet A321neo möglich. Das könnte das Liniennetz ab Hamburg verändern.
Die wichtigste Flugzeugfamilie für das Hamburger Airbus-Werk bekommt Nachwuchs. Mitte Dezember hat der A321neo die Musterzulassung durch die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA und ihr US-Pendant FAA erhalten, bald dürfte das Flugzeug erstmals ausgeliefert werden. Mit dem Jet made auf Finkenwerder strebt der europäische Flugzeugbauer in neue Dimensionen: Steht das A320-Programm bisher für die Kurz- und Mittelstrecke, ist vor allem mit der Variante Longrange (LR) künftig auch die Langstrecke drin. „Der A321neo LR ist eine kleine Revolution“, sagte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt.
Weniger Spritverbrauch
Dabei ist die Maschine eigentlich ein Klassiker. Im Jahr 1992 gab es eine doppelte Premiere: Mit dem ersten Flieger dieses Typs begann im Werk auf Finkenwerder die Endmontage in Hamburg. Zwei Jahre später wurde der Jet an Lufthansa ausgeliefert, seitdem fliegt er als „Finkenwerder“ durch die Luft. Ende 2010 legte der MDAX-Konzern das neo-Programm auf, das für new engine option steht, also für neue Triebwerke. Dank dieser Antriebe von Partnern wie dem US-Hersteller Pratt & Whitney und dem französisch-amerikanischen Joint Venture CFM International und nach oben gebogener Flügelspitzen (Sharklets) verbraucht die Maschine weniger Sprit. Dadurch steigt die Reichweite des Flugzeugs deutlich: von 6000 auf 6800 Kilometer und mit Zusatztanks in der LR-Variante auf 7400 Kilometer. Das Flugzeug mit einem Mittelgang (Single-Aisle-Klasse) sei damit ideal für Transatlantikrouten und ermögliche den Einstieg in den Langstreckenmarkt, ist man bei Airbus sicher.
Wenig Konkurrenz im Markt
Der einzige Konkurrent in der Klasse ist Boeings 757. Allerdings hat der US-Konzern Ende 2003 das Aus für das Programm beschlossen, zwei Jahre später ging das 1050. und letzte Exemplar an Shanghai Airlines. „Das war eine Fehlentscheidung von Boeing“, sagt Großbongardt. Ein Comeback der 757 werde es nicht geben, weil die Technik aus den 80er-Jahren stammt und veraltet sei. Eine Verlängerung der 737 – wie es Airbus beim A320-Programm praktiziert – sei nicht sinnvoll. Denn Boeings 737 hat ein niedrigeres Fahrwerk. So konnte das Ein- und Aussteigen über eine eigene Treppe an Bord erfolgen und das Gepäck direkt vom Boden eingeladen werden. Das war damals bei der Entwicklung für kleinere Flughäfen mit weniger Personal erwünscht. Das Problem: Wenn die Maschine eine längere Reichweite bekommen sollte, bräuchte sie Triebwerke mit einem größeren Durchmesser – wie Airbus sie nutzt. Dann wäre aber der Abstand der Aggregate zum Boden zu gering, sagt Großbongardt. Und für ein höheres Fahrwerk fehle der Platz im Rumpf, wenn es eingefahren wird. So bleibe dem US-Konzern nur der Bau eines neuen Flugzeugs, das wohl frühestens um das Jahr 2025 herum marktreif wäre.
Für den Hamburger Luftfahrt-Experten Cord Schellenberg steht daher fest: „Airbus hat derzeit in einem alten Boeing-Bereich die Nase vorn.“ Nämlich bei Langstreckenflugzeugen mit mehr als 200 Passagieren. 2019 soll die erste A321neo-LR-Variante ausgeliefert werden. Bis zu 240 Passagiere finden an Bord Platz. Das Standard-Layout gibt Airbus allerdings mit nur 206 Sitzen an, darunter 16 in der Business-Kategorie. Der Treibstoffverbrauch pro Sitz soll 20 Prozent unter einem A321 mit alten Triebwerken liegen.
A320-Programm ist der Verkaufsschlager
Das A320-Programm ist der Verkaufsschlager im Konzern. Drei von vier ausgelieferten Flugzeugen gehören zu der Reihe. 5460 Bestellungen stehen in den Auftragsbüchern. Die Produktion der Familie wird kräftig hochgefahren, von derzeit rund 45 auf 60 Stück pro Monat bis Mitte 2019. Jeder zweite Jet kommt von Finkenwerder, das Werk erhält im Zuge des Hochlaufs eine vierte Endmontagelinie. Zunehmend gefragt ist die längste Version. „Auf den A321 entfallen heute bereits rund 40 Prozent unserer ausgelieferten Single-Aisle-Jets – mit weiterhin steigender Tendenz“, sagt Fabrice Brégier, Chef der zivilen Flugzeugsparte von Airbus.
Auch der A321neo kommt bei den Kunden sehr gut an. Insgesamt liegen für ihn Bestellungen über 1376 Stück von gut 40 Fluglinien vor. Klassische Airlines wie Lufthansa (40 Bestellungen), American (100) und Turkish (92) zählen ebenso zu den Kunden wie aufstrebende Billigflieger wie Wizz Air (110) und Norwegian (30). Zudem sei das laut Preisliste 125,7 Millionen Dollar (121 Millionen Euro) teure Flugzeug für Ferienflieger wie Condor oder TUIfly interessant, so die Experten. Schellenberg hält sogar Aufträge von Ryanair für möglich, obwohl die Iren bisher ausschließlich Boeings 737 einsetzen. Nachdem der Billigfliegerprimus künftig sogar das teure Frankfurt anfliegt, sei auch der Einstieg in den Langstreckenmarkt möglich, so Schellenberg: „Der A321neo LR könne eine Karte sein, die Airbus spielt, um bei Ryanair zu landen.“
Von der Maschine könnten auch Passagiere durch neue Verbindungen profitieren. „Dieser Jet ist eine Chance für Flughäfen wie Hamburg und Berlin, auch Langstreckenflüge mit der vorhandenen Nachfrage aus der Region voll zu bekommen“, sagt Schellenberg. Bei Transatlantikflügen stamme im Schnitt nur ein Viertel der Passagiere aus dem Einzugsgebiet des Airports, das für den Helmut-Schmidt-Flughafen bis nach Süddänemark reicht. Der Rest steige aus Zubringerflügen zu. Fuhlsbüttel spielt als fünftgrößter Flughafen Deutschlands als Drehkreuz aber keine Rolle. Mit dem A321neo LR böte es sich für Fluglinien an, mehr auf Direktverbindungen zwischen Flughäfen der zweiten Reihe zu setzen. Zumal die auf Langstrecken wichtige Fracht bei dem kleineren Jet nicht so entscheidend sei. „Das Streckennetz in den Regionen könnte sich spürbar verändern“, sagt Schellenberg. Von Hamburg direkt nach Boston, New York oder Washington sei damit möglich. Von Fuhlsbüttel gibt es derzeit zwei Langstreckenverbindungen, nach Dubai und Newark. Während das Wüstenemirat von Emirates zweimal pro Tag bedient wird, stellt die US-Linie United am 10. Januar für knapp vier Monate die Direktflüge an die US-Ostküste ein – mangels Nachfrage.