Hamburg. Probleme vor allem im Baurecht: Prozesse fast doppelt so lang wie vor vier Jahren. Kläger weichen auf andere Städte aus.
Wichtige Gerichtsprozesse geraten in Hamburg immer häufiger zum Geduldsspiel: Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Zivilstreitigkeiten und Strafprozessen am Landgericht ist teils deutlich angestiegen, obwohl der Senat zuletzt zusätzliches Personal einstellte – in einzelnen Rechtsgebieten dauern Verfahren in der Regel fast doppelt so lang wie noch vor vier Jahren. Das geht aus den Senatsantworten auf mehrere Kleine Anfragen der FDP-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein hervor.
So stieg die durchschnittliche Dauer von Zivilverfahren (mit Handelssachen) in erster Instanz von 2012 bis zum ersten Halbjahr 2016 von 8,6 Monaten auf elf Monate an. Besonders stark ist der Anstieg im Bereich des Baurechts: In erster Instanz dauerten die Prozesse im ersten Halbjahr 16 Monate – vor vier Jahren waren es zwölf Monate (plus 25 Prozent). In zweiter Instanz stieg die Durchschnittsdauer sogar von 6,7 auf 12,4 Monate (plus 85 Prozent). Strafprozesse in den Kleinen Kammern und Großen Jugendkammern dauerten mit 4,4 Monaten im Schnitt 15 Tage länger.
Lange Dauer ein Zeichen für Personalmangel
Für Fragestellerin Anna von Treuenfels-Frowein, justizpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, sind die Zahlen ein Zeichen für Personalmangel: „Die großen Versprechungen von Justizsenator Steffen, dass er die Gerichte besser ausstatten will, nutzen nichts.“ Am Landgericht sei die Lage weiter „enorm angespannt“. Die Politikerin verweist auch auf den drastischen Anstieg der Fehlzeiten von Rechtspflegern von 5,8 Prozent im Jahr 2015 auf 12,5 Prozent 2016. In den vergangenen Jahren wurden in keinem der Rechtsgebiete deutlich mehr Fälle im Jahr abgeschlossen, eher sank die Zahl der Erledigungen.
Laut Justizbehörde trügt die Statistik jedoch teilweise: So seien vermehrt Altfälle abgearbeitet worden, deren hohe Laufzeiten auch den Gesamtdurchschnitt nach oben trieben. Juristen bestätigen, dass das Personal nicht der einzige Faktor für längere Verfahren ist. „Die Rechtslage ist in einigen Gebieten schlicht komplizierter geworden“, sagt Marc Tully, Strafrichter am Oberlandesgericht und Vorsitzender des Richtervereins. Zudem verhielten sich Prozessbeteiligte heute oft anders. Früher habe man sich bei komplexen Sachverhalten auf wesentliche Streitpunkte konzentriert und dann geeinigt. „Inzwischen werden mehr Fälle bis in die Details durchgestritten.“
Gutachten verzögern die Entscheidungen
Auch die Rechtschutzversicherung sorge dafür, dass Kläger und Beklagte häufig weniger an schnellen Entscheidungen interessiert seien. Außerdem täten die technischen Möglichkeiten ihr Übriges – Gutachter könnten deutlich mehr strittige Fragen prüfen. „Jedes Gutachten ist gleichbedeutend mit einer monatelangen Verzögerung“, sagt Strafrichter Marc Tully.
In der Vergangenheit hatten Richter und Staatsanwälte die Überlastung der Justiz wiederholt in Brandbriefen an den Senat beklagt – derzeit warten die Richter ab, wie sich die angekündigten Stellenbesetzungen auswirken. Der Senat hat im laufenden Jahr für die Justiz 40 neue Stellen geschaffen, sechs davon am Landgericht „Wir beobachten die Situation und sind optimistisch, dass sich die Stellenverstärkung positiv niederschlägt“, sagte eine Sprecherin der Justizbehörde. Im Strafbereich etwa ging die Verfahrensdauer im ersten Halbjahr bereits von 7,3 Monaten im Jahr 2015 deutlich zurück. Auch die gestiegene Dauer in den Kleinen Strafkammern ist laut der Behörde im dritten Quartal wieder rückläufig gewesen. Die FDP sieht den „Ankündigungssenator“ Till Steffen (Grüne) dennoch in der Pflicht, die angekündigten Maßnahmen auch umzusetzen.
Anwälte klagen über Belastung
Aufseiten der Anwälte wird die Belastung an den Gerichten weiterhin als überaus hoch empfunden. „Die Qualität der Rechtsprechung in Hamburg ist weiterhin absolut gewährleistet, aber eine Verzögerung doch sehr deutlich spürbar“, sagt ein bekannter Hamburger Anwalt, der in dieser Frage anonym bleiben will. Für Zivilprozesse, bei denen die Klage nicht in Hamburg verhandelt werden muss, suchten sich die Kläger aber inzwischen häufig andere Standorte: „Es ist anderswo einfach reibungsloser, schneller“, sagt der Anwalt. „Und das ist kein gutes Zeichen für die Stadt Hamburg als bedeutenden Justizstandort.“