Handeloh/Hamburg. Die Staatsanwaltschaft Stade hat Anklage gegen die Leiter des Heilpraktikertreffens erhoben. Sie sollen die Psychodroge 2C-E verteilt haben

Mit Wahnvorstellungen, Herzrasen und Krampfanfällen wälzen sich die Menschen im Tagungsraum auf dem Boden. Einige sind bereits bewusstlos, andere liegen auf dem Rasen vor dem Gebäude, bis zu 29 Menschenleben sind in Gefahr. Augenzeugen können kaum glauben, was sie sehen. Mehr als 160 Rettungskräfte eilen ins niedersächsische Handeloh, Notärzte kämpfen in der parkähnlichen Anlage südlich von Hamburg um das Überleben der Seminarteilnehmer, Unfallwagen bringen die Betroffenen in verschiedene Krankenhäuser der Region. Schnell wird klar: Ein Drogenexperiment soll es gewesen sein, möglicherweise mit Sekten-Hintergrund.

Ein gutes Jahr später hat die Staatsanwaltschaft Stade ihre Ermittlungen beendet und Anklage erhoben. Sie wirft den beiden Organisatoren unter anderem Drogenbesitz vor, sie sollen bei der Tagung Anfang September 2015 die verbotene Psychodroge 2C-E, in Szenekreisen als „Aquarust“ bekannt, verteilt haben. Beschuldigt werden eine 49 Jahre alte Heilpraktikerin aus Aachen und ihr 51 Jahre alter Ehemann. Er ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut, wie Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas mitteilt. „Den Beschuldigten droht bei einer Verurteilung außer einer Haftstrafe auch ein Berufsverbot“, erklärt er.

Als die Sanitäter in Handeloh eintrafen, bot sich ihnen, vorsichtig formuliert, ein kurioses Bild: Auf dem Rasen vor dem hübschen, historischen Fachwerkgebäude lagen Menschen, einige krampften und zuckten, als hätte man ihnen Stromschläge versetzt. Andere „torkelten orientierungslos durch den Garten“, berichtete ein Augenzeuge dem Abendblatt damals. Die 160 Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Einige Patienten kamen auch nach Hamburg, die fünf ins AK Altona eingelieferten Patienten zeigten besonders extreme Ausfallerscheinungen: Die Bandbreite reichte vom Verlust der Kontrolle über die Ausscheidungsorgane und unkontrollierbare Aggressivität bis hin zu totaler Apathie bei einer älteren Dame. Zwei der Patienten, die durch die Notaufnahme tobten und randalierten, mussten sogar fixiert werden.

Es soll um „persönliche Selbsterfahrung“ und die „Förderung der Bewusstseinsentwicklung“ während einer sogenannten Psycholyse gegangen sein, sagt Breas. Die habe mit Psychotherapie und Medizin nichts zu tun, heißt es dazu bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Der Einsatz illegaler Drogen sei strafbar, zudem drohe Machtmissbrauch durch den Therapeuten.

„Nach den Ermittlungsergebnissen sind die Angeschuldigten Sympathisanten der sogenannten Kirschblütengemeinschaft“, sagt Breas weiter. Die Gemeinschaft des Schweizer Therapeuten Samuel Widmer wird von der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche als „problematisch“ eingestuft, Kritiker sprechen von einer Sekte.

Die Sprecherin der Kirschblütengemeinschaft möchte zu Handeloh nichts sagen. „Natürlich haben wir auch hier in der Schweiz von den Geschehnissen um die Heilpraktiker in Handeloh gehört“, heißt es auch nach über einem Jahr auf der Internetseite der Gemeinschaft. „Obwohl uns noch gar nicht bekannt ist, wer die betroffenen Personen in Handeloh sind, wird ein Schüler von Samuel Widmer darunter vermutet.“ Und weiter: „Hier wird somit nicht nur versucht, eine Therapiemethode zu diskreditieren, sondern ein Rufmord an Menschen riskiert, die einfach anders leben wollen.“

Das Tagungszentrum in Handeloh hat mit dem Vorfall vom 4. September auch nach fester Überzeugung der Staatsanwaltschaft nichts zu tun. Sie habe kein Verständnis für Drogen, auch nicht zur Bewusstseinserweiterung, hatte die Geschäftsführerin des Tagungszentrums wenige Tage nach dem Vorfall betont. „Das waren Heilpraktiker, Ärzte, Homöopathen und Psychologen“, hatte sie damals gesagt, noch immer fassungslos. „Ich bin froh, dass alle überlebt haben.“

Die Organisatoren müssen sich nicht wegen Körperverletzung verantworten – die Anklage geht laut Breas von „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ aus. Die Ermittlungsverfahren gegen die übrigen 27 Seminarteilnehmer wurden nach und nach eingestellt. „Der bloße Konsum von Betäubungsmitteln ist straflos“, erklärt Breas. Wann der Prozess am Landgericht Stade beginnt, steht nach Angaben einer Sprecherin noch nicht fest.