Hamburg. Unternehmerbündnis präsentiert zentrale Vorhaben in einem 100-Tage-Programm. Alle Ausgaben sollen auf den Prüfstand.
Die Kammerrebellen vom Bündnis „Zwangsbeiträge abschaffen - Die Kammer sind WIR“ haben am ersten Arbeitstag des Jahres ihr Programm für die Zukunft der Handelskammer Hamburg vorgestellt – und sich dabei ausgesprochen siegessicher gegeben. Schon bald nach der Wahl, bei der zwischen 16. Januar und 14. Februar rund 160.000 Hamburger Unternehmer ein neues Plenum wählen, wolle man die zwangsweise Erhebung von Beiträgen per Plenarbeschluss mit der dann gewonnenen eigenen Mehrheit zum Jahr 2020 abschaffen, sagte Bündnissprecher Tobias Bergmann bei der Präsentation der eigenen Vorhaben und der 57 Bündniskandidaten in der Patriotischen Gesellschaft.
Zunächst wolle man die Abhängigkeit von Beiträgen senken, so Bergmann, die Gebühren für Dienstleistungen der Kammer müssten künftig die Kosten decken – und alle Ausgaben der Kammer müssten auf den Prüfstand. Anders als von der aktuellen Kammerführung behauptet, sei die Kammer derzeit keine Solidargemeinschaft, so Bergmann – denn „der türkische Gemüsehändler zahlt derzeit mehr Beiträge als Apple und die meisten Cafés mehr als Starbucks“.
Altersversorgung der Mitarbeiter soll auf den Prüfstand
Bergmanns Mitstreiter Dominik Lorenzen (Teamgeist Nord), Annett Nack-Warencycia (Nack Büroeinrichtungen) und André Mücke (DSA youngstar) präsentierten weitere zentrale Vorhaben in einem 100-Tage-Prorgramm für die ersten drei Monate nach der Wahl. Danach sollen die Sitzungen des Plenums künftig öffentlich sein. Ein unabhängiger Sachverständiger soll den „finanziellen Schaden“ ermitteln, der durch die extrem gute Altersversorgung der Kammer-Mitarbeiter entstanden ist, bei der manche Rente über dem letzten Nettogehalt liegt – auch mögliche Schadenersatzansprüche sollen geprüft werden.
Der Hauptgeschäftsführer, derzeit Hans-Jörg Schmidt-Trenz mit einem Jahresverdienst von mehr als einer halben Million Euro, soll künftig nur noch „analog zum Wirtschaftssenator“ bezahlt werden, also ein Jahresgehalt von rund 150.000 Euro beziehen. Die umstrittene „Morgensprache“, bei der die Kammerführung in historischen Kostümen auf der Bühne eine Art historisches Laien-Theater aufführt, soll nicht weiter „finanziell oder ideell“ unterstützt werden. Und: Die Kammer lädt noch 2017 zu einem „Digitalisierungsgipfel duale Ausbildung“.
Eine zentrale Forderung sei es, „gegen Verschwendung“ in der Handelskammer vorzugehen, so die Rebellen. So solle nicht nur die Altersversorgung der Mitarbeiter auf den Prüfstand gestellt und das Gehalt des Hauptgeschäftsführers drastisch reduziert werden, sondern insgesamt solle die Kammer-Geschäftsführung um „mindestens 75 Prozent“ verkleinert werden. „Die Handelskammer hat derzeit 50 Geschäftsführer – schlanke Führungsstrukturen sehen anders aus“, so die Diagnose des WIR-Bündnisses. Wichtig sei es der Gruppe auch, eine „lebhafte Debattenkultur“ zu fördern. Um die tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse der Unternehmer zu ermitteln, solle es regelmäßig „repräsentative Mitgliederbefragungen“ geben.
Handelskammer soll Sitz am Rathaus behalten
Auf die Frage, ob die Kammer ihren Sitz auch bei einem Wahlsieg der WIR-Gruppe auf der Rückseite des Rathauses am Adolphsplatz behalten solle, sagte Bergmann: „Ja, denn die Handelskammer gehört ins Zentrum der Macht“. Allerdings wolle man eine gleichzeitige Öffnung des Gebäudes für andere Institutionen prüfen. Nicht festlegen wollten sich die Vertreter des WIR-Bündnisses auf einen möglichen eigenen Präses-Kandidaten. Eines aber solle es nicht mehr geben: eine Silvester-Rede des Präses bei der „Versammlung des Ehrbaren Kaufmanns“ in der bisherigen Form, bei der allein der Präses spricht und der Politik die Leviten liest. Die Rede zu diesem Anlass solle künftig „vierstimmig“ sein, so die Ankündigung der WIR-Gruppe. „Neben dem Präses wird am 31.12. ein Azubi, ein Existenzgründer und ein Traditionsunternehmer das Wort ergreifen.“
Die Traditionalisten vom konkurrierenden Wahlbündnis "Vorfahrt für Hamburg. Starke Kammer“ warfen den Rebellen der WIR-Gruppe am Montag "billigen Populismus" vor. „Das Wahlkampfgetöse der Kammer-Gegner zeugt von naiver Verkennung der Realität, es ignoriert die Gesetzeslage und ist ein Angriff auf die Solidargemeinschaft der Hamburger Wirtschaft“, sagt Willem van der Schalk, Sprecher der Gruppe. "Die Beitragspflicht, die verständlicherweise nicht jedem gefällt, ist für uns alternativlos", so van der Schalk. „Sie ist der Garant für die Solidargemeinschaft der Wirtschaft, in der einige Starke einer erheblichen Anzahl Schwächerer helfen, indem sie kostenlose Leistungen der Kammer in erheblichem Umfang ermöglichen.“
Hauptamt schaltet sich in Wahlkampf ein
Der Sprecher der Handelskammer, Jörn Arfs, verschickte kurz nach der Pressekonferenz der WIR-Gruppe einen "Fakten-Check", mit dem zahlreiche Aussagen der Rebellen widerlegt oder korrigiert werden sollten. Darin wird etwa betont, dass das Gehalt des Hauptgeschäftsführers durch ein Gutachten als angemessen bewertet worden sei. Auch sei eine Abschaffung der Beiträge ohne harte Einschnitte nicht möglich. "39 Millionen Euro an Pflicht-Kammerbeiträgen können allenfalls zu einem geringen Bruchteil aus freiwilligen Beiträgen ersetzt werden", scheibt Arfs. "42 Prozent des Betriebsaufwandes der Handelskammer sind, wie bei wissensbasierten Dienstleistern üblich, Personalkosten. Wie vor diesem Hintergrund auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet werden soll, bleibt rätselhaft."
Arfs betonte als Reaktion auf die Aussage, die duale Berufsausbildung müsse wieder Priorität in der Kammer haben, "dass die Berufsausbildung in der Handelskammer auch im Bundesvergleich" bereits "den höchsten Stellenwert" habe. "Die Handelskammer war maßgeblicher Initiator der Berufsschulreform, die zur Gründung des Hamburger Instituts für Berufsbildung (HIBB, dem Träger aller Berufsschulen) geführt hat." Ihre "Innovationskraft" habe die Kammer "auch dadurch beweisen, dass sie das duale System außerdem im Hochschulsektor der Stadt verankert hat, und zwar durch Gründung der dualen Hochschule HSBA, Hamburg School of Business Administration".
WIR-Sprecher Tobias Bergmann wertete diese öffentlichen Äußerungen des Kammersprechers am Montagnachmittag als Beleg dafür, dass das Kammer-Hauptamt im Wahlkampf nicht wirklich neutral sei, wie es seine Aufgabe wäre. Es falle auf, "dass Herr Arfs die bisweilen sehr seltsamen Forderungen der anderen Wahlbewerber keinem Faktencheck unterzieht", so Bergmann. Im Übrigen habe sich schon bei früheren Aussagen Arfs gezeigt, was von ihnen zu halten sei, so etwa, als dieser behauptet habe, man könne die Beiträge nicht abschaffen.
Die für die Kammeraufsicht zuständige Wirtschaftsbehörde hatte allerdings nichts an dem Faktencheck auszusetzen. „Das Hauptamt darf falsch dargestellte Sachverhalte richtig stellen ohne zu werten. Insofern ist eine Reaktion auf die Thesen aus der Pressekonferenz erst einmal nicht zu beanstanden", sagte Behördensprecherin Susanne Meinecke. "Die Wirtschaftsbehörde kommt ihrer Aufgabe als Aufsichtsbehörde selbstverständlich umfassend nach. Insofern gehört die Sichtung dieser Verlautbarung der Kammer auch dazu.“
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