Hamburg. Das Urteil im Februar ist von enormer Bedeutung. Doch es braucht auch dringend Unternehmen, die zukunftsfähige Jobs schaffen.

Am 9. Februar wird Hamburg nach Leipzig schauen. Genauer: zum Bundesverwaltungsgericht. Denn dort wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Urteil gesprochen, auf welches die Stadt seit Jahren wartet: das Urteil zur Elbvertiefung. Wird sie genehmigt? Oder wird sie womöglich untersagt?

Wer mit Hamburgern darüber spricht, bekommt schnell den Eindruck, dass diese Entscheidung weit mehr ist als ein Urteil über die Frage, ob ein Fluss verbreitert und vertieft wird. Häufig ist von einer „Schicksalsfrage“ für die ganze Stadt die Rede. Denn der Hafen ist für Hamburger nicht nur ein Platz, an dem Waren auf Schiffen ankommen und wegfahren. Er steht für Reichtum und Wohlstand – aber eben auch für Hans Albers, eine frische Seebrise, das Tor zur Reeperbahn. Er ist ein Gefühl. Ist Heimat. Und alles, was dem Hafen nicht guttut, kann auch nicht gut für Hamburg sein. Der eine Hamburger liebt den HSV, der andere den FC St. Pauli – aber alle lieben den Hafen. Bei so viel Sentimentalität fällt ein nüchterner Blick auf diesen Ort so ungemein schwer – obwohl er dringend notwendig wäre.

Neue Ideen jenseits der Old Economy sind gefragt

Hamburg darf sich nicht selbst reduzieren auf das Postkartenmotiv „Containerfrachter fährt an Landungsbrücken vorbei“. Ja, die Stadt braucht die Elbvertiefung! Aber was sie noch viel dringender braucht, das sind Ideen, die über die Old Economy, die Hamburg reich gemacht hat und für die der Hafen als Schiffsanlaufpunkt steht, hinausreichen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Stadt müssen sich fragen, wie sie in Zukunft zu leben gedenken. Ob sie sich sentimental an Altes klammern und dabei dem leisen Niedergang der Old Economy – begleitet vom Plätschern der Elbe – lauschen wollen. Oder ob sie gemeinsam eine moderne, zukunftsfähige Metropole bauen möchten, die etwas wagt.

Die Zeichen zeigen derzeit leider in die falsche Richtung: Hamburg ist auf dem schlechtesten Weg, eine Stadt zu werden, in der mäßig bezahlte Dienstleistungen überhandnehmen. Unternehmen suchen Pflegekräfte, Verkäuferinnen und Zimmermädchen. Gut bezahlte Arbeitsplätze im maritimen Bereich und der Luftfahrt gibt es dagegen immer weniger. Der Krankenhausbetreiber Asklepios hat 2016 den Hochtechnologiekonzern Airbus von Platz eins der größten Hamburger Arbeitgeber verdrängt – diese Statistik sagt mehr als tausend Worte.

Baden-Baden an der Elbe? Bitte nicht!

Dass die Bevölkerung immer älter wird – auch an Alster und Elbe – das ist ein Fakt. Und dass man diese Entwicklung mit guten Pflegeheimen und Krankenhäusern begleiten muss, dagegen kann niemand ernsthaft etwas haben. Aber die entscheidende Frage ist doch: Sollen diese Dienstleistungen ergänzt um große Einkaufszentren, mehr oder weniger anspruchsvolle Kulturdarbietungen und Barkassenrundfahrten langfristig das Rückgrat unserer Wirtschaft werden?

Hamburg als Baden-Baden an der Elbe? Bitte nicht! Es ist Zeit für Leuchtturmprojekte, die nicht nur Musiker mit Geigen und Klarinetten anziehen, sondern auch Menschen mit technischem Know-how, High Potentials, um die sich Unternehmen aus der ganzen Welt reißen, die Hamburg den Weg in eine digitale, nachhaltige Zukunft weisen. Im Jahr 2017 könnte der Startschuss dafür fallen.

Ideen gibt es genug. Zum Beispiel, dass Hamburg seinen Hafen nicht länger nur als Umschlagplatz für Waren versteht, sondern ihn zu einem europäischen Logistik-Kompetenzzentrum formt. Hafenchef Jens Meier hat schon vor Jahren davon gesprochen, an der Kaikante Elektroautos zusammenbauen zu wollen, die in die ganze Welt verschifft werden könnten. Und der Präsident des renommierten Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI, Henning Vöpel, plädierte unlängst dafür, im Hafengebiet 3-D-Druck zu eta­blieren. Denn er weiß, dass langfristig Karosserien von Autos, Maschinenteile und womöglich sogar Kleidung und Spielzeug im Drucker vor Ort entstehen und nicht mehr aus fernen Ländern per Schiff zu uns transportiert werden. Hamburg muss den zwangsläufigen Bedeutungsverlust des Hafens, der sich jetzt schon an den stagnierenden Umschlagzahlen ablesen lässt, kreativ auffangen. 3-D-Druck und Elektromobilität wären interessante, weil zukunftsfähige Alternativen.

Grüne Senatoren, aber graue Luft in der Innenstadt

Doch bisher geschieht auf diesen Feldern wenig. Unternehmen wie Airbus arbeiten zwar mit der neuen 3-D-Technologie, und auch die Technische Universität Hamburg-Harburg forscht an diesen Verfahren – doch die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft müsste viel enger sein. 3-D- und Umweltmetropole – unter diesem Namen sollte Hamburg in zehn Jahren in der ganzen Welt bekannt sein. Aber eine Stadt, die nicht einmal dazu bereit ist – zumindest in der City – eine Fahrverbotszone für Autos mit besonders hohen Abgaswerten einzurichten, kann nicht glaubhaft mit dem Etikett „grüne Metropole“ werben. In Berlin, München, Stuttgart und vielen anderen deutschen Städten ist die grüne Plakette an der Windschutzscheibe längst Pflicht. In Hamburg hat man zwar grüne Senatoren – doch die Luft in der Innenstadt ist grau.

Nicht in Lethargie verfallen, sondern Geschichte schreiben!

Warum 2017 nicht mal nach den Sternen greifen und einen Hersteller von Automobilen dafür begeistern, in direkter Nähe zum größten Seehafen des Landes eine Fabrik für Elektroautos zu errichten? Vielleicht Tesla aus Kalifornien? Die Stadt sollte offensiv mit einem attraktiven Grundstück und mit wissenschaftlicher Hilfe der Technischen Universität beim 3-D-Druck von Karosserien locken. Ein einfaches Unterfangen wird das nicht – keine Frage. Hamburg hat eben nicht die Tradition im Automobilbau wie Stuttgart, München, Wolfsburg oder Köln. Aber immer nur auf die Geschichte zu verweisen und dabei in Lethargie zu verfallen – das kann nicht die Lösung sein. Hamburg muss selbst Geschichte schreiben. Und Elektromobilität bietet dafür beste Chancen. Denn dahinter steckt weit mehr als eine Karosserie mit vier Rädern und Akkus.

Ein dichtes Netz an effizienten Ladestationen muss genauso geschaffen werden wie eine technisch aufwendige Vernetzung der Fahrzeuge. Pkw, die miteinander kommunizieren und selbstständig fahren – getestet wird auf diesem Gebiet bereits viel. Aber nicht in Hamburg. Dabei gibt es für diese Technologien in der Stadt durchaus unternehmerische Kompetenz – unter anderem mit dem Chiphersteller NXP oder dem Mercedes-Werk in Harburg. Miteinander reden, miteinander handeln, miteinander die Zukunft gestalten. Und die Stadt als Dirigent.

Englisch an den Unis – das muss zur Regel werden

Im Konzert dabei: die Universitäten. Denn Wirtschaft ohne Wissenschaft kann im digitalen Zeitalter nicht funktionieren. Professoren und Vorstandschefs müssen nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig zusammenkommen, sich austauschen, Ideen entwickeln und verwirklichen. Und die Hochschulen müssen so gut ausgestattet sein, dass sich die besten Nachwuchskräfte der Welt darum reißen, an der Elbe zu studieren. Um dies zu fördern, sollte es nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein, dass in den Hochschulen Englisch gesprochen wird.

Die Sprachbarriere – so banal es klingen mag – ist für Studenten aus fernen Ländern immer noch einer der Hauptgründe, warum sie nicht an deutsche Unis kommen. Hier könnte die Stadt Vorbild für die Republik werden. Denn ohne die internationalen High Potentials kann der Wandel zur Fortschrittsmetropole nicht gelingen. Und der Kampf um diese Köpfe ist hart. Dass Hamburg eine ausgeprägte Willkommenskultur hat, konnte man beobachten, als die erste Flüchtlingswelle die Stadt erreichte. Die große Hilfsbereitschaft und Offenheit war Thema in den Nachrichtensendungen rund um den Globus – und hat Hamburg nicht nur bekannt, sondern auch weltweit sympathisch gemacht. Darauf gilt es nun aufzubauen beim Werben um Fachkräfte.

In 20 Jahren wird man wissen, ob Hamburg sich zu einer wirtschaftlich potenten, modernen, nachhaltigen Me­tropole mit vielen gut bezahlten Hightech-Arbeitsplätzen entwickelt hat. Oder ob die Sentimentalität doch zu mächtig war. Der 9. Februar wird hoffentlich ein Ja zur Elbvertiefung bringen, weil die Stadt eine breitere und tiefere Elbe kurzfristig als Handelsmetropole benötigt. Doch sollten die Richter tatsächlich im Sinne des Senats entscheiden, darf dieser nicht den Fehler begehen, sich in den kommenden Jahren nur noch auf dieses eine Projekt zu konzentrieren. Dann wäre die Elbvertiefung kein Fort-, sondern ein Rückschritt für Hamburg.