Hamburg. Überall drehen sich die schlanken Stahlgerüste. Hamburg baut Wohnungen wie noch nie. Nur: Reicht das?
Klar, über die Neue Mitte Altona wird seit Jahren debattiert: ein neuer Stadtteil auf altem Güterbahngelände, das zweitgrößte Neubauprojekt der Stadt nach der HafenCity. Das weiß man alles. Und doch überrascht in diesen Tagen ein Besuch der Baustelle: Ein ganzer Wald aus Baukränen erhebt sich jetzt plötzlich tatsächlich an der Harkortstraße, etliche Lkw wühlen sich über sandige Pisten, und die Konturen der ersten kantigen Gebäude sind bereits zu erkennen. 1600 Wohnungen insgesamt werden hier jetzt im ersten Abschnitt gebaut. Eine gigantische Baustelle mitten in Altona, die gleichzeitig beispielhaft für ganz Hamburg steht: Baukräne gehörten in diesem Jahr zum Stadtbild wie die alten Kirchturmspitzen.
Wohin man auch schaut, überall drehen sich die schlanken Stahlgerüste. Manchmal sind es nur kleine Baulücken, wo gebaut wird, von irgendwelchen „Höfen“ liest man dann auf den Baustellenschildern. Vielfach sind es aber die ganz großen Areale: In der HafenCity beispielsweise zeigte sich gerade in diesem Jahr eine ungeheure Dynamik: 59 Projekte sind dort seit 2003 fertiggestellt worden – aber allein 2016 sind dort schon 53 Vorhaben in Bau oder Planung: vor allem Wohngebäude wie am Lohsepark, wo erstmals in der HafenCity Sozialwohnungen gebaut wurden. Auch im nächsten Bauabschnitt, auf der Landzunge am Baakenhafen, zeigt sich der Hamburger Bauboom. Noch sind hier kaum Kräne zu sehen, aber Bagger und Lkw, die das Terrain für den nächsten großen Schub vorbereiten.
Ähnlich sieht es im Norden Hamburgs aus, wo auf früheren Kleingärten am Stadtpark unter dem Projektnamen „Pergolenviertel“ rund 1400 Wohnungen gebaut werden sollen. Und ganz im Süden Hamburg in Neugraben-Fischbek gab es kürzlich den ersten Spatenstich für ein Neubaugebiet auf dem Gelände der früheren Röttiger-Kaserne. Mit zwei benachbarten „Gartenstadt“-Projekten entwickelt die städtische Immobiliengesellschaft IBA jetzt in dem Stadtteil etliche Tausend neue Wohneinheiten.
Auch mittendrin in der Stadt wurde gebaut: das Pestalozzi-Quartier auf St. Pauli etwa. Richtfeste gab es für komplett neue Viertel, die im Planerdeutsch gern „Quartiere“ genannt werden. So für das Projekt „Wohnen an der Finkenau“ beim Eilbekkanal oder für das Neubaugebiet „Jenfelder Au“ auf dem Grundstück der früheren Lettow-Vorbeck-Kaserne.
Immer mehr Singlehaushalte
Hinter alldem steckt das Wohnungsbauprogramm des Senats, das nun richtig Fahrt aufgenommen hat: So wurden 2011 noch 3700 Wohnungen neu gebaut in Hamburg. Im vergangenen Jahr waren es bereits rund 8500. Zwar liegt die neue Statistik der Fertigstellungen erst im Mai 2017 vor, doch schon jetzt zeichnet sich angesichts von mehr als 11.000 Baugenehmigungen ab, dass 2016 die Vorjahreszahl noch einmal übertroffen wird.
Die Rechnung der Stadt ist dabei klar: Wie alle deutschen Ballungszentren wächst Hamburg, und Wohnraum ist knapp. Relativ gesehen jedenfalls: Weil es immer mehr Single- oder Zweipersonenhaushalte gibt, werden mehr Wohnungen gebraucht als früher. Neubau entspannt die Situation. Das hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eindeutig besser erkannt als sein Vorgänger, der zwar auch immer von der Wachsenden Stadt sprach, dessen Wohnungsbaubilanz aber traurig aussah.
Vor allem jüngere Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren kommen in die Stadt, wie aus Studien des Beratungsunternehmens „Analyse & Konzepte“ hervorgeht. Oft ziehen diese Jung-Hamburger zunächst in äußere Stadtteile, später versuchen sie eine Wohnung in der inneren Stadt zu bekommen. Stadtteile wie Ottensen oder die Schanze gelten wegen der hohen Nachfrage daher als „hochpreisig dynamisch“, also als Viertel, wo Mieten besonders stark steigen und Kaltmieten um 14 Euro pro Quadratmeter eher die Regel als die Ausnahme sind.
Kein Wunder, dass dort jede noch so kleine Lücke bebaut wird. Aber längst schwappt der Boom auch weiter: Das Maklerunternehmen Grossmann & Berger hat in seinem Rückblick auf 2016 sogenannte „Rising Stars“ ausgemacht, also Stadtteile oder auch schon Umlandgemeinden, wo Investoren noch mit guten Renditen rechnen können, weil dort die Preise steigen würden. Neugraben, Sülldorf, Rothenburgsort und vor allem Schnelsen zählen dazu, aber auch Pinneberg, Buchholz oder Buxtehude.
Experten warnen vor baldigem Leerstand
Die hohe Nachfrage zieht aber – logischerweise – auch höhere Preise nach sich. Wer in Hamburg beispielsweise vor zehn Jahren im Schnitt noch 1947 Euro pro Quadratmeter für eine Eigentumswohnung zahlen musste, wäre in diesem Jahr schon mit 3401 Euro dabei. Im Durchschnitt wohlgemerkt. In Harvestehude oder in der HafenCity kann man gern auch rund 7000 Euro zahlen.
Wie lange sich diese Preisspirale noch weiter nach oben schrauben lässt, ist mindestens fraglich. Der frühere Wohnungsbaustaatsrat und heutige Berater der Bundesbauministerin, Michael Sachs, warnt aber bereits vor dem „Schweinezyklus“ der Branche. Wir werden bald wieder Leerstände erleben angesichts des massiven Neubaus, glaubt er. Nicht bei den eigentlich dringend benötigten, preiswerten Wohnungen, wohl aber bei teuren Eigentums- und Mietwohnungen.
Ein im wörtlichen Sinn negatives Erscheinungsbild dieser vor allem durch Bodenspekulation ausgelösten Preistreiberei zeigt sich schon jetzt: Wer nun einmal die anfangs beschriebenen Baustellen besucht, bekommt schnell den Eindruck, dass dort meist nur noch mit Kopien der immer gleichen Kästen gearbeitet wird. Selbst der Architekten- und Ingenieurverein AIV, eine traditionsreiche Branchenvertretung in Hamburg, sprach in diesem Jahr schon von einem „ewigen Einerlei in Zeiten des Massenwohnungsbaus“ und sieht als Ursache den enormen Preisdruck, dem Bauherren und Planer ausgesetzt sind. Bezeichnend:
Bei der jährlichen Prämierung der Hamburger Bauwerke des Jahres hatte der Verein diesmal kein einziges Wohngebäude ausgewählt .