Hamburg. Neubaugebiete mit mehr als 1000 Einheiten entstehen am Stadtrand. Hamburg könnte auf mehr als zwei Millionen Einwohner wachsen.

Die Chance, in Hamburg eine Wohnung zu finden, könnte in den nächsten Jahren wieder deutlich steigen: Neben der sogenannten Nachverdichtung in vielen Stadtteilen plant der Senat vor allem am Stadtrand jetzt auch völlig neue Wohngebiete mit jeweils mehr als 1000 Einheiten. Die größten in Neugraben-Fischbek, Wilhelmsburg, Billwerder und in der HafenCity. Und schon jetzt verzeichnet Hamburg (in den ersten drei Quartalen) ein Rekordergebnis bei genehmigten Wohnungen. „Von Januar bis September 2016 wurden 8604 Wohneinheiten genehmigt. Damit liegen wir 1209 Einheiten über 2015“, sagt Magnus Kutz, Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde, dem Abendblatt. Seit 2011 wurden 48.180 Genehmigungen erteilt.

Hintergrund der Anstrengungen: Mehr als zwei Millionen Bürger könnten in den kommenden Jahrzehnten nach Schätzung der Behörden in Hamburg leben, wenn die Stadt die Voraussetzungen schafft. Aktuell sind es etwa 1,79 Millionen. Das stellt die Stadt bereits jetzt vor die Herausforderung, ausreichend Flächen für den Wohnungsbau ausfindig zu machen.

Hamburg geht an seine grünen Reserven

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) hat vor einigen Monaten daher die Idee von der „Stadt an neuen Orten“ geboren. Mit anderen Worten: neue, größere Wohnviertel am Stadtrand. Hamburg geht an seine grünen Reserven. Insgesamt bis zu 70.000 Wohnungen könnten innerhalb der kommenden zehn Jahre in Hamburg gebaut werden, heißt es aus der Behörde. Um das zu erreichen, muss zum einen vorausschauend geplant werden. Zum anderen gilt es, den zu erwartenden Widerstand von Anwohnern und Umweltschützern zu kanalisieren.

„Hamburg soll zukünftig um 10.000 neue Wohnungen im Jahr wachsen“, sagt Stapelfeldt. Davon sollen 3000 öffentlich geförderte Mietwohnungen sein, um den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zu stillen. Dabei ist die Politikerin sich durchaus bewusst, dass neue Wohnungen, moderne Arbeitsstätten und attraktive Grünanlagen zusammen geplant werden müssen.

„Ich sehe die wachsende Stadt als eine Chance für alle Hamburgerinnen und Hamburger“, so die Senatorin. Für Investoren jedenfalls scheint Hamburg auch trotz steigender Preise weiter ein interessanter Markt zu sein. „Man investiert hier sehr sicher“, sagt beispielsweise Timo Holland, Leiter Investments bei der Wertgrund Immobilien AG. Das Münchner Unternehmen ist für seinen Immobilienfonds in der Hansestadt neu auf Einkaufstour und schaut sich nach neuen Objekten hier um. „Wir glauben an einen weiteren Zuzug nach Hamburg.“ Auch bei verstärktem Wohnungsbau würden sich Investitionen noch rechnen, sagt der Münchner Immobilienexperte. „Allenfalls werden sich irgendwann Neubau und Zuzug die Waage halten.“

Das sagen die Stadtforscher zu den Plänen

Allerdings gibt es auch Probleme mit diesem Wachstumsszenario. Nach Beobachtung des renommierten Hamburger Stadtforschers Dieter Läpple zeichnet sich eine bedenkliche Entwicklung ab. Investoren zöge es vor allem dorthin, wo es schon eine hohe Dichte gibt und in der Regel eben auch hohe Mieten. Gebaut werde dann eben in Eimsbüttel und Ottensen – und nicht dort, wo viel Platz ist. Man dürfe Nachverdichtung nicht dem Markt allein überlassen, so Läpple. Und tatsächlich blicken die Planer der Stadtentwicklungsbehörde längt auch auf den Stadtrand, um die ehrgeizigen Wohnungsbauziele zu schaffen.

Ob das aber immer reibungslos funktioniert, dürfte zumindest fraglich sein. Beispiel Neugraben: Rund 5000 Wohnungen plant der städtische Projektentwickler IBA dort in den kommenden Jahren. Doch schon jetzt stöhnen hier viele Menschen über Staus auf den Straßen und über verstopfte S-Bahnen. Man werde darauf reagieren, versprach der zuständige Harburger Bezirksamtsleiter Thomas Völsch (SPD) kürzlich. Konkrete Maßnahmen aber konnte er nicht nennen.

Alle wichtigen Planungen auf einen Blick

Das Hamburger Abendblatt hat sich die Planungen der Stadt genauer angeschaut und zeigt auf, wo Hamburg in den kommenden Jahren richtig wachsen soll:

Neue Mitte Altona 1: Baukräne stehen hier schon, an den ersten Gebäuden wird gebaut: Die Neue Mitte Altona, immerhin das nach der HafenCity größte Neubauprojekt Hamburgs, nahm in diesem Jahr erste Gestalt an. Rund 1600 Wohnungen sind hier im ersten Abschnitt auf den Gelände der früheren Güterbahn im sogenannten Drittelmix aus frei finanzierten Miet-, Sozial- und Eigentumswohnungen vorgesehen, eine Schule, Kitas und ein großer Park ebenso. Voraussichtlich 2017 ziehen die ersten Bewohner hier ein. Die Bebauung mit zwölf Blöcken orientiert sich dabei an der benachbarten Struktur von Altona. Pro Block sind allerdings mehrere Architektenbüros beteiligt, um ein zu einheitliches Bild zu vermeiden.

Neue Mitte Altona 2: Der zweite Bauabschnitt der Neuen Mitte Altona wird erst in einigen Jahren gebaut – doch die Stadt hat der Bahn AG das Gleisgelände bereits für 38,8 Millionen Euro abgekauft. Sobald der Fernbahnhof Altona wie geplant 2023 eine S-Bahn-Station weiter nach Diebsteich verlegt ist, können die Gleise abgebaut und die eigentliche Vorbereitung des Geländes begonnen werden. Rund 1900 Wohnungen plant der Senat hier noch einmal. Wie lange solche Neubaupläne gelegentlich brauchen, zeigt die Planungsgeschichte der Neuen Mitte: 2010 bereits stand der Masterplan, 2012 beschloss die Bürgerschaft die Realisierung.

Nordwestliches Altona: Etwa 3500 Wohnungen dürften in den kommenden 10 Jahren das Gesicht Altonas rund um den Stadtteil Bahrenfeld deutlich verändern. Aktuell arbeitet das Bezirksamt an neuen Bebauungsplänen für das frühere Kolbenschmidtgelände und das benachbarte Hermes-Hochhaus, das zugunsten von Wohngebäuden abgerissen werden soll, auf rund 1000 Wohneinheiten schätzen hier die Planer das Potenzial. Noch mehr werden es wohl zwischen der heutigen Trabrennbahn Bahrenfeld und der Schnackenburgallee: Entwicklungsflächen – so heißt das Stichwort, mit dem der neue ­A-7-Lärmschutzdeckel finanziert werden soll.

Das heißt: Sobald der Deckel fertig ist, könnte die Stadt in der Nähe Grundstücke (oft Kleingärten) für den Wohnungsbau verkaufen. Rund 2500 Wohnungen könnten laut Stadtentwicklungsbehörde allein in Altona gebaut werden, sobald der Altonaer Deckelabschnitt ab etwa 2025 fertig gebaut ist. In Stellingen sollen am künftigen A-7-Deckel ebenfalls rund 700 neue Wohnungen entstehen.

HafenCity: Rund 1800 Wohnungen sind in Hamburgs neuem Stadtteil bereits fertig gebaut, insgesamt sollen es bis etwa 2025 fast 7000 für 14.000 Einwohner werden. Anders als vielfach vermutet, werden hier auch Sozialwohnungen gebaut, bei etwa 2000 wird am Ende der Anteil liegen. Aktuell wird beispielsweise am Lohsepark und demnächst auch im südlichen Teil des Überseequartiers in der zentralen HafenCity gebaut. Ein „ urbanes Dorf“ mit Schwerpunkt Wohnen soll das Baakenhafenquartier werden, das als eine Art Landzunge von zwei Seiten von Wasser umgeben ist. In diesem Jahr sind dort bereits erste Grundstücke vergeben worden, bis etwa 2021 sollen dort rund 2000 Wohnungen gebaut werden. Östlich schließt sich das Elbbrückenquartier als letzter Abschnitt der HafenCity an, dort sind noch einmal etwa 1100 Wohnungen geplant.

Hammerbrook als neues Baugebiet

Hamburger Osten: Noch steckt in dem Projekt mehr Vision als tatsächliche konkrete Planung: „Stromaufwärts an Elbe und Bille – Wohnen und urbane Produktion in ,Hamburg Ost’“ – so heißt das Senatskonzept für Hammerbrook, Borgfelde, Hamm, Horn. Rothenburgsort, Billbrook und Billstedt. 15.000 bis sogar 20.000 Wohnungen könnten hier in den kommenden Jahrzehnten entstehen, schätzt man in den Behörden. Einige Neubaugebiete in diesem Planungsraum kristallisieren sich aber schon jetzt deutlicher heraus: Hammerbrook: Als „Raum für Stadtpioniere“ sehen die Planer das Gebiet der heutigen City Süd, die vor allem durch Bürogebäude geprägt ist. Noch.

Denn hier an den Kanälen sollen in den nächsten Jahren zwischen Münzviertel und Mittelkanal rund 2000 neue Wohnungen gebaut werden, erste Häuser wie die weißen Hansaterrassen stehen bereits seit Kurzem. Öjendorf und Mümmelmannsberg: Auch dafür hat die Senatskommission den Weg frei gemacht: Als „ Gartenstadt“ in Öjendorf mit bis zu 800 Wohnungen, in Mümmelmannsberg heißt das Projekt „Internationales Quartier“ und soll noch einmal 600 Wohnungen bringen. Oberbillwerder:

Im Bezirk Bergedorf, auf der grünen Wiese soll am S-Bahnhof Allermöhe quasi ein neuer Stadtteil mit 5000 bis 7000 Wohnungen entstehen, die Senatskommission für Stadtentwicklung hat dazu die Behörden gerade beauftragt, mit ersten Planungen dafür zu starten Bergedorfer Schleusengraben: Am Bergedorfer Schleusengraben ist der Bau von insgesamt 1400 Wohnungen geplant. Ziel ist es, das Gebiet, das bislang durch Gewerbe und Industrie geprägt war, zu einem lebendigen Stadtquartier mit reizvoller Mischung aus Gewerbe, Wohnen und Freizeit zu entwickeln. Vor allem der Uferbereich soll für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das „Rückgrat“ des Viertels soll eine durchgängige Fuß- und Radwegeverbindung bilden. Hinzu kommen Brücken auf der Höhe der neu entstehenden Siedlungen. Neben Wohnungen entstehen hier Büros, Schulen, Kitas und ein Seniorenheim.

Großes Potenzial auf der Elbinsel

Wilhelmsburg: Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße dürfte auf der Elbinsel in den kommenden Jahren noch einmal einen großen Schub im Wohnungsbau bringen: Insgesamt sieht die städtische IBA GmbH als Projektentwicklerin in Wilhelmsburg ein Potenzial von 5000 neuen Wohnungen auf der Elbinsel. Tatsächlich wird an der neuen Straße, die dann an den Bahnlinien liegen soll, bereits aktiv gearbeitet und für die dann frei werdenden Areale sind bereits städtebauliche Wettbewerbe entschieden: Im „Rathaus-Viertel“ beim früheren Ortsamt könnten demnach 1300 Wohnungen gebaut werden, im weiteren Verlauf der alten und dann verlegten Reichsstraße noch einmal 2000. Baubeginn für beide Abschnitte ist nach Einschätzung der IBA bereits 2019.

Neugraben: Auch rechts und links der B 73 im Süden Hamburgs in den Stadtteilen Neugraben und Fischbek ist die IBA GmbH aktiv: Und hier schätzt sie das Potenzial neuer Wohnungen entlang der S-Bahn-Linie in drei verschiedenen, aber sehr eng beiein­ander liegenden Flächen auf fast 5000 Einheiten. Tatsächlich hat der Bau von vielen Häusern im Baugebiet „Vogelkamp Neugraben“ im Moorgürtel an der S-Bahn-Station Neugraben bereits begonnen, rund 1500 Wohnungen sollen es am Ende werden, zu großen Teilen auch in Einfamilien- oder Reihenhäusern.

800 Wohnungen in der Fischbeker Heide gebaut

Bis 2019 soll zudem etwas weiter an der Landesgrenze zu Niedersachsen das Areal der früheren Röttiger-Kaserne an der Fischbeker Heide bebaut werden: Rund 800 Wohnungen sind dort geplant. Noch größer wird das Neubaugebiet quasi direkt gegenüber – hier wird es eine Art Lückenschluss zwischen dem niedersächsischen Neu Wulmstorf und der in den 1960er-Jahren gebauten Sandbek-Siedlung in Fischbek geben. Als „ Gartenstadt“ bezeichnet die IBA dieses neue Areal mit dem Namen „ Fischbeker Reethen“, für das bis 2018 ein Bebauungsplan fertig sein soll. Immerhin 2000 Wohnungen sind dort geplant, davon wieder viele in Reihenhäusern. Hinzu kommen auf dieser Achse zwischen Bundesstraße und S-Bahn noch eine Reihe von Flüchtlingsunterkünften, allein 1000 neue Plätze in einer zweiten Folge-Unterkunft an der Straße Am Aschenland.

Pergolenviertel: Das Pergolenviertel soll auf einer seit Anfang des 20. Jahrhunderts für Kleingärten genutzten Fläche entstehen. Das Gebiet in Hamburg-Nord ist durch den öffentlichen Personennahverkehr sehr gut erschlossen und bietet durch seine Nähe zum Stadtpark eine hohe Lebensqualität. Vorgesehen sind unterschiedliche Wohnungsangebote, wobei 60 Prozent öffentlich gefördert werden sollen. Neben Wohngruppen, Baugemeinschaften und Mietwohnungen sind Eigentumswohnungen geplant. Insgesamt sollen im Pergolenviertel 1400 Wohnungen geschaffen werden. Die Erschließung läuft bereits.