Hamburg. Härterer Kurs des Senats spaltet Hamburger Politik. Darf man Menschen nach Afghanistan abschieben? Baumärkte noch Unterkünfte.
Hamburgs neuer Ton im Umgang mit ausreisepflichtigen Flüchtlingen sorgt für Kritik – auch aus der Regierungsfraktion der Grünen. So hatte sich die Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina deutlich gegen die Sammelabschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen. „Solange Herr de Maizière nicht nachgewiesen hat, dass man in Afghanistan sicher leben kann, sind Abschiebungen dorthin nicht zu verantworten.“ Der Koalitionspartner der SPD hob jedoch auch hervor, dass Hamburg neben den Asylentscheidungen des Bundes weiterhin jeden Einzelfall prüfe.
Sammelabschiebungen sind neu
Mindestens zwei Afghanen aus Hamburg wurden in der vergangenen Woche durch Eingaben und Gerichtsentscheidungen kurz vor ihrer geplanten Abschiebung freigelassen.
Die Praxis der Sammelabschiebungen ist neu: Bis zum Frühjahr hatte Hamburg – unabhängig vom Ergebnis eines Asylantrags – jegliche Abschiebungen nach Afghanistan abgelehnt. Nach 18 Monaten Duldung folgte in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis.
Innensenator Andy Grote (SPD) hob die sogenannte Senatorenregelung des früheren CDU-Innensenators Christoph Ahlhaus jedoch bereits im Februar auf. Er verwies dabei auch auf die Einschätzung der Innenministerkonferenz der Länder, nach der die Rückkehr in einige afghanische Regionen zumutbar sei. Diese Einschätzung ist nicht unumstritten.
Senat setze auf Gefahr für Leib und Leben
Massive Kritik äußerte etwa Christiane Schneider von der Partei Die Linke. „Auch wenn Hamburg seit vielen Jahren bekannt ist für einen harten Abschiebekurs praktisch aller Senate: Mit der Sammelabschiebung in ein von Krieg und Terror geschütteltes Land ist eine neue Stufe erreicht“, so Schneider. „Während die meisten anderen Bundesländer die Beteiligung verweigerten, setzt der rot-grüne Senat Menschen wissentlich der Gefahr für Leib und Leben aus. Der nächste Flug ist geplant und steht kurz bevor. Wir fordern den Senat auf, die Abschiebungen nach Afghanistan sofort zu stoppen.“
Flüchtlingshelfer warnen zudem davor, dass vermehrte Abschiebungen zu Panik bei der großen Zahl von anerkannten Flüchtlingen führen könnte und Afghanen womöglich in die Illegalität treiben. Afghanen stellten mit 5702 in diesem Jahr bisher die größte Gruppe der insgesamt 17.651 Asylanträge dar. Es folgten Syrer (4691), Iraker 2692 und Iraner (1311). Rund 520 Afghanen waren nach Senatsangaben Ende Oktober 2016 als ausreisepflichtig erfasst.
CDU: 620 Abschiebungen sind zu wenig
„Wie viele von ihnen bereits ausgereist sind, ist jedoch nicht bekannt“, so Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Ebenso sei unklar, bei wie vielen die Papiere für eine mögliche Abschiebung fehlen. Eine schnellere Beschaffung von ausländischen Dokumenten ist unter anderem das Ziel des bundesweiten Zentrums, das im Januar eröffnet werden soll.
Halten die einen die Abschiebepraxis Hamburgs für zu hart, ist sie für die anderen noch nicht hart genug. „Nur 620 Abschiebungen in diesem Jahr sind angesichts Tausender ausreisepflichtiger Ausländer in Hamburg ein Armutszeugnis“, so Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Es kann nicht sein, dass in Hamburg die Weigerung auszureisen, am Ende zum Erfolg führt.“ Der Innensenator müsse seinen markigen Worten endlich Taten folgen lassen und „darf sich nicht von den Grünen den Schneid abkaufen lassen“, so Gladiator weiter.
Noch immer prekäre Unterkünfte
Unterdessen hat sich die Unterbringung der Flüchtlinge in diesem Winter im Vergleich zum Vorjahr entspannt. Mussten im vergangenen Winter noch Hunderte Flüchtlinge in Zelten überwintern, sind derzeit keine mehr in Zelten untergebracht.
Allerdings muss der Senat laut Angaben des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge (ZKF) auch weiterhin prekäre Unterkünfte nutzen, um alle Flüchtlinge unterzubringen. Auch von den ursprünglich fünf Baumärkten, die zu Höchstzeiten für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt wurden, sind noch immer zwei in Betrieb (Am Geu-tensweg in Neugraben und am Hellmesbergerweg in Rahlstedt). 414 Flüchtlinge sind dort derzeit untergebracht. Neben den Baumärkten gibt es jedoch noch vier weitere sogenannte prekäre Standorte: der Elektrogroßmarkt an der Kieler Straße in Eimsbüttel, der ehemalige Großmarkt in Neuland II, eine Industriehalle in Lohbrügge und eine Turnhalle an der Wendenstraße in Hammerbrook.
Etwas mehr Menschen in Folgeunterkünften
Insgesamt leben in den prekären Unterkünften derzeit 1334 Menschen. In Hamburgs 115 Folgeunterkünften (etwas mehr als im Vorjahr) sind derzeit laut ZKF 19.956 Flüchtlinge untergebracht. In den 32 Erstaufnahmen (leicht gesunken) sowie in der Zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge (ZEA) leben derzeit rund 8849 Menschen. 6635 von ihnen sind bereits länger als die vorgesehenen sechs Monate dort und zählen damit zu den „Überresidenten“.