Hamburg. Sind sie pünktlich? Finden alle Platz? Die Erfahrungen sind unterschiedlich, die Kapazität begrenzt. Experten empfehlen Straßenbahn.
Es ist nicht schwer, am öffentlichen Nahverkehr in Hamburg zu verzweifeln. Man muss nur zu Stoßzeiten in eine beliebige Metrobuslinie steigen (in der Hoffnung, überhaupt mitgenommen zu werden) – oder in sozialen Netzwerken die Buchstabenkombination HVV eintippen.
Große Kundenzufriedenheit
Kein Tag vergeht dort ohne Klagen über den Hamburger Verkehrsverbund: „Kurzer Bus, einer frisst sein Asia-Zeug, schreiende Kinder, Eskalation!“, heißt es etwa. Oder: „Türchen öffnen ist beim HVV ja anscheinend nicht mal in der Adventszeit angesagt. Sogar alte Damen werden stehen gelassen!“ Und nicht zuletzt: „Spätestens ab Harburg ist stadteinwärts kaum ein akzeptabler Stehplatz zu bekommen.“ Alles in allem wirkt das: unerfreulich, höchst unerfreulich.
Andererseits wird über eine durchschnittliche Pünktlichkeitsquote von 95 Prozent bei Bahnen und Bussen gejubelt. Der HVV-Qualitätsbericht weist eine große Kundenzufriedenheit aus, und erst am Sonnabend kündigte der Hochbahn-Chef Henrik Falk im Abendblatt-Interview fahrerlose Busse für noch reibungsloseres Dahingleiten an.
Autofahrer sollen auf Rad, Bus und Bahn umsteigen
Also: Wohin steuert der öffentliche Nahverkehr in Hamburg wirklich? Geradewegs ins Grauen, weil das System unter jährlich steigenden Fahrgastzahlen – zuletzt waren es 751 Millionen – kollabiert, wie Interneteinträge und manch ein Realitätsabgleich zeigen? Oder in eine glorreiche Zukunft mit selbstfahrenden Bussen, superengen Takten, neuen Linien und immer längeren Zügen, wie die HVV-Mitgliedsunternehmen frohlocken? Zumal die rot-grüne Senatspolitik noch mehr Autofahrer zum Rad-, Bus- und Bahnfahren bewegen will.
Infrastruktur ausgelastet
Grundsätzlich seien noch Kapazitäten frei, sagt Philine Gaffron, Oberingenieurin am Institut für Verkehrsplanung der Technischen Universität Hamburg-Harburg: „Mit dem derzeitigen System aus U-Bahnen, S-Bahnen und Bussen könnten durchaus mehr Menschen bewegt werden.“ Andererseits sei das Fassungsvermögen des Nahverkehrsnetzes nicht „nach oben offen“, der Takt zwischen Bahnen und Bussen nicht beliebig zu verengen. Experten gehen von einem Mindestabstand von zweieinhalb Minuten aus. „Insofern ist das System bei steigender Nachfrage ab einem gewissen Punkt ausgelastet", sagt die Expertin. Der Hamburger Verkehrsentwicklungsplan sowie das Verkehrsnachfragemodell - beide sollen 2017 vorliegen - werden wichtige Instrumente sein, um hier fundiert Abhilfe planen zu können. Es sei lediglich bedauerlich, dass dieses planerische Rüstzeug der Stadt nicht schon vor langer Zeit zur Verfügung gestanden habe.*
Taktverdichtungen kommen dazu
Laut Eigenauskunft des HVV seien „zehn bis 20 Prozent mehr Fahrgäste außerhalb der Hauptverkehrszeiten problemlos“ zu befördern. In den Hauptverkehrszeiten seien dagegen zusätzliche Fahrzeuge für längere Züge oder zusätzliche Fahrten nötig. Schon jetzt, sagt HVV-Sprecher Rainer Vohl, werde das Angebot ständig ausgebaut. „Verbesserungen wurden auf den Metrobuslinien 2, 3, 5 und 15 vorgenommen.“ In den kommenden Jahren sollen neben Taktverdichtungen große Schienenprojekte dazukommen. Vohl: „Die Kapazitäten werden deutlich erhöht, etwa durch neue S-Bahn-Fahrzeuge, die Verlängerung der U 4, den Bau von U 5, S 4 und S 21.“ Auch das 259 Millionen Euro teure Busbeschleunigungsprogramm des Senats reicht noch bis ins Jahr 2019.
Entschädigung ab 20 Minuten Wartezeit
Mitunter entsteht trotzdem der Eindruck, dass der Ausbau des Nahverkehrs nicht mit den steigenden Nutzerzahlen Schritt halten kann. Ein Indiz: Der HVV musste im vergangenen Jahr die Rekordentschädigungssumme von 100.000 Euro an Fahrgäste zahlen, die länger als 20 Minuten auf verspätete Anschlüsse warteten. Zudem war die Kundenzufriedenheit im aktuellen HVV-Qualitätsbericht beim Punkt „Sicherstellung von Anschlüssen im Abendverkehr“ ebenso unterdurchschnittlich wie im HVV-Kundenbarometer bei den Kriterien „bequemes Fahren“ und „ausreichendes Platzangebot“. Grundsätzlich aber ist die Kundenzufriedenheit mit einem Wert von 2,08 auf einer Skala von eins bis fünf gleichbleibend gut.
Für den CDU-Verkehrsexperten Dennis Thering liegt das Hauptproblem des Hamburger Nahverkehrs am „Gordischen Knoten Hauptbahnhof“, über den alle S- und U-Bahn-Linien führen, und der „hoffnungslos überlastet“ sei. Er sieht die Lösung im Ausbau von Tangentialverbindungen, also direkten Verbindungen der Stadtränder ohne Durchquerung des Stadtzentrums. „Eine Wiederbelebung der Alsterbarkassen im Liniendienst würde zudem Busse entlasten, eine schnellstmögliche Verstärkerlinie S 32 von und nach Harburg die S-Bahn“, sagt Thering. Kleinteilige Fahrplankorrekturen wie derzeit seien dagegen nur „Flickschusterei“.
In Busbeschleunigung verrannt
Eine engere Taktung der Bahnen und die Entzerrung der Arbeitszeiten in der öffentlichen Verwaltung hält FDP-Verkehrsexperte Wieland Schinnenburg dagegen neben anderen Maßnahmen für sinnvoll, um das Kapazitätsproblem zu lösen. „Auch die Indiensthaltung älterer Schnellbahnen und Busse“ könne für Entlastung sorgen. Doch, so der Liberale: „Der Senat hat sich in das teure und weitgehend nutzlose Busbeschleunigungsprogramm verrannt.“
Verkehrsforscherin Philine Gaffron hält es dagegen für sinnvoll, alle Systeme in künftige Überlegungen einzubeziehen. Demnach sei auch die von Bürgermeister Olaf Scholz kategorisch zu den Akten gelegte Stadtbahn prüfenswert. „Straßenbahnen politisch auszuschließen halte ich für unvernünftig“, sagt Gaffron. Bei entsprechender Nachfrage könnten sie wirtschaftlicher und verkehrsplanerisch effizienter als Busse sein. Doch in Hamburg würden strategische Entscheidungen zum Verkehr zu oft am "politischen Quengelregal" getroffen.* Dabei würden viele Städte gute Erfahrungen mit Stadtbahnen machen.
Mit der U1 von Berne in die Innenstadt
Der Einstieg in die blaue Linie erfolgt zur besten CC-Karten-Zeit. 9.02 Uhr „jans weit draußen“ (jwd), Bahnhof Berne, zweitletzter Waggon. Er ist halb leer, ein Sitzplatz kein Problem. Der Wagen ist wohltemperiert, das Gestühl sportlich hart, die Scheiben zerkratzt, aber noch durchsichtig. Um mich herum Smartphone-User, Papier-Leser und In-die-Luft-Gucker. In Farmsen steigt sogar einer aus. Ansonsten kommen nur Fahrgäste dazu – am Stadtrand wohnen, aber weit weg arbeiten und einkaufen.
Einige stehen, obwohl Sitze frei sind. Tuchfühlung ist nicht jedermanns Sache. Wandsbek-Gartenstadt. Der große Gästetausch mit der U 3 ist ein Nullsummenspiel. Ab Straßburger Straße ist der Wagen voll. Wandsbek Markt. Es wird eng und unbequem. Einige wissen nicht recht, wo im Gang sie sich festhalten sollen. Man fährt halt und hat’s trocken. Es könnte schlimmer kommen. Und es kommt schlimmer. Gelegentlich muss energisch werden, wer zusteigen will. Ab Lübecker Straße entspannt sich die Lage, am Hauptbahnhof endlich überwiegen die Aussteiger spürbar. Ab Meßberg gibt’s wieder Sitzplätze. Geschafft. (axö)
Mit der Buslinie 37 von Altona in die City
Der Bus der Linie 37 vom Altonaer Bahnhof in die City ist morgens selten voll. So weit ist alles gut. Nicht gut ist, dass man jeden Morgen neu raten muss, wann er fährt. Nur an Glückstagen trifft er die im Fahrplan genannten Zeiten. Der Aushang behauptet, um 8.43 Uhr fahre der 37er ab. Die elektronische Anzeige behauptet allerdings um 8.42 Uhr, der nächste 37er komme erst in sechs Minuten – gleichzeitig mit einem weiteren 37er. Der Bus ist tatsächlich um 8.46 Uhr da, dahinter ein weiterer 37er. Ich steige in den ersten ein, beide Busse fahren einträchtig und gemeinsam bis zum Großen Burstah. Ein harmonischer Arbeitsbeginn. Einen Tag später am Bahnhof Altona: Um 9 Uhr bin ich auf dem Bussteig – und sehe aus der Ferne, wie der 37er, der eigentlich erst um 9.01 Uhr abfahren soll, die Türen schließt und vorzeitig das Weite sucht. Laut Fahrplan kommt der nächste Bus um 9.11 Uhr, laut Anzeige in 15 Minuten. Die Anzeige gewinnt: Um 9.15 Uhr ist der 37er da. Ich beginne mich daran zu gewöhnen, dass sich der 37er dem Diktat des Fahrplans nicht beugen will. Er ist ein Revoluzzer-Bus. Ich glaube, wir könnten Freunde werden. (pop)
Mit der S3 von Harburg zum Jungfernstieg
Wer mit den Linien S 3 und S 31 pendelt, kann für sich in Anspruch nehmen, Teil der größten Bewegung Hamburgs zu sein. Mehr als 300.000 Menschen quetschen sich täglich in die Langzüge, und das ist nicht selten wörtlich zu nehmen – vor allem zwischen 7 und 8 und um kurz nach 9 Uhr, wenn die CC-Karteninhaber dazukommen. Wer zwischen Harburg und Veddel noch zusteigen will, braucht Durchsetzungsstärke, einen stabilen Kreislauf, Kontaktfreudigkeit und einen Job mit Gleitzeit: Mitunter ist es so voll, dass nur das Warten auf die nächste Bahn bleibt. Das hilft in der Regel, denn die S 31, die im Wechsel mit der S 3 fährt, bietet meist etwas mehr Bewegungsfreiheit. Der Test, jeweils mit der S 3 ab Harburg: Dienstag, 6.40 Uhr, sehr voll, stehen Sie bequem! Mittwoch, 11 Uhr: Es gibt noch Stehplätze, ab Hammerbrook sogar Sitzplätze. Donnerstag, 9.20 Uhr: Zwischen dem herrenlosen Rad, einem Kinderwagen und einem asiatischen Touristen mit Survival-Rucksack sind noch wenige Quadratzentimeter frei. Das langt für den Legehennen-Selbstversuch. Fazit: Tierquälerei. Aber die 15 Minuten übersteht man – und ist flott in der Innenstadt. (dey)
Buslinie 4 von der Sartoriusstraße zum Rathaus
Der 4er-Bus ist bereits gut gefüllt, als ich an der Station Sartoriusstraße in Eimsbüttel zusteige. Er fährt genau nach Plan um 9.05 ab. Für mich gibt es allerdings nur noch einen Stehplatz. Für die nächsten paar Haltestellen ist das etwas anstrengend. Der Bus kommt nur schleppend voran, was allerdings weniger mit roten Ampeln und Verkehrsaufkommen zu tun hat als damit, dass die Osterstraße gerade eine Großbaustelle ist und der 4er-Bus zum Teil Umwege fahren muss.
Nach der haltestelle Schlump wird alles angenehmer. Jetzt bekomme ich einen Sitzplatz und auch das Baustellengejuckel ist vorbei. Zügig geht es nun weiter Richtung Innenstadt. Um 9.36 Uhr erreichen wir nach 31 Minuten meine Zielstation Rathausmarkt. Das ist rund fünf Minuten länger als im Fahrplan, was aber einfach an den Baustellen auf dem Weg liegt. Auch für den Rückweg nehme ich an diesem Tag ausnahmsweise den Bus. Der startet um 19.05 Uhr und erreicht nach planmäßigen 30 Minuten wieder die Sartoriusstraße. Dazu ist der Bus selbst jetzt am Feierabend zur bester Adventseinkaufszeit angenehm leer. (cia)
Linie 6 Averhoffstraße bis Großer Burstah
9.15 Uhr, Haltestelle Averhoffstraße (Uhlenhorst). Der Bus Richtung Feldstraße ist da. Ich muss das letzte Stück rennen, um ihn zu erwischen. Laut Anzeigetafel wäre er erst in einer Minute fällig, und ich habe ein Déjà-vu: Bereits zweimal habe ich in letzter Zeit erlebt, dass Busse etwas zu früh waren. Dennoch hielten die Busfahrer – die gesehen haben müssen, dass einmal ich und einmal ein anderer Fahrgast angerannt kamen – nicht an. Beide gaben sogar noch Gas; eine etwas befremdliche Auffassung von Busbeschleunigung.
Heute hält der Bus an. Es gibt überraschend viele freie Sitzplätze. Und genauso erfreulich geht es weiter. Ein bisschen Slalom in der Papenhuder Straße, um die Lieferwagen herum. Aber ansonsten fahren wir zügig. Nach 18 Minuten steige ich aus. Zum ersten Mal nach dem Fahrplanwechsel am vergangenen Wochenende hält der Bus an der neuen Halstestelle Großer Burstah, direkt vor der Redaktion. Eine solch angenehme, schnelle Anreise habe ich selten erlebt. Die Fahrt am nächsten Tag um die gleiche Zeit gestaltet sich genauso. Mal sehen, wie es beim nächsten Mal wird. (fru)
Linie 15 von Klein Flottbek zur Alsterchaussee
Vorab: Ich bin keiner dieser vielen Gelegenheits-HVV-Kunden, die einen Stau klaglos ertragen, aber über fünf Minuten Busverspätung nölen. Vor 22 Jahren haben wir unser Auto abgeschafft, seitdem fahren wir nur Fahrrad oder HVV, obwohl wir inzwischen zu viert sind. Klappt (fast immer) wunderbar.
Dennoch haben wir uns jetzt das erste Mal beim HVV per E-Mail beschwert. Der 15er-Bus zwischen Klein Flottbek und Alsterchaussee ist in den Stoßzeiten derart überfüllt, dass wiederholt Rollstuhlfahrer nicht mehr mitgenommen werden konnten. Dies gilt besonders für den Abschnitt zwischen Schlump und Hohenzollernring (Ottensen). Immerhin: Der HVV antwortet schnell: „Wir ermitteln derzeit Bedarfe zur Ausweitung des Fünf-Minuten-Takts zu den Zeiten mit starker Verkehrsnachfrage auf dem von Ihnen angesprochenen Streckenabschnitt. Sollten hieraus weitere Bedarfe zur Ausweitung des Fahrtenangebots und zur Verbesserung der Pünktlichkeit ersichtlich werden, steuern wir gern passend nach." Das wäre in der Tat sehr nett, lieber HVV. (pw)
Linie 5 von Niendorf zum Rathausmarkt
Der Metrobus 5 soll am Niendorf Markt laut Plan um 8.09 Uhr losfahren, tatsächlich startet der Bus um 8.12 Uhr. Eine Kita macht Ausflug, der hintere Busteil ist komplett von Kindern belegt. Es herrschen Saunatemperaturen.
Bis zum Brunsberg steigen an jeder Haltestelle nur eine Handvoll Leute ein und aus, aber danach wird es voll – an der Gärtnerstraße sind die Menschen im Pulk gezwungen, sich an den Türen besser zu verteilen, weil immer noch mehr Menschen in den Bus mit den beschlagenen Scheiben drängen. An der Hoheluftbrücke wird es etwas luftiger, viele wechseln in die U 3. Und beim Bezirksamt Eimsbüttel werden richtig viele Sitzplätze frei, weil die Kitakinder aussteigen, besser gesagt, unter Knuffen und Puffen rausstolpern. Am Grindelhof steigt noch einmal etwa ein Dutzend Fahrgäste aus, vielleicht wollen sie zur Uni. Die Scheiben sind inzwischen wieder klarer, die Weiterfahrt bis zum Rathausmarkt völlig entspannt. Nach 31 Minuten und 27 Sekunden habe ich mein Ziel erreicht – eineinhalb Minuten schneller als im Fahrplan vorgesehen. Donnerwetter! (jes)
*Nachträglich von der Redaktion korrigierte Aussagen von Verkehrsforscherin Philine Gaffron.