Hamburg. Der gestern Abend zum Bezirksamtsleiter gewählte Kay Gätgens über Mobilität, wenig Raum und Heimatgefühl.
Für Kay Gätgens ist der Aufstieg auch Abstieg. Als neuer Eimsbütteler Bezirksamtsleiter wird der 54-Jährige das Chef-Büro zwei Stockwerke tiefer am Grindelberg beziehen – für den bisherigen Baudezernenten geht es vom 10. in den 8. Stock. Im Abendblatt-Gespräch hadert er damit nicht. Verständlich. Der Verwaltungsfachmann wurde am Donnerstagabend mit 27 Ja- und 17 Nein-Stimmen bei drei Enthaltungen ähnlich klar von der Bezirksversammlung gewählt wie sein Vorgänger. Also alles machen wie Torsten Sevecke? Eher nicht.
Herr Gätgens, wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen?
Kay Gätgens: Mit dem Rad.
Wie ihr Vorgänger.
Gätgens: Genau, nur dass ich eine längere Strecke fahre. Jeden Tag aus Schnelsen und zurück, etwa zwanzig Kilometer.
Auch im Winter?
Gätgens: Das ist die Königsdisziplin, mit entsprechender Kleidung geht das.
Bedeutet das, dass Sie als Bezirksamtsleiter anknüpfen wollen, wo ihr Vorgänger, der bekennende Radfahrer Torsten Sevecke, aufgehört hat?
Gätgens: Mit dem Fahrradfahren auf jeden Fall. Ansonsten glaube ich, dass man alle Mobilitätsangebote betrachten muss, und dazu gehört natürlich auch der Radverkehr.
Die Grünen als Koalitionspartner haben schon Konzepte angekündigt.
Gätgens: Das sind politische Ideen, denen ich nicht vorgreifen möchte. Die Koalitionäre aus SPD und Grünen haben sich hier verständigt, sie sollen diese Ideen auch einbringen.
Sie waren SPD-Abgeordneter, 15 Jahre in der Verwaltung, trotzdem gelten Sie als Unbekannter: Ist die Begrüßungstour lang?
Gätgens: Aufgrund meiner langjährigen Aktivitäten habe ich schon ein gutes Netzwerk. Gleichwohl werde ich natürlich Antrittsbesuche machen und habe auch schon eine Vielzahl von Terminanfragen, die ich gerne wahrnehmen werde.
Wollen Sie ähnlich öffentlichkeitswirksam auftreten wie ihr Vorgänger?
Gätgens: Eimsbüttel steht gut da. Es gibt keinen Grund, inhaltlich umzusteuern. Und das Amt füllt jeder unterschiedlich aus.
Wofür wollen Sie künftig stehen?
Gätgens: Für drei inhaltliche und zwei strukturelle Eckpunkte. Inhaltlich wird es um Wohnungsbau, Mobilität und den sozialen Zusammenhalt gehen. Strukturell um die Zusammenarbeit mit Bürgern und der Politik.
Könnten Sie das erklären?
Gätgens: Natürlich: Der Wohnungsbau ist eine Daueraufgabe, da wird es darum gehen, weiterhin über 1000 Wohnungen pro Jahr zu genehmigen, und zwar in einem bereits hochverdichteten Bezirk. Das wird kein einfaches Geschäft. Auch die Mobilitätsansprüche ändern sich, darauf müssen wir eingehen – mit Angeboten beim Rad- und Fußverkehr ebenso wie beim Nahverkehr. Aber nicht mit dem Zeigefinger. Der Bürger stimmt ohnehin mit dem Kopf und den Füßen ab.
Wie meinen Sie das?
Gätgens: Wenn man sich interessante, attraktive Städte anguckt – nehmen wir Kopenhagen, Amsterdam, Barcelona, Paris – haben alle ein exzellentes Mobilitätsangebot. Sie stehen im Ranking der Beliebtheit und Lebensqualität auch deshalb oben. Ich glaube, dass sich Hamburg da etwas abgucken kann.
Wo liegt denn der Zusammenhalt im Argen?
Gätgens: Insgesamt haben wir im Bezirk hervorragende Sozialdaten. Dennoch gib es Bereiche, wo die Situation nicht optimal ist.
Zum Beispiel?
Gätgens: In Eidelstedt etwa wird die Mitte nun zum RISE-Projekt – Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung. Das bedeutet, dass finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen, um das Quartier, auch mit den neuen Baugebieten am Hörgensweg und am Duvenacker, auf einen guten Weg zu bringen – mit den Bürgern.
Und wie soll sich Eimsbüttel entwickeln?
Gätgens: Wir bringen dafür gerade das Konzept „Eimsbüttel 2040“ auf den Weg. Das heißt: Wir müssen auf die Zukunft eines wachsenden Bezirks vorbereitet sein. Mit Bürgern und Politik wollen wir sehen, wie und wo Eimsbüttel entwickelt werden kann. Auch dabei kommt es auf den sozialen Zusammenhalt, die Mobilität und die Arbeitsstätten an. Wir planen eine Langfristperspektive bei engen Rahmenbedingungen.
Heißt: Sie suchen Platz für neue Wohnungen?
Gätgens: Ja, und dabei werden wir die Magistralen genauso intensiv auf Nachverdichtungspotenzial betrachten wie das Umfeld von Schnellbahnhaltestellen. Auch das Umfeld der geplanten S 21 im Nordwesten wird in den Fokus rücken, nicht zu vergessen die Strecke entlang der neuen U 5. Wir wollen grüne Landschaftsachsen möglichst unangetastet lassen. Im dicht besiedelten Eimsbüttel ist das wichtig.
Der ganze Bezirk eine Urbanisierungszone?
Gätgens: Jeder Stadtteil wird seinen Beitrag leisten müssen, damit wir mit den Zuwachszahlen umgehen können und nicht ans Grün müssen.
Zuletzt wurden am Lenzweg Kleingärten für ein Neubauprojekt geopfert.
Gätgens: Da lässt sich vortrefflich streiten, wie wichtig dieser Teil für die Landschaftsachse ist. Fakt ist, dass wir diese Kleingärten nur angefasst haben, weil es eine sehr umfassende Kompensation von Kleingärten gibt und wir auch öffentlich geförderten Wohnungsbau schaffen.
Eimsbütteler haben sich ohnehin schon erfolgreich gegen Politik und Verwaltung aufgelehnt: Wie erreichen Sie Akzeptanz?
Gätgens: Es muss gelingen, Bürger abzuholen, bevor es zu Bürgerentscheiden kommt. Denn sobald es einen Entscheid gibt, ist Beteiligung eigentlich schon gescheitert. Es müssen jeweils Beteiligungsformate gefunden werden, die die Ideen und Interessen von Bürgern gut herausarbeiten. Beim Konzept „Eimsbüttel 2040“ testen wir Infostände und Fragebögen auf Märkten und in Stadtteilzentren, aber auch die Onlinebeteiligung.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Bezirkspolitik?
Gätgens: In unruhigen gesellschaftspolitischen Zeiten kommt es auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Da haben wir eine gute Kultur entwickelt.
Was ist Eimsbüttel eigentlich für Sie?
Gätgens: Es ist ein Tortenstück von Hamburg, mit einem urbanen Kern, der Urbanisierungszone und der fast dörflichen Struktur am Rand. Hohes Stadtteilbewusstsein ist hier zu Hause, das reicht von urbanem Stolz bis zur Landlust.
Dann gehen wir die Stadtteile mal durch.
Gätgens: Im Kerngebiet ist natürlich die Uni zu nennen, da sind wir sehr stolz, sie hier gehalten zu haben. Osterstraße und Grünzug Isebek sind große Projekte, die wir in 2017 abschließen wollen. In Stellingen und Lokstedt herrscht hoher Entwicklungsdruck. Diese beiden Stadtteile werden sich vielleicht am deutlichsten wandeln. Allein durch den A-7-Deckel, der die Narbe der Autobahn durch Stellingen überdecken wird. Die geplante Begrünung wird Stellingen nach vorn bringen. In Lokstedt wird es darum gehen, ein Zentrum um den Behrmannplatz zu entwickeln.
Niendorf, der als Rentnerstadtteil gilt ...
Gätgens: ... hat auch viele junge Familien. Aber insgesamt ist im Hamburg-Vergleich der Anteil älterer Menschen tatsächlich sehr hoch. Weil Niendorf somit die demografische Entwicklung des gesamten Landes spiegelt, bietet sich dort die Chance, Ideen zu entwickeln, wie man mit einer älter werdenden Gesellschaft umgehen kann. Dazu gehören ein Zentrum, eine funktionierende Nahversorgung und ein fähiges Mobilitätsangebot.
Und ihre Heimat Schnelsen?
Gätgens: Durch die neuen Parkanlagen auf dem Autobahndeckel wird der Stadtteil verändert, qualitativ aufgewertet und nicht mehr zerschnitten sein. Auch entlang der heutigen AKN-Trasse werden sich Entwicklungen zeigen. Übrigens bin ich dort zwar aufgewachsen. Durch meine Tätigkeit habe ich den Bezirk aber mit all seinen Stadtteilen schätzen gelernt. Ganz Eimsbüttel liegt mir am Herzen.
Dann haben Sie sicher einen Lieblingsort.
Gätgens: Ich bin gerne in der Osterstraße. Nicht nur wegen der Neugestaltung, auch die Kleinteiligkeit gefällt mir.
Ihr Vorgänger entwarf die Vision von Eimsbüttel als Manhattan Hamburgs.
Gätgens: Ich habe ein Jahr in Manhattan gelebt und weiß, dass wir davon sehr weit entfernt sind. Eimsbüttel ist Teil einer europäischen Stadt mit eigener Geschichte und Qualitäten. Meine Idee ist, dass wir mit „Eimsbüttel 2040“ ein räumliches Leitbild schaffen.
Zumal der Zuzug nicht abreißt.
Gätgens: Genau, und wir können ja schlecht sagen: Wir machen die Schotten dicht. Erstaunlich ist, dass die Leute trotz oder wegen der hohen Dichte hierher wollen. Keiner sagt: Oh, hier ist alles so eng bebaut. Im Gegenteil, wohnen wie im Generalsviertel ist attraktiv. Da herrscht hohe Lebensqualität. Warum sollte das nicht ausgeweitet werden?
Weil dann auch andernorts die Mieten so hoch sind wie in Hoheluft-West?
Gätgens: Für Eimsbüttel, Hoheluft-West und Stellingen-Süd erarbeiten wir eine soziale Erhaltungsverordnung. Das soll Bewohner vor Verdrängung schützen.