Hamburg. Debatte: Der Trend bei Straftaten ist insgesamt rückläufig. Flüchtlinge werden zu Opfern und Tätern.

Adil B. versuchte mit der jungen Frau zu tanzen – als sie ihn abwies, zerrte der 34-jährige Marokkaner sie offenbar auf eine Toilette und verging sich an ihr.

Leitartikel: Gefühlte Unsicherheit durch Hunger nach Horror

Die Vergewaltigung einer 24-Jährigen am Sonntagmorgen in einer Kneipe an der Großen Freiheit befeuert die Debatte über Kriminalität von Ausländern. Laut Experten kann das Frauenbild der Täter nicht als alleinige Erklärung dienen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was passiert mit
dem 34-jährigen Marokkaner?

Gegen Adil B. wurde am Montagnachmittag Haftbefehl erlassen. Der Mann saß bis vor Kurzem in Untersuchungshaft, da er seit Juni ein paar Wanderschuhe, Einrichtungsgegenstände eines Restaurants im Wert von 4200 Euro sowie ein Auto gestohlen hatte. Er lebt mit einer „Aufenthaltsgestattung“ in Deutschland, der niedrigsten Stufe der Bleibeerlaubnis vor Eintritt in das Asylverfahren.

Warum hielt sich der mutmaßliche
Täter überhaupt noch in Hamburg auf?

Ein Gericht hatte ihn am 20. Oktober wegen schweren Diebstahls zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Nach Abendblatt-Informationen war Adil B. nach seiner Haftentlassung untergetaucht. Ihm konnte bislang kein Wohnsitz zugeordnet werden.

Wie häufig begehen Migranten
und Flüchtlinge Sexualstraftaten?

Insgesamt ist die Zahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen rückläufig: Im Jahr 2015, als mehr als 800.000 Asylbewerber nach Deutschland kamen, wurden bundesweit 7022 Fälle gezählt – 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. In Hamburg wurde gegen 560 Personen wegen einer „Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ermittelt, davon waren 58 Prozent Deutsche und 42 Prozent Ausländer. Letztere werden damit im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so häufig einer sexuellen Straftat verdächtigt.

Wie viele Flüchtlinge unter den ausländischen Tatverdächtigen sind, fragt der CDU-Abgeordnete Dennis Gladiator seit Januar monatlich beim Senat ab. Ergebnis: Bis Ende November wurde gegen 39 Asylbewerber und Flüchtlinge wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ermittelt, ein Anteil von 5,8 Prozent an allen Tatverdächtigen – der Gesamtanteil der Flüchtlinge an der Hamburger Bevölkerung beträgt dagegen etwa drei Prozent. Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung waren elf von insgesamt 93 Tatverdächtigen entweder Asylbewerber oder Flüchtlinge, ein Anteil von zwölf Prozent an den Tatverdächtigen. Etwa 90 Prozent der Flüchtlinge in Hamburg sind aber völlig unbescholten.

Wie verlässlich sind die Statistiken?

Die unterjährigen Statistiken sind nicht endgültig gesichert. Auch die Jahresstatistiken bilden nur Verdächtige ab. Bezogen auf die gesamte Kriminalität wird etwa nur jede dritte Tatverdächtige tatsächlich verurteilt. Bei Vergewaltigungen führten jährlich nur knapp zehn Prozent zu Verurteilungen – Grund sind die schwierige Beweisführung, aber auch falsche Verdächtigungen.

Laut Kriminologen ist die Statistik auch aus einem anderen Grund verzerrt: „Die Anzeigebereitschaft ist viel größer, je fremder der Täter ist“, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. So sei die Dunkelziffer von Vergewaltigungen im privaten Umfeld in der gesamten Bevölkerung deutlich höher. Die Bereitschaft von Frauen, auch Vergewaltigungen in der Beziehung anzuzeigen, habe jedoch auch erheblich zugenommen. In der Forschung gibt es die Theorie, dass Polizisten um den hohen Anteil von Ausländern an Tatverdächtigen wissen – und diese deshalb stärker kontrollierten oder verdächtigten.

Wie oft kommt es zu sexuellen
Übergriffen in Flüchtlingsheimen?

Die Zahl der schweren Übergriffe ist trotz der sinkenden Belegungszahlen hoch. Seit Jahresbeginn wurden in den Hamburger Unterkünften neun mutmaßliche Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, drei Vergewaltigungen und 65 weitere Gewaltstraftaten gegen Frauen gemeldet. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Flüchtlingsexpertin Jennyfer Dutschke hervor, die dem Abendblatt vorliegt.

„Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich hinter den bekannten Vorfällen zudem eine hohe Dunkelziffer verbirgt“, sagt die Fragestellerin Jennyfer Dutschke. Nach ihrer Auswertung der Senatsdaten ereigneten sich 75 Prozent der Übergriffe in Unterkünften mit mehr als 400 Plätzen. „Wie die Zahlen zeigen, muss der Senat vermehrt auf kleinere Unterkünfte setzen“, sagt Dutschke. Wann und wie die versprochenen Gewaltschutzkonzepte des Senates wirken sollen, sei noch unklar. Die Vorfälle in den Unterkünften gehen in die Statistik aller sexuellen Delikte ein.

Warum begehen überproportional
viele Ausländer sexuelle Straftaten?
Das Frauenbild wird von Experten als eine wesentlich Ursache für sexuelle Gewalt gesehen – es gebe jedoch weitere Gründe. Bis zu 85 Prozent der Tatverdächtigen mit Flüchtlingshintergrund in Hamburg sind Asylbewerber – bereits anerkannte Schutzsuchende werden selten straffällig. „Wir haben viele Menschen, die sich bewusst sind, keine dauerhafte Perspektive zu haben“, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. Diese Menschen neigten eher zu Kriminalität oder tauchten in die Illegalität ab. Mangelnde soziale Bindungen trügen bei Deutschen und Flüchtlingen gleichsam zur Kriminalität bei.

Dass Migranten und Asylbewerber häufig durch Straftaten auffallen, hänge auch schlicht mit ihrer Altersstruktur zusammen: Junge Männer gelten generell als größte Risikogruppe für Kriminalität, insbesondere im Bereich von sexuellen Beleidigungen und Gewalt. Die „Machokultur“ trete bei einer gelungenen Integration immer mehr in den Hintergrund, so Pfeiffer.

Was unternimmt der Senat?

Hamburg will straffällige Ausländer schneller abschieben. Dazu wurde im Herbst die Sondergruppe „GERAS“ mit Beamten von Polizei und Ausländerbehörde gegründet. Die Abschiebung scheitert häufig an fehlenden Dokumenten. Der CDU-Abgeordnete Dennis Gladiator forderte den Senat auf, die Maßnahmen zu verstärken. „Hilfe, wem Hilfe gebührt – aber wer die Gesetze nicht achtet, darf kein Bleiberecht in Deutschland genießen“, so Gladiator.