Hamburg. Mord am Allermöher See – war es aus Heimtücke? Im Prozess sagte der Täter: „Ich war sauer, dass meine Familie ständig bedroht wurde“.

Der 5. Juni war ein schöner Frühsommertag. Zahlreiche Badegäste zog es zum Allermöher See, der Weg zum Idyll führte viele über den Fanny-Lewald-Ring. Im Kreuzungsbereich mit einem Waldweg, es war gegen 16.40 Uhr, gab ein bewaffneter Mann urplötzlich zehn Schüsse auf einen Radfahrer ab.

Sein Opfer, sechsmal in Brust, Rücken, Hüfte und Kopf getroffen, starb wenig später im Krankenhaus. Mehrere Projektile verfehlten indes ihr Ziel, sie schlugen in ein Wohnhaus und den Reifen eines vorbeifahrenden Autos ein. Drei Jugendliche, die die hinrichtungsähnliche Szene mitten am Tag mitansehen mussten, erlitten einen Schock.

Knappe Entschuldigung des Täters

Sechs Monate nach seiner Festnahme steht der Todesschütze, Alexander R. – weißes Hemd, gefasste Miene – vor dem Landgericht. Vier Hinterbliebene des Opfers flankieren den Prozess als Nebenkläger, weitere Angehörige des Opfers sitzen im Zuschauerraum, sie können ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie bekommen am Dienstag die ganze Geschichte und eine knappe Entschuldigung des Täters zu hören.

„Ich gestehe die Tötung von Konstantin. Und es tut mir alles sehr leid“, sagt der 34-Jährige. Seinen Angaben zufolge hatte es mit dem 28 Jahre alten Getöteten schon lange vor der Tat Streit gegeben. Konstantin habe seine Drogensucht nicht im Griff gehabt und seine Schwester im Rausch häufig misshandelt – selbst nachdem sie sich von Konstantin, mit dem sie auch eine gemeinsame Tochter hatte, habe scheiden lassen. „Er hat sie regelrecht gestalkt“, sagt Alexander R. Nicht nur seine Schwester habe der missliebige Ex-Schwager bedroht, sondern auch ihn und den Rest seiner Familie. So habe Konstantin einmal versucht, seine Mutter um 500 Euro zu erpressen. Seiner Schwester habe der Ex-Schwager gedroht, sie „in der Badewanne zu schlachten“, so Alexander R. „Ich war sauer, dass meine Familie ständig von ihm bedroht wurde. Ich wollte sie nur schützen.“

Spurensicherung am Tatort
Spurensicherung am Tatort © dpa

Pistole zum Selbstschutz

Am Tag der Tat besuchte der Angeklagte seine Familie in Allermöhe. „Zum Selbstschutz“ – man wisse in der Wohngegend ja nie, wer plötzlich ein Messer zücke – habe er seine nicht auf ihn zugelassene Pistole mitgenommen. Während eines Grillfestes habe ihm seine kleine Nichte anvertraut, dass sie Angst vor dem Vater habe und dass Konstantin S. seine Schwester wenige Tage zuvor abermals geschlagen habe. Da habe er beschlossen, den Mann zur Rede zu stellen. Die Staatsanwalt wirft dem 34-Jährigen vor, seinen Ex-Schwager heimtückisch ermordet und dessen Tod geplant zu haben. Ob es am Ende zu einer Verurteilung wegen Mordes reicht, ist allerdings fraglich.

Hinterrücks erschossen?

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Alexander R. seinem arglosen Opfer in einem Gebüsch auflauerte und dann hinterrücks erschoss. Dieser unterstellte Geschehensablauf decke sich indes nicht mit den im Ermittlungsverfahren gesicherten Beweisen, sagte Oliver Pragal, Verteidiger des Angeklagten. Er beantragte gestern, die Anklageschrift gar nicht erst verlesen zu lassen, da sie den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge. Diesen Antrag lehnte das Gericht zwar ab. Doch die Vorsitzende Richterin Ulrike Taeubner verprach, die „berechtigten Bedenken“ während der Beweisaufnahme genauestens zu prüfen.

Nicht zuletzt unterscheidet sich die Version von Alexander R. in entscheidenden Punkten von der Anklageschrift. Demnach hatte es vor den tödlichen Schüssen noch ein Streitgespräch zwischen Täter und Opfer gegeben. Bereits auf dem Weg zum Badesee, wo er den Schwager vermutete, habe er Konstantin S. mit einem ihm unbekannten Begleiter getroffen. „Er stand unter Drogen, das habe ich an seinen Augen gesehen“, sagt Alexander R.

Erste Kugel trifft die Hüfte

Der 28-Jährige habe ihm versichert, er fahre nur kurz nach Hause, um Geld zu holen, danach könnten sie reden. Nachdem Konstantin R. etwa 20 Minuten später zurückgekehrt sei, habe er ihm gesagt, er solle die Finger von seiner Familie lassen, sagt Alexander R. „Doch Konstantin sagte nur: Laber nicht, du Clown! Und dass ich mich nicht einmischen solle.“ Als er seinem Schwager die Waffe gezeigt habe, habe Konstantin S. nur höhnisch gelacht und sei davongefahren. „Als ich dieses Lachen hörte, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt.“ Da habe er geschossen.

Die erste Kugel, abgefeuert aus einer Distanz von etwa fünf Metern, habe den Mann an der Hüfte getroffen. „Er torkelte darauf so komisch, da dachte ich, der zückt jetzt ein Messer, deshalb habe ich mehrere Schüsse abgegeben“, sagt Alexander R., „Dann habe ich mir Konstantin angeguckt und wusste: Der ist tot.“

Waffe im Mülleimer entsorgt

Die Waffe habe er kurz darauf zerlegt und die Fragmente in drei Mülleimern entsorgt. Noch am gleichen Abend nahm die Polizei Alexander R. fest, musste ihn aber am folgenden Tag wieder laufen lassen, weil die Beweise nicht ausreichten und der 34-Jährige die Tat bestritt. In den Tagen darauf habe er sich schwere Vorwürfe gemacht und sich seiner Familie offenbart.

„Ich weiß jetzt, ich habe zwei Familien zerstört“, sagt Alexander R. Als sich die Beweise vier Tage nach der Tat verdichtet hatten, überwältigten ihn am S-Bahnhof Spezialkräfte der Polizei – er sei da gerade auf dem Weg zu seinem Anwalt gewesen, um sich den Behörden zu stellen, sagt Alexander R. Der Prozess geht weiter. Ein Urteil wird nicht vor dem 2. März 2017 erwartet.