Hamburg. 1871 wird die Reederei Hamburg Süd gegründet. Es folgen turbulente Jahrzehnte, die Übernahme durch Oetker – und nun der Verkauf.

Auswanderer und Kaffee machen Brasilien im 19. Jahrhundert für die Schifffahrt interessant. Erst August Bolten erkennt als Erster das Potenzial. Er gründet mit zwei englischen Firmen im Juni 1869 die Hamburg-Brazilian Steamshi­p Company, die in Hamburg als Brasilian’sche Dampfschiffahrts-Gesellschaft registriert wird. Mit drei kleinen Dampfern fängt alles an. Bis zu elf Knoten machen die „Brazilian“, „Criterion“ und „Santos“. Nach zwei Jahren ist klar: Die Fahrten über den Südatlantik lohnen sich. Das Interesse anderer Hamburger erwacht.

An der Großen Johannisstraße 13 treffen sich „am Sonnabend, den 4. November 1871, vormittags um elf ½ Uhr ... einige Herren“, steht in der Gründungsurkunde. Sie gründen mit einem Grundkapital von 1,25 Millionen Talern die Aktiengesellschaft Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Nach dem Hauptaktionär Commerz- und Disconto-Bank ist Bolten zweitgrößter Anteilsbesitzer. Zu den Teilhabern gehören auch die bekannten Familien Laeisz und Berenberg-Gossler. Heinrich Amsinck wird Erster Vorsitzender des Verwaltungsrats. Zweck der Gesellschaft ist „die Herstellung einer regelmäßigen Schiffsverbindung zwischen Hamburg und Brasilien sowie den La-Plata-Staaten“. Erste Ziele sind Bahia, Rio de Janeiro und Santos. Nur ein halbes Jahr später gibt es eine kräftige Kapitalerhöhung um 625.000 Taler. Dringend benötigte weitere Schiffe werden geordert, unter anderem bei der Reiherstiegwerft, die in den nächsten Jahrzehnten zu einer der „Hauswerften“ der Reederei wird.

1881 gibt es erstmals eine satte Dividende

1875/76 gibt es Berührungspunkte mit einem späteren Lokalrivalen. Kurzzeitig fahren Schiffe der Hapag auf eigene Rechnung für Hamburg Süd. Der Norddeutsche Lloyd richtet via Antwerpen eine Konkurrenzverbindung nach Lateinamerika ein. Dank guter Konjunktur bleibt für beide Rivalen genug übrig. 1881 gibt es mit 18 Prozent erstmals eine satte Dividende für die Aktionäre. Acht Jahre später transportieren 25 Schiffe 13.838 Passagiere und erstmals mehr als 50.000 Bruttoregistertonnen Tonnage.

Auch durch Bestellungen bei Blohm & Voss wird die Flotte ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte werden die Schiffe moderner, größer und schneller. Die Cholera-Epidemie 1892 in Hamburg mit mehr als 8000 Toten stürzt die Reederei in einen „Kaffeekrieg“ mit lokalen Kaffeeimporteuren. Um die Crew vor der Krankheit zu schützen, leitet sie die Schiffe nach Rotterdam um. Sehr zur Freude der Niederländer, die sich eine regelmäßige Verbindung wünschen. Sehr zum Verdruss der Hanseaten, die von einer empfindlichen Schädigung sprechen. Hamburg Süd hält an zwei Anläufen pro Monat in Rotterdam fest, verspricht aber andererseits den Wünschen des Hamburger Kaffeehandels weitgehend entgegenzukommen. Der Frieden ist wieder hergestellt.

Zirkus Hagenbeck schifft sich ein

Tierisch geht es 1910 zu. Aus Anlass der 100-Jahr-Feier der Unabhängigkeitsbewegung schifft sich der Zirkus Hagenbeck für die Überfahrt nach Argentinien ein. Mehr als 200 Artisten und Personal, gut 150 Tiere und 20 Zirkuswagen werden an Bord der „Santa Elena“ gehievt. Das Schauspiel wiederholt sich 26 Jahre später, als der Circus Carl Hagenbeck seine Weltreise antritt und den Auftakt in Uruguay macht. Es ist das Jahr, in dem Familie Oetker in das Unternehmen einsteigt. In der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre war das Reich groß in die Firma eingestiegen. Nun reprivatisiert es seine Anteile. Oetker erwirbt ein Viertel an Hamburg Süd. Drei Jahre später verfügt die Reederei über die größte Flotte ihrer Geschichte: 52 Seeschiffe. Bei Kriegsausbruch werden sie vom Militär beschlagnahmt und als Transporter, Hilfskriegs- und Wohnschiff genutzt. Es kommt zu erheblichen Verlusten: Schiffe werden versenkt oder von den Staaten in Besitz genommen, in deren Häfen sie gerade liegen – ähnlich wie bereits im Ersten Weltkrieg.

Für das Aushängeschild „Cap Arcona“, die als schönstes und elegantestes Schiff der Südamerika-Route galt, endet der Krieg in einer Katastrophe. Nachdem sie rund 25.000 Flüchtlinge aus den deutschen Os­t­gebieten vor der anrückenden sowjetischen Armee gerettet hat, versenken britische Jagdbomber am 3. Mai 1945 das Schiff in der Lübecker Bucht. Bis zu 6000 Menschen sterben, der Großteil von ihnen KZ-Häftlinge aus Neuengamme. Neben der Versenkung des ebenfalls von Hamburg Süd bereederten „Wilhelm Gustloff“ mit 6600 Toten ist es eines der verlustreichsten Schiffsuntergänge. Nach Kriegsende hat die Reederei noch 14 Schiffe, die sie alle abgeben muss.

Kiellegung für erstes Vollcontainerschiff

Nach und nach lockern die Alliierten nach Kriegsende die Beschränkungen für die Deutschen. 1949 heben sie die letzten Fahrtbeschränkungen auf. Der Bund fördert den Bau von Handelsschiffen, die Flotte wird wieder aufgebaut. Hamburg Süd wird in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, größter Anteilseigner wird mit 49,4 Prozent Oetker. 13 Jahre nach der bisher letzten Südamerika-Verbindung nimmt im April 1951 die „Santa Ursula“ Fahrt auf.

Das Geschäft mit Tankschiffen wird aufgebaut. 1961 ist die Ära der Passagierschifffahrt beendet, Rudolf A. Oetker übernimmt alle Firmenanteile. Der Ankauf der Atlas Levante-Linie stärkt die Mittelmeerfahrt. Blohm & Voss liefert sechs Kühlschiffe ab, sodass Hamburg Süd zur europäischen Reederei aufsteigt, die das größte Kühlraumangebot unterhält – auf dem Gebiet sammelte das Unternehmen bereits Ende des 19. Jahrhunderts Erfahrungen.

Am 23. März 1970 macht die Reederei den ersten Schritt in die Moderne. Auf der Howaldtswerke-Deutsche Werft AG in Hamburg erfolgt die Kiellegung für ihr erstes Vollcontainerschiff. Im Lauf der Jahrzehnte folgen Dutzende, Konkurrenten werden übernommen. 2003 transportiert die Firma erstmals mehr als eine Million Container. Zu der großen Hamburger Lösung in der Schifffahrtskrise kommt es nicht. Vor drei Jahren scheitert die Fusion mit Hapag-Lloyd. Stattdessen erwirbt der Lokalrivale die chilenische CSAV, die auch im Europa-Südamerika-Geschäft stark ist. Am 22. September 2016 lädt Hamburg Süd groß ein: Einweihung der für 70 Millionen Euro modernisierten Konzernzentrale an der Willy-Brandt-Straße – was nun mit ihr passiert, ist unklar.