Hamburg. Mit Innovationen versucht der Mittelständler, sich gegen große Ketten wie Fielmann und Apollo zu behaupten.
Auf den ersten Blick hat der schwarze rechteckige Kasten nicht viel mit einer Brille zu tun. Das ändert sich schnell, wenn man durch die beiden Linsen auf der Rückseite guckt. „Es ist eine Art 3-D-Brille, die dem Kunden die neue Gläserstärke simuliert“, sagt Dirk-Peter Lühr. Besonders für Träger von Gleitsichtbrillen ist das ein Vorteil, sie haben praktisch ihre neue Brille schon auf der Nase. Nicht in einem hippen Techniklabor 4.0, sondern beim Augenoptiker um die Ecke. Der Chef von Lühr-Optik sieht in der Innovation aus Japan eine Möglichkeit, seinen Kunden die beste Brille zu verkaufen.
Gerade hat er die Bestellung abgeschickt, ab Dezember soll es in jeder der acht Lühr-Filialen in Hamburg, Tornesch, Uetersen und Grevesmühlen einen sogenannten Vision Simulator des Herstellers Hoya geben. „In Hamburg sind wir mit die Ersten, die diesen Service anbieten“, sagt der 65-jährige Optikermeister selbstbewusst. Dabei handelt es sich auch um eine Investition in die Zukunft. Vor einiger Zeit sind seine beiden Söhne, die Zwillinge Jan-Hendrik und Marc-Philipp, als Geschäftsführer in das bereits im Jahr 1983 gegründete Familienunternehmen eingestiegen – dem immer härter werdenden Konkurrenzkampf in der Branche zum Trotz.
Zahl der Optikergeschäfte auf 11.900 gesunken
Seit Jahren verlieren die kleinen und mittelständischen Augenoptiker Kunden an die großen Anbieter wie Fielmann oder Apollo. Dazu kommt der stetig wachsende Onlinemarkt. Nach Angaben des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) ist die Zahl der Optikergeschäfte 2015 auf 11.900 gesunken, die Zahl der Filialen großer Ketten steigt dagegen und macht inzwischen 17 Prozent aus. Parallel hat sich der Umsatzanteil der kleineren Betriebe laut ZVA seit 2008 um sechs Prozent auf knapp 60 Prozent reduziert. Dabei wird in der Branche nicht weniger, sondern mehr umgesetzt. 2015 gaben die Deutschen insgesamt 5,8 Milliarden Euro für Brillen, Kontaktlinse und Zubehör aus. Das war ein Plus von 3,6 Prozent. Der Online-Umsatz lag bei 225 Millionen Euro.
„Die Großfilialisten beherrschen den Markt. Dabei geht es vor allem um den Preis“, sagt Dirk-Peter Lühr. Als der Hamburger vor 33 Jahren seinen ersten Laden im schleswig-holsteinischen Tornesch eröffnete, war der inhabergeführte Optikerfachhandel der Normalfall. Lühr, der zuvor in der optischen Industrie gearbeitet hatte und mit dem heutigen Branchenprimus Günther Fielmann Ray-Ban-Sonnenbrillen nach Deutschland gebracht hatte, eröffnete schnell hintereinander weitere Geschäfte in Hamburg und Umgebung. Mehr als 300.000 Brillen hat das Unternehmen mit heute 35 Mitarbeitern inzwischen verkauft, ungefähr 6000 im Jahr. Der Jahresumsatz liegt zwischen drei und vier Millionen Euro.
Brillen werden auch nach Kundenwünschen handgefertigt
In der Othmarschener Waitzstraße ist Lühr-Optik seit drei Jahrzehnten. In den Regalen des zurückhaltend eingerichteten Geschäfts liegen Brillen bekannter Marken. Nulltarifmodelle sucht man vergebens, das günstigste Gestell kostet knapp 80 Euro. Es gibt auch Brillen, die speziell nach den Wünschen der Kunden bei einem kleinen Hersteller in Neumünster handgefertigt werden. In der Mitte des Verkaufsraums steht ein Spezialgerät, um Fehlsichtigkeit auf ein Hundertstel genau zu messen. „Wir setzen auf fachlich qualifizierte Beratung und modernste Technik“, sagt Jan-Hendrik Lühr. Der gelernter Augenoptikermeister ist seit zwölf Jahren im Unternehmen und unter anderem für die Kollektionsauswahl zuständig. „Qualität hat seinen Preis“, lautet das Motto des 33-Jährigen.
In Hamburg sind in der Statistik der Handwerkskammer 157 Optiker registriert, Tendenz sinkend. Es gibt laut Lühr etwa 220 Geschäfte. Die Zahl der Lühr-Filialen ist in den vergangenen Jahren von 14 auf heute acht zurückgegangen. „Es gab keine Schließungen. Die Meister haben sich mit den Läden selbstständig gemacht“, betont Seniorchef Dirk-Peter Lühr, der weiterhin die Mehrheit an Lühr-Optik hält.
In jedem Jahr werden Auszubildende eingestellt
Im Laufe der Jahre hat der Unternehmer ein breites Netz von 60 Partnerbetrieben aufgebaut, die als Einkaufgemeinschaft gegenüber den Herstellern agieren. Zur DNA des Unternehmens gehört zudem, dass in jedem Jahr Auszubildende eingestellt wurden. „Wir haben insgesamt mehr als 150 Augenoptiker ausgebildet“, sagt Marc-Philipp Lühr, gelernter Werbekaufmann und im Familienbetrieb für Personal und Marketing zuständig.
Trotzdem haben viele Optiker Probleme, Nachfolger zu finden. „Allein in Hamburg werden 30 Betriebe angeboten“, sagt Lühr. In seiner Familie ist der Beruf fast schon gesetzt, nicht nur die Söhne, sondern auch seine Ehefrau und seine Schwester sind Augenoptiker. Der Beweis, dass der Beruf mehr ist als Brillenverkaufen, hängt bei den Lührs im Wohnzimmer. Ein Gemälde des Hamburger Ausnahmekünstlers Horst Janssen mit Widmung für „seinen Optikus“. Lühr hatte Janssen mitbetreut, nachdem dieser 1990 bei einem Unfall mit Säure eine Hornhautverätzung erlitten hatte und zu erblinden drohte. „Es hätte kaum jemand für möglich gehalten, aber er hat sein Sehvermögen zurückbekommen.“ Inzwischen war das Bild schon in vielen Museen der Welt zu sehen – als Leihgabe.