Hamburg. Geschäftsinhaber fühlen sich von der Stadt zu wenig informiert. Schulpflicht bleibt trotz möglicher Störungen bestehen.

Zwei Leute befummeln die Auslage eines Secondhand-Ladens, zwei andere retten sich in die Wärme eines Cafés. Tote Hose an der Marktstraße. Wetter schlecht, Umsatz schlecht – für viele Händler ist das ein veritabler Vorgeschmack auf die Schreckenstage, die ihnen bevorstehen dürften. Wenn das OSZE-Treffen und die angeschlossenen Gegendemonstrationen am 8. und 9. Dezember in der Nachbarschaft gastieren, erwarten die Gewerbetreibenden eine Mischung aus toter Hose und Krawall, in jedem Fall tödlich fürs Geschäft. „Eigentlich können wir dicht machen“, sagt Dörte Wichmann vom Hundeladen „Karo Köter“. Mit Umsatzeinbußen rechnen hier alle.

Drei Wochen vor dem Treffen von 57 Außenministern der OSZE-Staaten (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) mit mehr als 1300 Diplomaten in den Messehallen befürchten nicht nur Geschäftsleute Ärger. Eltern haben wegen des massiven Polizeiaufgebots von 10.000 Beamten Angst um ihre Kinder, Anwohner fürchten starke Einschränkungen, und nun haben auch Linksextreme erstmals öffentlich zu einem Protest gegen das Treffen aufgerufen.

Das linksextreme „Bündnis gegen imperialistische Aggression“ will mit 200 Teilnehmern entlang der Sicherheitszone demonstrieren. Dabei handelt es sich um eine Splittergruppe des anti-imperialistischen Zentrums „B5“, das als eine Keimzelle für gewaltsame Proteste gilt. Die unterschiedlichen Gruppen sind zerstritten. Der Verfassungsschutz führt das Bündnis als eine der gewaltbereiten linksextremen Gruppen, welche die staatliche Ordnung ablehnen. Sie waren etwa an Krawallen zum 1. Mai beteiligt. Nach Abendblatt-Informationen hat die Demo ein langjähriger Angehöriger von RAF-Sympathisanten angemeldet, der in Niendorf lebt.

„Viele wollen ihre Türen verbarrikadieren“

Die Polizei stellt sich nach Angaben des Sprechers Timo Zill „auf die eine oder andere Demonstration“ ein. „Nach aktueller Lageeinschätzung gibt es derzeit allerdings überhaupt keinen Anlass dazu, von einem unfriedlichen Verlauf auszugehen“, sagte Zill. „Sofern sich an dieser Einschätzung etwas ändern sollte, würden wir auch entsprechend reagieren“. Die Sicherheitszone könne bei erwartbaren Störungen vergrößert werden, hieß es bereits aus der Innenbehörde.

Ladenbetreiber wie Philipp Kroll, der einen Skate-Shop führt, fürchtet bei solchen Szenarien um die Unversehrtheit seines Ladens. Vor allem beschäftigt ihn der erwartbare Krawall: „Wer kommt bei diesen Aussichten zum Einkaufen ins Viertel?“ Ausgerechnet im Vorweihnachtsgeschäft. „Viele Geschäfte haben Angst und wollen ihre Türen verbarrikadieren.“ Spätestens beim G 20-Treffen würden auch Krawalltouristen anreisen, denen gegebenenfalls ein Markenprodukt im Schaufenster reiche, um ihr Feindbild bestätigt zu sehen. Um Schadensersatz oder Ausfallleistungen für Händler habe sich die Stadt aber nicht gekümmert.

Krawalle schnell unterbinden

Vor dem G 7-Gipfel in Schloss Elmau (Bayern) im Jahr 2015 hat es nach Angaben des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft eine staatliche Rücklage gegeben, um etwaige Schäden durch gewalttätige Demonstranten bei Privatleuten und Gewerbetreibenden zu begleichen. Nach Abendblatt-Informationen ist ein ähnlicher Fonds für das OSZE-Treffen und den G 20-Gipfel nicht geplant. Die Sicherheitsbehörden gehen angesichts des massiven Polizeiaufgebotes davon aus, Krawalle schnell unterbinden zu können. Die friedlichen Proteste sollen wie geplant stattfinden. So hat etwa die Partei Die Linke eine Demonstration für den Mittag des 8. Dezember auf dem Karolinenplatz angekündigt.

Auch Florian Töbe, Geschäftsführer von „Herr von Eden“, stellt klar: „Gegen Demonstrationen hat hier keiner was, im Gegenteil, es sollte viel mehr demonstriert werden.“ Die Gewerbetreibenden fühlten sich aber von der Stadt nicht mitgenommen. „Was steht uns bevor? Wie weit reicht die Sicherheitszone, falls vor unserer Haustür demonstriert wird? Und wer bietet welche Lösungen?“, fragt Töbe. Die Händler kritisieren vor allem die Kommunikations- und Informationspolitik.

Sicherheitszonen mit Kontrollen

Dabei ist der Aufwand, der in der Stadt vor dem OSZE-Treffen betrieben wird, groß. Sicherheitszonen mit Sperrungen und Kontrollen werden eingerichtet. Hotels sind ausgebucht, Kitas und Schulen nahe dem Tagungsort stellen es Eltern frei, ihre Sprösslinge abzugeben. Vor diesem Hintergrund hat am Mittwoch auch die Schulleitung der Grundschule Sternschanze in der Schulbehörde ein Gespräch mit der Behördenleitung geführt. Denn die Schulpflicht könne nicht ohne Weiteres ausgesetzt werden.

Klar sei nun: An den Tagen des Ministertreffens wird Unterricht stattfinden. „Es wird geprüft, welche Informationswege es zu den Eltern bei Akutlagen geben wird und ob Eltern ihr Kind ohne Verletzung der Schulpflicht abmelden können, wenn sie eine Gefährdungssituation sehen“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. Die Eltern wollen aber weiterhin eine offizielle Befreiung von der Schulpflicht.

Probleme, die Dörte Wichmann vom Hundeladen „Karo Köter“ an der Marktstraße mit der Flucht nach vorn gelöst hat: „Ich mache hier zwei Tage zu und schnappe mir alles, was ich tragen kann.“ Sie zieht mit Geschäft für 48 Stunden in die nahe Rindermarkthalle.

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