Hamburg. Andreas Petrat klärt Mordfälle auf – ein ganz anderer Job als im Fernsehen. Was sich ähnelt: Schnelle Geständnisse gibt es selten.
Der Tod kommt oft spät abends und plötzlich zu Andreas Petrat. Er führt dann ein, zwei Telefonate, Lagebesprechung, Jacke über, eilig zum Tatort oder zu der Familie des Opfers. „Emotional darf man das nicht an sich heranlassen“, sagt Andreas Petrat. Die Taten, das Blut, die Fragen – daran könne man kaputtgehen. Aber jeder Fall setzte sich im Kopf fest. Manchmal über Jahre. „Ehrlich gesagt, brauche ich da nicht auch noch am Sonntagabend einen Fernsehmord als Entertainment.“
Der echte Hamburger Tatort-Kommissar sitzt in seinem grau gehaltenem Büro und lacht. Kurze Haare, aufgekrempelte weiße Hemdärmel, breite Uhr, treues Lächeln. Mehr Sonnyboy als Schimanski. Die Mordkommission, zu der Andreas Petrat seit sechs Jahren gehört, ist eine junge Mannschaft. Etwa 90 Prozent der Fälle lösen sie. Ihr Reich sind schlichte Räume auf den Fluren des Präsidiums in Alsterdorf. Und dort enden bereits die Gemeinsamkeiten mit dem „Tatort“ im Fernsehen, der nun Jubiläum feiert.
Die Ermittlungsarbeit ist kleinteilig
Die Ermittlungsarbeit ist kleinteilig. Mühsam. Streng geregelt. „Dass ein Kommissar abends noch allein losgeht und ein paar Zeugen befragt, ginge gar nicht“, sagt Andreas Petrat. Das Wichtigste sei eine exakte Ermittlungsakte, die im Fernsehen fast nie zu sehen ist. Und die Intuition der Ermittler. „In den meisten Fällen ist schnell mit großer Wahrscheinlichkeit klar, wer der Täter ist. Doch es gibt Ausnahmen.“
Aktuell beschäftigt der rätselhafte Mord an der Kennedybrücke die Abteilung. Andreas Petrat wollte seit der Ausbildung zur Mordkommission. Auch wenn viel Papierarbeit sei, Protokoll, Routine. Doch der 37-Jährige kennt auch jene Fälle, die einen intensiv packen. „In manchen Momenten ist es dann doch kein normaler 40-Stunden-Job mehr.“
Die Mordkommission geht immer gleich vor
Da war etwa der Mord an einem 85-Jährigen am Höltigbaum vor vier Jahren. Eine grausig zerstückelte Leiche im Wald, zufällig entdeckt. Die Details hat Andreas Petrat nicht vergessen. Das Vorgehen der Mordkommission ist indes immer gleich: Ein Team fährt zum Tatort, ein anderes leuchtet das Umfeld des Opfers aus. „In dieser heißen Phase laufen viele Prozesse gleichzeitig“, sagt Andreas Petrat. Spurensicherung und Gerichtsmedizin liefern binnen einem, maximal zwei Tagen ein umfassendes Bild. „Einen Zeugen erst nach einer Woche zu befragen, bringt nicht mehr viel“, sagt Petrat. Je mehr diese über den Fall sprechen und in der Zeitung lesen, desto eher verfärbe sich ihre Erinnerung.
Die wenigen ungelösten Fälle bleiben immer präsent
Dass bei Verbrechen wie am Höltigbaum die gesamte Stadt auf die Mordkommission schaut, wissen die Beamten. Die Führung der Abteilung steuert die Kommunikation mit Polizeispitze und Pressestelle, um den Druck abzufedern. Nur sind nicht alle Angehörigen auch schnell vernehmungsfähig. „Wir kondolieren, gleichzeitig benötigen wir erste Informationen. Das ist eine Gratwanderung“, sagt Andreas Petrat.
Die Zeugen und Verdächtigen werden in normalen Büros vernommen, nicht in Hinterzimmern mit fahlem Lichtkegel. „Wir treten meistens wirklich sehr nett auf“, sagt Petrat. Die Beschuldigten dürfen in Begleitung der Beamten vor der Tür rauchen. „Jemanden unter Druck zu setzen oder zu gängeln, wäre grundfalsch. Wir brauchen ein sauberes Vorgehen, damit die Gerichte arbeiten können“, sagt Petrat. Eine Vernehmung kann Stunden dauern und bis zu 100 DIN-A4-Seiten füllen.
Schnelle Geständnisse sind selten
Was TV-„Tatort“ und Realität aber in der Regel gemein haben: Schnelle Geständnisse sind sehr selten. Eher decken die Beamten Stück für Stück den Hintergrund der Tat auf. Der Mord vom Höltigbaum war ein Familiendrama: Die Schwiegertochter des Opfers hatte den Mann getötet und die Leiche zerstückelt, um sie zu transportieren. Ein fast beispielhafter Fall – auch für Drehbücher. „Der Großteil der Morde geschieht unter engen Bekannten oder in Familien – und fast immer im Affekt“, sagt Petrat.
Nur einen Fall hat der Kommissar bislang nicht aufklären können, er wird unruhig, wenn er davon spricht. Im Jahr 2013 wurde eine chinesische Touristin nahe am Klosterwall plötzlich angegriffen, der Angreifer trat wild auf den Kopf der Frau ein und tötete sie beinahe. „Es gibt keine richtigen Zeugen, kein Motiv. Völlig wahllos“, sagt Andreas Petrat. Er ging noch unzählige Male zum Tatort, brachte den Fall ins Fernsehen zu „Aktenzeichen XY“. Eine neue heiße Spur blieb jedoch aus. „Trotzdem liegt die Akte nach wie vor auf meinem Schreibtisch, man wirft das nie ganz ab. Jeder Hauch einer Spur wird verfolgt“, sagt Petrat.
Profiler unterstützen den Arbeit der Ermittler
Die Beamten auf den Fluren der Mordkommission sitzen eng zusammen, reden viel, auch über die einzelnen Ermittlungsgruppen hinweg. Manchmal, sagt Petrat, kämen neue Ideen heraus, um eine festgefahrene Ermittlung in Schwung zu bringen. Zusätzlich stehen den Ermittlern die Profiler der „Operativen Fallanalyse“ zur Verfügung. „Die Technik gibt uns ständig neue Möglichkeiten“, sagt der Ermittler. Entsprechend werden ungelöste Morde seltener, 2015 ereigneten sich 17 Morde in Hamburg, 15 wurden aufgeklärt. Nach den Ermittlungen wird das Erlebte in der Mordkommission auch mit psychologischer Hilfe besprochen.
Lange nachdem die Akten gefüllt und der mutmaßliche Täter gefunden ist, schaut sich Andreas Petrat stets auch die Urteilsverkündung vor Gericht an. „Welches Strafmaß gerecht ist, muss ein Richter beurteilen“, sagt Petrat. Aber ihm zeigt es, dass sich der Kampf gegen das Verbrechen gelohnt hat.