Hamburg. Der Fall Hilal, die Reemtsma-Entführung oder Honka: Aufsehenerregende Fälle gibt es nicht nur im Fernsehen, sondern auch in Hamburg.

Spektakuläre Tatorte gibt es nicht nur im Fernsehen zu sehen – es gibt sie direkt vor der eigenen Haustür. Legendäre Fälle, die Hamburg über Wochen, sogar Jahre in Atem hielten – oder noch halten. Im Fall Hilal etwa – die Akte wurden nie geschlossen – gehen die Ermittler im Zusammenhang mit den NSU-Morden gegenwärtig neuen Spuren nach. Das Abendblatt hat die zehn aufsehenerregendsten Hamburger Kriminalfälle zusammengestellt.

1. Der „Ehrenmord“

Auf einem Parkplatz am Berliner Tor wurde Morsal erstochen
Auf einem Parkplatz am Berliner Tor wurde Morsal erstochen © Michael Arning

Weil Morsal Obeidi ein Leben führen wollte wie ihre Mitschülerinnen, überwarf sie sich mit ihrer Familie. Die 16-jährige Deutsch-Afghanin wollte feiern, Spaß haben, mit Jungs ausgehen – doch ihre Familie, allen voran ihr eigener Bruder Ahmad, war nicht bereit, Morsals liberalen Lebensstil zu akzeptieren. Mitunter reichte es, dass sie sich schminkte – schon setzte es Prügel.

Am 15. Mai 2008 lockte der 23-Jährige seine Schwester auf einen Parkplatz am Berliner Tor, dort stach er 20-mal auf die 16-Jährige ein. Er tötete sie, weil er ihren westlichen Lebensstil nicht ertragen konnte – eine Tat aus falsch verstandenem Ehrgefühl.

Der Täter stellt sich später der Polizei. Am 13. Februar 2009 verurteilte das Landgericht Ahmad Obeidi zu einer lebenslangen Haftstrafe. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten. Familienangehörige griffen die Mahnwache einer Frauenrechtsorganisation vor dem Gerichtsgebäude an.

2. Die Reemtsma-Entführung

Die Reemtsa-Villa in Blankenese. Hier schlugen die Entführer zu
Die Reemtsa-Villa in Blankenese. Hier schlugen die Entführer zu © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Georg Spring

33 Tage, so lange dauerte das Martyrium von Jan Philipp Reemtsma in einem stickigen Keller eines Hauses in Garlstedt (Kreis Osterholz) . Dort hatten ihn seine Peiniger angekettet – bis sie bekamen, was sie wollten: 15 Millionen Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken Lösegeld. Bereits am 25. März 1996 war Reemtsma auf dem Grundstück seiner Villa in Blankenese von den Tätern überwältigt worden. Medien waren eingeweiht, hielten sich jedoch an die Nachrichtensperre der Polizei.

Thomas Drach, Kopf der vierköpfigen Entführerbande, gelang nach der Lösegeldübergabe die Flucht nach Argentinien. Dort konnte er zwei Jahre später festgenommen werden, nachdem Hamburger Ermittler Telefonate Drachs mit einem alten Freund abgehört hatten, die ihnen Hinweise auf seinen Standort lieferten. Drach wurde im Jahr 2000 nach Deutschland ausgeliefert und in Hamburg zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt – inzwischen ist er aber aus der Haft entlassen worden. Auch seine drei Mittäter kamen ins Gefängnis.

3. Mord im Polizeipräsidium

Die Bluttat im Polizeipräsidium erschütterte Hamburg
Die Bluttat im Polizeipräsidium erschütterte Hamburg © picture alliance / rtn - radio t | dpa Picture-Alliance / rtn, peter wuest

Er tötete ohne zu zögern, vorzugsweise durch einen Schuss von hinten in den Kopf. 14 Tode – einschließlich seines eigenen Suizids – gehen auf das Konto des „St.-Pauli-Killers“. Doch mit seiner letzten Bluttat schrieb Werner „Mucki“ Pinzner Kriminalgeschichte. Nach seiner Verhaftung am 15. April 1986 wollte Pinzner mehrere Morde gestehen – tatsächlich plante er seinen „großen Abgang“. Sein letztes Verbrechen erledigte er mit einem Revolver, den seine Frau Jutta mit Hilfe einer Verteidigerin ins damalige Polizeipräsidium am Berliner Tor geschmuggelt hatte. Zur Vernehmung in Zimmer 418 waren außer Pinzner seine Frau, die Rechtsanwältin, Staatsanwalt Wolfgang Bistry, zwei Polizeibeamte und eine Schreibkraft anwesend. „Das ist eine Geiselnahme“, schrie Pinzner. Und schoss, ohne zu zögern, auf Staatsanwalt Bistry, dann richtete er seine Frau und sich selbst mit einem Schuss in den Mund. Bistry erlag einen Tag später seine Verletzungen. Als Hintermann des Mordes wurde unter anderem der Hamburger Bordellier „Ringo“ vermutet. Die Rechtsanwältin wurde wegen Beihilfe zum Mordes zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.

4. Das totgeprügelte Mädchen

Eingerahmt von einem Herz: ein Foto der totgeprügelten Yagmur (3)
Eingerahmt von einem Herz: ein Foto der totgeprügelten Yagmur (3) © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Daniel Bockwoldt

Die Vorhänge im dritten Stockwerk sind vergilbt und zugezogen, die Fenster verstaubt. Der Tatort: Ein schmuckloses Haus der Saga GWG in Mümmelmannsberg. Hier starb am 18.Dezember 2013 die drei Jahre alte Yagmur – das Kind verblutete innerlich durch einen Leberriss. Unter Verdacht stehen die Eltern des Mädchens, Hüseyin Y. (25) und Melek Y. (26). Wie sich herausstellt, war es Melek Y., die ihrem Kind über Monate schwerste Verletzungen zugefügt hatte; die Rechtsmedizin zählte bei der Obduktion 83 äußere Verletzungen. Am 25. November 2014 wurde Melek Y. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

In den vergangenen zehn Jahren sind damit sechs Kinder in Hamburg auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen: Michelle, Jessica, Lara Mia, Chantal, Yagmur, Tayler. In allen Fällen waren den Jugendämtern und Behörden zum Teil gravierende Fehler unterlaufen. So durfte Yagmur zu ihren Eltern zurückkehren, obgleich es deutliche Hinweise auf Misshandlungen gab.

5.Der Fall Hilal

Hilal ist seit dem 27. Januar 1999 verschwundenen
Hilal ist seit dem 27. Januar 1999 verschwundenen © picture-alliance/ dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / DB Polizei

Am 27. Januar 1999 verschwand die damals zehn Jahre alte Hilal Ercan aus Lurup. Weil die Schülerin ein gutes Zeugnis mit nach Hause gebracht hatte, durfte sie sich im Einkaufszentrum Elbgau­straße Süßigkeiten kaufen. Dort wurde sie zuletzt lebend gesehen. Die Polizei setzte die Soko „Morgenland“ ein, um das Verschwinden des Mädchens aufzuklären. In den ersten drei Jahren gingen die bis zu 20 mit dem Fall betrauten Ermittler 390 Spuren nach – und konnten zahlreiche Thesen ausschließen. Die Polizei ist sich sicher, dass Hilal Opfer eines Tötungsdeliktes wurde, möglicherweise mit sexuellem Hintergrund.

2005 bezichtigte sich ein in der geschlossenen Psychiatrie einsitzender Sexualstraftäter der Tat. Er hatte, so ergaben die Ermittlungen, gelogen. In diesem Jahr kam erneut Bewegung in den niemals geschlossenen Fall. Nachdem dem Fundort der ermordeten Peggy in Franken DNA des NSU-Terroristen Uwe Bönhardt zugeordnet wurde, wird geprüft, ob der mittlerweile tote Neonazi und seine Komplizen etwas mit dem Verschwinden von Hilal Ercan zu tun haben könnten.

6. Der Säurefassmörder

Sicherstellung eines Säurefasses am 14. Dezembert 1992
Sicherstellung eines Säurefasses am 14. Dezembert 1992 © ullstein bild | ullstein bild

Als „Säurefassmörder“ oder „Kürschner von Rahlstedt“ ist Lutz Reinstrom in die Kriminalgeschichte eingegangen. Er verschleppte 1988 eine 61 Jahre alte und 1991 eine 53 Jahre alte Frau in seinen Atombunker im Garten seines Reihenhauses am Dompfaffenweg. Dort quälte, tötete und zerstückelte er sie, ihr Martyrium dauerte bis zu vier Wochen. Die Leichenteile seiner Opfer legte er in Säurefässer. Gefasst wurde Reinstrom im September 1991, nachdem er eine weitere Frau entführt hatte, sie später aber wieder freiließ. Die anderen Taten kamen erst ans Licht, nachdem eine Beamtin gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten ermittelte und die Einsetzung einer Soko erwirkte. Reinstrom bekam 1996 lebenslänglich wegen Mordes plus Sicherungsverwahrung.

7, Der Fall Dagobert

Der Kaufhauserpresser Arno Funke alias
Der Kaufhauserpresser Arno Funke alias "Dagobert" © picture-alliance / ZB | dpa Picture-Alliance / Peer Grimm

Mit einer Zeitungsanzeige - Text: „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“ – signalisierte Karstadt 1992 seine Zahlungsbereitschaft, nachdem in der Porzellanabteilung im Kaufhaus an der Mö eine Rohrbombe explodiert war. Der Erpresser, der zunächst eine Million Mark gefordert hatte, kam so zu seinem Namen: Dagobert. Fast zwei Jahre dauerte es, bis der Täter, ein arbeitsloser Lackierer, in einer Telefonzelle in Berlin gestellt werden konnte. Bis es soweit war, waren mehrere Versuche der Geldübergabe gescheitert. Der Erpresser ging dabei aber immer mit viel Raffinesse vor, genoss deshalb große Sympathien in der Öffentlichkeit. So wurde ein Übergabeversuch mittels einer präparierten Streusandkiste durchgeführt. In einem anderen Fall setzte „Dagobert“ einen selbst gebauten Schienengleiter ein. Ein selbst gebautes U-Boot kam nicht mehr zum Einsatz.

Sein Fehler: Der Erpresser benutzte die damals noch üblichen öffentlichen Fernsprecher, die Polizei überwachte Hunderte Telefonzellen. Er wurde zu neun Jahren Haft verurteilt und kam 2000 frei.

8. Honka, der Massenmörder

20. Dezember 1976: Fritz Honka auf der Anklagebank eines Hamburger Schwurgerichtes
20. Dezember 1976: Fritz Honka auf der Anklagebank eines Hamburger Schwurgerichtes © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / DB Heidtmann

Sein Name galt lange als Synonym für Massenmord – Honka. Der Nachtwächter hatte mindestens vier Frauen getötet. Seine Opfer holte er sich im Prostituiertenmilieu. Oft traf er sie in den Kneipen am Hamburger Berg, zu denen auch der „Goldene Handschuh“ gehörte. Es waren Frauen, die niemand vermisste. Am 17. Juli 1975 brach in seinem Haus an der Zeißstraße in Ottensen ein Feuer aus. Bei den Löscharbeiten entdeckte ein Feuerwehrmann in seiner Wohnung Leichenteile. Es waren Überreste von drei zerstückelten Frauen, die die Polizei in Abseiten fand. Um den penetranten Leichengeruch zu überdecken, hatte Honka Duftsteine verteilt.

In seiner Vernehmung gestand Honka die Taten, von denen er die erste 1970 beging. Honka wurde wegen Mordes in einem und wegen Totschlags in drei Fällen zu 15 Jahre Haft verurteilt. Bis 1993 saß er in der Psychiatrie, er lebte dann in einem Altenheim an der Ostsee, bekam Wahnvorstellungen und wurde nach Hamburg gebracht, wo er 1998 im Klinikum Nord starb.

9. Finaler Rettungsschuss am Steindamm

MEK-Beamte erschossen den Geiselnehmer vor der Bank
MEK-Beamte erschossen den Geiselnehmer vor der Bank © ullstein bild | ullstein bild

Mit einem „finalen Rettungsschuss“ beendeten Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) am 18. April 1974 einen Banküberfall mit Geiselnahme am Steindamm. Gegen 12.30 Uhr war ein aus Kolumbien stammender Ingenieur-Student in die Filiale gestürmt, er bedrohte die Angestellten und nahm sie als Geiseln. Als der erste Peterwagen eintraf und ein Beamter in den Schalterraum stürmte, wurde er vom Täter erschossen. Der Geiselnehmer forderte einen Fluchtwagen, den ein nur mit Badehose bekleideter Beamter vor die Tür fahren musste. Gegen 15.50 Uhr kam der Täter aus der Bank. Er hatte die Mütze des erschossenen Beamten auf dem Kopf, eine Pistole in der Hand und führte eine Geisel, der er ein Messer an den Hals hielt, als Schutzschild vor sich her. Plötzlich sprangen die Elite-Polizisten aus ihrer Deckung neben dem Eingang, töteten den Geiselnehmer mit gezielten Schüssen in Kopf und Brust.

10.Das Terroristen-Nest in der Harburger Marienstraße

Al-Quaida-Attentäter Mohammed Atta
Al-Quaida-Attentäter Mohammed Atta © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Ipol

Es war eine Meldung des damaligen Auslandsdienstes des Springer-Verlags – ein Tag nach der verheerenden Anschlagserie vom 11. September 2001 –, der die Spur nach Hamburg brachte. Zunächst hieß es, die Terroristen hätten hier bei einem Verwandten gewohnt. Doch nach und nach kam heraus: In Hamburg hatten der führende Kopf der Terrorzelle, Mohammed Atta, und zahlreiche Komplizen jahrelang, teilweise als Studenten der Technischen Universität in Harburg, unauffällig gelebt und sich auf die Taten vorbereitet. Gewohnt hatten sie in der Marienstraße in einem Mehrfamilienhaus nahe dem Harburger Zentrum. Am Abend des 12. September wurde die Wohnung als Terroristen-Unterschlupf identifiziert. Innerhalb weniger Stunden durchsuchte die Polizei zahlreiche Wohnungen von Mittätern und Helfern.
Zudem wurde die Al-Kuds-Moschee am Steindamm im Stadtteil St. Georg als zentraler Treffpunkt der Terrorzelle ermittelt. Erst im August 2010 wurde die Moschee, die als Dreh- und Angelpunkt der islamistischen Szene in Hamburg und Deutschland galt, wegen dschihadistischer Aktivitäten von den Sicherheitsbehörden geschlossen.