Hamburg. Hinterm Horizont feierte am Donnerstag Premiere im Operettenhaus – am Ende sang sogar der echte Udo Lindenberg auf der Bühne.

„Da gibt es so ’nen Boulevard, die Große Freiheit auch ganz nah, und ich weiß, mich zieht’s zum Kiez“: So manch Hamburger Musical- oder Udo-Lindenberg-Fan war ’n bisschen traurig, als „Hinterm Horizont“ vor fünf Jahren Premiere im Berliner Theater am Potsdamer Platz feierte. Ein Udo-Musical in Berlin? Watt soll ’n ditte? Aber es ist ganz gut gelaufen an der Spree, überraschend gut sogar dafür, dass Musicals in Berlin einen schlechten Stand haben.

Erst nach fünf Jahren gingen die Besucherzahlen so weit zurück, dass die Zelte abgebrochen werden konnten für die Rückkehr in die Stadt, wo „Hinterm Horizont“ seinerzeit entwickelt wurde. Nach Hamburg. Sankt Pauli. „Willkommen zu Hause“ hieß es am Donnerstag bei der Gala-Premiere im Operettenhaus am Spielbudenplatz. Auf der Gästeliste jede Menge Prominenz, darunter Otto Waalkes, Bruno Labbadia, Volker Lechtenbrink, Vicky Leandros und Johannes Oerding. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ließ sich das Ereignis nicht entgehen. Ebenso wenig wie Lindenbergs ehemaliger Leibwächter Eddy Kante. Sie alle fieberten der Premiere entgegen, zu der natürlich auch der Meister selbst gekommen war.

Die Story: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 öffnet sich die Mauer, und auch Jessy Jung, ein Mädchen aus Ostberlin, macht sich in jenen Tagen auf den Weg in den Westteil der Stadt, „nur mal kieken“. Vor der Deutschlandhalle begegnet sie Udo Lindenberg, der dort ein Konzert gibt. Ein kurzes Gespräch und die Erkenntnis: „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr.“

Lindenbergs Lieder wecken Träume von Freiheit

Ob das stimmt? Jedenfalls gibt’s eine Vorgeschichte: Schon 1983 war Udo in Berlin, Ost. Unter dem Motto „Gitarren statt Knarren“ trat er für atomare Abrüstung ein und gab ein legendäres Konzert im Palast der Republik. Und so, wie er der Stasi damals den letzten Nerv raubte, raubte er Jessy, die mit dem FDJ-Chor im Vorprogramm auftrat, einen ersten Kuss. Zwei Jahre später zeugte er mit ihr bei einem Gastspiel in Moskau sogar einen „Lindenzwerg“, von dem er erst viele Jahre später erfuhr. Diese Liebesgeschichte ist die romantische von drei Handlungsebenen in „Hinterm Horizont“. Die zweite ist Jessys Familie, gespalten zwischen opportunistischer Anpassung der Eltern an das System und jugendlichem Aufbegehren von Jessy und ihrem Bruder Elmar. Lindenbergs Lieder wie „Ich träumte oft davon, ein Segelboot zu klaun“ oder „Gegen die Strömung“ wecken Träume von Ferne und Freiheit, und auch der DDR-Staatsapparat – das ist die dritte Erzählebene – weiß um die Gefahr, die von westlichen Pop-Subjekte im Arbeiter- und Bauern-Staat ausgeht.

Lindenberg-Premiere: Diese Promis waren dabei

Udo Lindenberg and Olivia Jones auf dem Roten Teppich bei der Hamburg Premiere des Udo-Lindenberg-Musical
Udo Lindenberg and Olivia Jones auf dem Roten Teppich bei der Hamburg Premiere des Udo-Lindenberg-Musical © Getty Images | Alexander Koerner
Udo Lindenberg and Olivia Jones auf dem Roten Teppich bei der Hamburg Premiere des Udo-Lindenberg-Musical
Udo Lindenberg and Olivia Jones auf dem Roten Teppich bei der Hamburg Premiere des Udo-Lindenberg-Musical © Getty Images | Alexander Koerner
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Ehefrau  Britta Ernst and Ursula Neuss
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Ehefrau Britta Ernst and Ursula Neuss © Getty Images | Alexander Koerner
Der Fußballtrainer Bruno Labbadia  freute sich sichtlich
Der Fußballtrainer Bruno Labbadia freute sich sichtlich © dpa | Axel Heimken
Der Komiker Otto Waalkes steht  in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals
Der Komiker Otto Waalkes steht in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals "Hinterm Horizont" auf dem Roten Teppich © dpa | Axel Heimken
Eddy Kante,  Udo Lindenbergs Ex-Leibwächter, war ebenfalls geladen
Eddy Kante, Udo Lindenbergs Ex-Leibwächter, war ebenfalls geladen © Getty Images | Alexander Koerner
Kalle Schwensen durfte nicht fehlen
Kalle Schwensen durfte nicht fehlen © Getty Images | Alexander Koerner
Boxerin Susianna Kentikian war auch geladen
Boxerin Susianna Kentikian war auch geladen © Getty Images | Alexander Koerner
Schauspielerin Janina Korn mit Lindenberg-Zigarre und -Hut
Schauspielerin Janina Korn mit Lindenberg-Zigarre und -Hut © Getty Images | Alexander Koerner
Der Schauspieler Wolfgang Fierek und seine Frau Djamila Mendil s in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals
Der Schauspieler Wolfgang Fierek und seine Frau Djamila Mendil s in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals "Hinterm Horizont" © dpa | Axel Heimken
Tänzerin Christine Deck (li)  und Schauspielerin Wanda Perdelwitz bei der Premiere von Hinterm Horizont in Hamburg
Tänzerin Christine Deck (li) und Schauspielerin Wanda Perdelwitz bei der Premiere von Hinterm Horizont in Hamburg © action press | Ot,Ibrahim
Vicky Leandros and Udo Lindenberg vor der Hamburg-Premiere auf dem Roten Teppich
Vicky Leandros and Udo Lindenberg vor der Hamburg-Premiere auf dem Roten Teppich © Getty Images | Alexander Koerner
Musiker  Johannes Oerding
Musiker Johannes Oerding © Getty Images | Alexander Koerner
Schauspielerin  Victoria Fleer
Schauspielerin Victoria Fleer © Getty Images | Alexander Koerner
Vicky Leandros and Udo Lindenberg vor der Hamburg-Premiere auf dem Roten Teppich
Vicky Leandros and Udo Lindenberg vor der Hamburg-Premiere auf dem Roten Teppich © Getty Images | Alexander Koerner
Der Moderator Gerhard Delling und seine Tocher Katharina stehen in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals
Der Moderator Gerhard Delling und seine Tocher Katharina stehen in Hamburg bei der Premiere des Udo-Lindenberg-Musicals "Hinterm Horizont" auf dem Roten Teppich © dpa | Axel Heimken
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„Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen,“ grollte Walter Ulbricht bereits 1965. Auch Jugendkultur wurde in der DDR von oben befohlen und führte zu Grotesken wie dem Lipsi-Tanz als Antwort auf den Rock ’n’ Roll. Und wer aus den Konventionen ausbricht und zum Beispiel wie Elmar dem Lindenberg-Konzert im Palast der Republik unerlaubt zu nahe kommt, tanzt im Takt der Volkspolizei-Knüppel.

Aber letztlich ist noch jede Mauer, egal ob sie Menschen ein- oder aussperren sollte, überwunden worden. Was von den Ideen römischer und chinesischer Kaiser oder grauer Politbüro-Betonköpfe blieb, sind symbolkräftige Ruinen, die ihre Kosten erst viele Jahre oder gar Jahrhunderte später wieder reinholen – als Touristenattraktion.

Der Horizont endet nicht auf einer Mauerkrone

Lang braucht es bisweilen auch, die Mauer in den Gedanken und Herzen der Menschen zu überwinden: eine zentrale Botschaft dieses Musicals. Der Horizont endet nicht auf einer Mauerkrone. Dahinter geht es weiter. Und Liebe kennt keine Grenzen, „Barrikaden gab’s für uns doch nicht“, wie Udo und Jessy gemeinsam in dieser Nacht in Moskau singen.

Romantik, Familienbande und Zeitgeschichte, die aktueller ist denn je: Eine Menge Stoff, die in „Hinterm Horizont“ verarbeitet wird. Da ist die Gefahr groß, sich zu verzetteln, auch weil das Budget und damit der Schauwert des Musicals im Vergleich zu Großproduktionen wie „Der König der Löwen“ oder „Das Wunder von Bern“ charmant, aber übersichtlich ist. Einige Schauspieler übernehmen bis zu vier Rollen, die Ensemble-Szenen brauchen nicht viel Raum.

Aber dafür, und ein größeres Lob kann man einem Lindenberg-Musical nicht machen, ist „Hinterm Horizont“ so Rock ’n’ Roll wie die Lederjacke, die Udo einst Erich Honecker schickte. Selbst in den berührendsten Momenten wird es nicht kitschig, die Gags sind tatsächlich witzig und statt des immer gleichen akustischen Sahnesteifs vieler Musicals gibt es im Operettenhaus Panik-Orchester pur: „Boogie-Woogie-Mädchen“, „Odyssee“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“, „Mein Ding“. Das fetzt, wie Jessys Familie im – zumindest für Hamburger Ohren – authentischen Zonenslang sagen würde.

Udo Lindenberg will zu jeder Vorstellung kommen

Selbst wenn es ein, zwei Längen („Wenn du durchhängst“) im Stück gibt: Die Darsteller spielen „Stark wie Zwei“. Alex Melcher als Udo imitiert Udo brillant, ohne zu kopieren. Damit ist alles gesagt, weil wir alle wissen, wie Udo singt, klingt, tanzt, nuschelt, lacht. Josephin Busch als junge und Nadja Petri als ältere Jessy begeistern mit Esprit zum Verlieben. Auch die Nebenrollen, etwa Rainer Brandt als Stasi-Minister-Karikatur, sind ideal besetzt.

Als „Hinterm Horizont“ vor fünf Jahren startete, wurde es offensiv als „Berlin-Musical“ beworben und das ist es auch im Operettenhaus geblieben. Allerdings wurden eine Schlussviertelstunde und ein furioses neues Finale für Hamburg entworfen – so mitreißend, dass man „Hinterm Horizont“ unbedingt noch einmal am Spielbudenplatz sehen sollte, selbst wenn man es schon am Potsdamer Platz erlebt hat.

Udo Lindenberg, der am Schluss selbst singend auf der Bühne stand, will übrigens zu jeder Vorstellung kommen. Das wird er vielleicht nicht schaffen. Aber ihn zieht’s immer noch zum Kiez.

„Hinterm Horizont“ bis 30.7.17, Di–Mi 18.30, Do–Fr 19.30, Sa–So 14.30, 19.30, Operettenhaus (U St. Pauli), Spielbudenplatz 1, Karten ab 49,90 unter T. 01805-44 44 oder unter Abendblatt-Tickethotline 30 30 98 98 und in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32; www.stage-entertainment.de