Acht Stichwörter aus der hanseatischen Geschichte geben einen ersten Einblick in das Schöne, Tragische und Besondere dieser Stadt.

Finden Sie mal einen Titel für ein Hamburg-Buch. Es gibt schon so viele davon. Aber keins wie dieses, das jetzt beim Verlag Ellert & Richter in Kooperation mit dem Abendblatt erschienen ist: 100 Stichwörter fassen das Schöne, das Tragische, das Besondere, das Hanseatische der Stadt zusammen. „Plietsch“ (plattdeutsch: schlau, clever, klug, gewitzt) ist der Anspruch, mit teils ungewöhnlichen Perspektiven die Hansestadt unterhaltsam in den Blick zu nehmen. Von A wie Aalsuppe bis Zollenspieker Fährhaus. Auf dieser Themaseite haben wir acht Stichwörter aus dem neuen Buch von Abendblatt-Redakteur Edgar S. Hasse beispielhaft ausgewählt.

Schmuddelwetter

Dahinter steckt wohl ein Körnchen Wahrheit: Schmuddelwetter (von Plattdeutsch „smuddeln“ = schmutzig werden; nieseln) herrscht nach Ansicht der Hamburger immer dann, wenn es vor allem im Herbst bei Hochdruckwetterlage und schwachem Wind aus tiefer hängenden Wolken nieselt und sich Nebel bildet. Doch dass in der Hansestadt schlechtes Wetter besonders gehäuft vorkäme, ist meteorologisch nicht erwiesen.

Im Video: Hamburg ganz schön plietsch

Bei einer europaweiten statistischen Erhebung für 2004 nahmen Halle an der Saale und Köln den ersten und zweiten Platz als regenreichste Städte Europas ein (Niederschläge jeweils an 266 bzw. 263 Tagen). In Hamburg liegt die Zahl der Niederschlagstage im langjährigen Mittel bei rund 200 – mit leicht steigender Tendenz. Pro Jahr sind das durchschnittlich 770 Liter pro Quadratmeter.

Das nasseste Jahr in der Hamburger Geschichte war 1916 mit 1068 Litern Niederschlag pro Quadratmeter. Zwar ist Hamburg weder „Deutschland“- noch „Europameister“ bei der Zahl der Regentage, es gehört aber zu den regenreichsten Städten Deutschlands. Der maritime Einfluss von Nord- und Ostsee, Alster und Elbe sowie die Fleete und Kanäle prägen Klima und Stadtwetter. Im Jahresmittel ist die Elbe 2,2 Grad Celsius und die Alster 1,5 Grad Celsius wärmer als die Luft.

Immer dieses Schmuddelwetter? Nein,
Halle an der Saale und Köln haben laut
Statistik mehr Regentage im Jahr
Immer dieses Schmuddelwetter? Nein, Halle an der Saale und Köln haben laut Statistik mehr Regentage im Jahr © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / Marcus Brandt

Die Straße Brandstwiete beim U-Bahnhof
Meßberg trägt den Namen von
Hein Brand, der im Mittelalter lebte
Die Straße Brandstwiete beim U-Bahnhof Meßberg trägt den Namen von Hein Brand, der im Mittelalter lebte © HA | Marcelo Hernandez

Brandstwiete

Dort, wo an der Brandstwiete jahrzehntelang das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ residierte, lebte im Mittelalter der Bürger Hein Brand. Wie es dazu kam, dass er dem Herzog Johann III. von Sachsen-Lauenburg eine größere Geldsumme lieh, ist nicht überliefert. Fest steht, dass der Hamburger sein Geld zurückforderte. Bei einem zufälligen Zusammentreffen auf der Straße verlieh Brand seiner Forderung Ausdruck und beschimpfte den Herzog. Der beschwerte sich beim „hochedlen und hochweisen Rath“ der Stadt Hamburg, einem Oligarchen-Gremium aus rund 70 Kaufleuten. Daraufhin kam Brand ins Gefängnis. Doch der Rat hatte die Rechnung ohne das Volk gemacht.

Es kam zu schweren Unruhen, bei denen Bürger die Freilassung von Brand forderten. Mit Erfolg. Nach wenigen Tagen wurde ein Dokument unterschrieben, das als Vorläufer der Hamburger Verfassung gilt. Der 1410 zwischen Rat und Bürgerschaft unterzeichnete Rezess (lateinisch „recedere“ = zurückweichen, zurückgehen) galt als Kompromiss und stärkte erstmals, juristisch verbrieft, die Bürgerrechte. So durfte der Rat ohne Zustimmung der Bürgerschaft niemanden verhaften. Wollten die Männer im Senat einer anderen Macht den Krieg erklären oder Steuern erheben, bedurfte es ebenfalls der Zustimmung. Die Brandstwiete ist übrigens nach Hein Brand benannt.

Rote Grütze gehört zu einem hanseatischen
Festmahl einfach dazu, hier
zubereitet im Landhaus Scherrer
Rote Grütze gehört zu einem hanseatischen Festmahl einfach dazu, hier zubereitet im Landhaus Scherrer © Bertold Fabricius

Rode Grütt

Und jetzt etwas Süßes! Ob in Thomas Manns „Buddenbrooks“, beim Treueball der langjährigen „Hamburger Abendblatt“-Abonnenten im Hotel Atlantic oder zum kulinarischen Finale einer Familienfeier: Als Krönung der Gaumengenüsse wird Rode Grütt, Rote Grütze, gereicht. Schon der Husumer Dichter und Schriftsteller Theodor Storm (1817–1888) schwärmte für etwas Süßes („Erfahrungsgemäß essen alle Poeten gern Kuchen“) und bezeichnete das Menü mit Scholle und Roter Grütze als sein Lieblingsgericht.

Die Rode Grütt ist ursprünglich ein Arme-Leute-Essen aus Norddeutschland und Skandinavien und inzwischen eine beliebte Nachspeise, die auf kaum einer Festtafel in Hamburg fehlt. In die Grütze, grob zerkleinerte Getreidekörner, gaben die Köchinnen früher den Saft von eingemachten Johannisbeeren, Himbeeren, Kirschen und Brombeeren, manchmal auch reichlich Wein. Dann wurde der leuchtend rote Hafer- oder Gerstenbrei gekocht. Lecker! Klaus Groth (1819–1899), der niederdeutsche Lyriker und Schriftsteller, meinte: „Rodegrütt, dat is een Eeten.“

Johann Georg Mönckeberg (1839–1931)
war Senator und Erster Bürgermeister
und ist Namensgeber der „Mö“
Johann Georg Mönckeberg (1839–1931) war Senator und Erster Bürgermeister und ist Namensgeber der „Mö“ © ullstein bild

Mönckeberg

Zwei Buchstaben sind von Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg (1839–1908) geblieben. Die „Mö“, kurz für Mönckebergstraße, erinnert an den Hanseaten. Gäbe es nicht jene Straße und den Mönckeberg-Brunnen, wäre wohl kaum noch was von ihm im öffentlichen Bewusstsein präsent. Dabei wäre Hamburg ohne ihn nicht, was es heute ist. Der „Bürgermeister Pfennigfuchser“, 14-mal im Amt bestätigt, führte die Hansestadt in der wilhelminischen Ära vom beengten Stadtstaat in eine florierende, weltoffene Großstadt – eine moderne Metropole. Johann Georg Mönckeberg war Hamburger Urgestein, ein „geborener Hamburger“. Also kein Quiddje.

Als Sohn eines Pastors von St. Nikolai studierte er zunächst Jura. Das Amt des Ersten Bürgermeisters übernahm er 1890 und hatte es bis zu seinem Tod inne. Mönckeberg, den seine Zeitgenossen den „Löwen“ nannten, brachte die Hafenerweiterung, den Bau des Hauptbahnhofs und der U-Bahn sowie die Sanierung (das hieß damals: den Abriss) der Gängeviertel nach der großen Cholera-Epidemie von 1892 voran. Wenn Hamburg damals der Anschluss an eine neue Zeit glückte, war das vor allem das Verdienst dieses Mannes – darin sind sich die Chronisten einig. Mit seinem Namen verbunden ist der Bau einer gut 700 Meter langen Straße vom Hauptbahnhof zum Rathaus. Die Einweihung der heutigen Einkaufsmeile konnte Mönckeberg selbst nicht erleben. Er war kurz zuvor an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

Privat lebte der Vater von fünf Töchtern und vier Söhnen recht zurückgezogen in seiner Villa in der Feldbrunnenstraße. Überliefert ist seine exzellente rhetorische Begabung, weshalb ihn Kaiser Wilhelm II. als „besten Redner Deutschlands“ bezeichnete. Im Familienbesitz der Mönckeberg-Nachfahren befindet sich ein Schriftstück, das Mönckebergs Großvater 1814 verfasst hat. Das Dokument des späteren Justizsenators mit den gleichen Vornamen wie sein Enkel ist ein Plädoyer für den Verfassungspatriotismus derer, die in diesem Gemeinwesen als Bürger leben. „Das Glück der Völker wird nicht so sehr durch die Verwaltung als durch die Verfassung bestimmt“, schreibt der Vorfahr des berühmten Ersten Bürgermeisters. Je vollkommener eine Verfassung aber sei, „desto eher halten die Bande, die das Ganze zusammenfügen. Es kommt nur darauf an, dass die Wächter der Verfassung ihre Pflicht tun und nicht einschlummern. Der Patriotismus ist von Zeit zu Zeit aufzurütteln, wie die Natur zuweilen Sturmwind braucht, um die Luft zu reinigen.“ Es klingt wie ein Appell an die Konsumgesellschaft von heute, wenn Johann Georg Mönckebergs Großvater die Gefahr beschreibt, dass der „Geist“ einschlafen könnte, sollte der „Rausch“ stärker werden.

In Bergedorf steht Hamburgs Sternwarte
seit 1906: Schon damals störten
Rauch und Straßenlaternen in Hamburg
In Bergedorf steht Hamburgs Sternwarte seit 1906: Schon damals störten Rauch und Straßenlaternen in Hamburg © HA | Andreas Laible

Bergedorfer Sternwarte

Es hat seinen guten Grund, dass die Bergedorfer Sternwarte auf dem Gojenberg steht. Hier, weitab von der Großstadt, sind die Nächte noch wirklich dunkel und nicht hell wie in der City. Das wussten schon die Stadtväter, die den Bau der Sternwarte im Jahr 1906 in die Bergedorfer Idylle legten, weit weg von der „Lichtverschmutzung“. Die Anfänge eines öffentlichen Observatoriums in Hamburg gehen auf das Jahr 1802 zurück, initiiert vom Feinmechaniker Johann Georg Repsold (1770–1830).

Nach dem Abbruch des Gebäudes am Stintfang wegen der napoleonischen Besatzung und einem Neubau am Millerntor 1826 (dort steht heute das Hamburg Museum) plädierte der Senat schließlich für den Umzug nach Bergedorf. Rauch und Streulicht erschwerten schon damals die nächtlichen Himmelsbeobachtungen und sprachen für Bergedorf mit weitem Blick auf die Vier- und Marschlande und auf die Sterne. 1912 wurde der Bau auf dem Gojenberg nach den Plänen des Architekten Albert Erbe eingeweiht.

Der Gebäudekomplex galt als modern, weil er Arbeits- und Beobachtungsräume trennte und weil die Ausstattung sowohl Instrumente der klassischen Astronomie als auch der Astrophysik umfasste. Zeugnisse dieser Entwicklung sind die noch erhaltenen Linsen- und Spiegelteleskope. Der große Refraktor mit einem Objektivdurchmesser von 60 Zentimetern und einer Brennweite von neun Metern zählt zu den größten Fernrohren in Deutschland.

Die Handelskammer am Adolphsplatz:
Sie ging aus der 1665 gegründeten
„Commerz-Deputation“
hervor
Die Handelskammer am Adolphsplatz: Sie ging aus der 1665 gegründeten „Commerz-Deputation“ hervor © HA / A.Laible | Andreas Laible

Handelskammer

Als das Großfeuer auf dem Konvoischiff „Wapen von Hamburg“ im Oktober 1683 nicht mehr zu löschen war, blieb Kapitän Behrend Jacobsen Karp­fanger trotzdem an Bord. Nach der Explosion in der Pulverkammer versank er mit dem brennenden Segler vor der Küste von Cádiz. 14 Jahre lang hatte die Besatzung erfolgreich Hamburger Handelsschiffe vor den blutigen Attacken nordafrikanischer Piraten geschützt. Eine Gruppe hanseatischer Kaufleute wollte dem vergeblichen Kampf der Admiralität gegen die algerischen Korsaren nämlich nicht länger tatenlos zusehen und gründete deshalb am 19. Januar 1665 mit der „Commerz-Deputation“ ihre eigene Interessenvertretung.

Und die schickte Kriegsschiffe zum Einsatz auf das Mittelmeer und den Atlantik. Aus der Commerz-Deputation ging die heutige Handelskammer hervor, die sich am 1. Januar 1867 diesen Namen gab und in ihrer mehr als 350-jährigen Geschichte bewiesen hat, wie professionell sich Institutionen wandeln können. Waren es am Anfang der Bau und Einsatz dieser Konvoischiffe, folgten im Zeitalter der Aufklärung diplomatische Initiativen, um Handelsverträge mit den europäischen Nachbarn zu schließen.

Für den Wissenserwerb wurde 1735 mit der Commerzbibliothek die noch heute bestehende älteste Wirtschaftsbibliothek der Welt gegründet. Die Kaufleute sollten mit einer einzigartigen Ansammlung von Wissen aus verschiedenen Fachgebieten (Geografie, Handels­-­wissen­schaf­ten, Hamburgensien, Reisen, Wirtschaft, Schifffahrt) die Möglichkeit haben, sich aus- und fortzubilden.

Trotz großer Bestandsverluste durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und die Flutkatastrophe im Jahr 1962 umfasst die Commerzbibliothek derzeit (wieder) rund 180.000 Medieneinheiten, darunter historische Raritäten wie der 1493 gedruckte Kolumbus-Brief über die Entdeckung Amerikas.

Ein rekonstruierter Stacheldrahtzaun
vor einer früheren Häftlingsunterkunft
in der KZ-Gedenkstätte
Neuengamme
Ein rekonstruierter Stacheldrahtzaun vor einer früheren Häftlingsunterkunft in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme © picture alliance / dpa

KZ Neuengamme

SS-Reichsführer Heinrich Himmler gab im Jahr 1942 die Parole aus, die Produktivität der männlichen KZ-Häftlinge, die Zwangsarbeit in der Rüstungsindus­trie leisten mussten, mit einem gestaffelten Bezahlsystem zu steigern. Als besondere Belohnung rangierte in der dritten Stufe eines „Prämiensystems“ (dazu gehörten unter anderem Gutscheine für Nahrungsmittel) das makabre Angebot, dass die „arischen“ Männer ein Lagerbordell besuchen durften.

Es ist ein bislang in der Zeitgeschichte weitgehend vernachlässigtes Kapitel, das einmal mehr die Perfidität des NS-Regimes zeigt. Ein solches Bordell befand sich seit Pfingsten 1944 auch in einer „Sonderbaracke“ des Konzen­trationslagers (KZ) Neuengamme. Das insgesamt 57 Hektar große KZ in den Vier- und Marschlanden mit mehr als 80 Außenlagern war das zentrale KZ in Nordwestdeutschland.

Zwischen 1938 bis 1945 wurden hier und in den angeschlossenen Nebenlagern rund 106.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern interniert, darunter 13.500 Frauen. Knapp die Hälfte der Häftlinge hat den systematischen Terror, die mangelhafte Ernährung und die Arbeitstortur nicht überlebt. Erst waren es deutsche Häftlinge, die im KZ Neuengamme schuften mussten; nach dem Angriff auf die Sowjetunion kamen sowjetische Gefangene und ab 1944/45 jüdische Zwangsarbeiter aus verschiedenen europäischen Ländern dazu. Während des Krieges mussten sie unter schwersten Bedingungen für die Rüstungsproduktion arbeiten. Außerdem führten SS-Ärzte medizinische Experimente an Häftlingen durch. Mindestens 1000 von ihnen wurden im Krankenrevier mit Giftspritzen getötet.

Das „Weiße Haus“, das US-Konsulat
an
der Außenalster: Die Diplomaten ziehen
demnächst in die HafenCity um
Das „Weiße Haus“, das US-Konsulat an der Außenalster: Die Diplomaten ziehen demnächst in die HafenCity um © HA | Andreas Laible

Konsulate

Jedes Jahr am 3. März erinnert Bulgarien mit seinem Nationalfeiertag an die Befreiung von der osmanischen Herrschaft und die Ausrufung des bulgarischen Staates im Jahr 1878. Aus diesem Anlass lädt der Honorargeneralkonsul Bulgariens in die Hauptkirche St. Jacobi zu einem Fest, bei dem die traditionelle Bohnensuppe serviert wird. Neben der bulgarischen Gemeinde geben sich bei dieser Gelegenheit die in Hamburg ansässigen Konsuln die Ehre. Hamburg, das „Tor zur Welt“, gilt nach New York und Hongkong als die „Hauptstadt der Konsulate“. Rund 100 Länder lassen sich an Elbe und Alster konsularisch vertreten. Der Aufstieg begann 1570, als Österreich das erste Konsulat in der Hansestadt eröffnen ließ.

„Hamburg ganz schön plietsch“, ist bei Ellert & Richter erschienen, umfasst  192 Seiten und kostet 12,95 Euro
„Hamburg ganz schön plietsch“, ist bei Ellert & Richter erschienen, umfasst 192 Seiten und kostet 12,95 Euro © Ellert & Richter Verlag

Neun Jahre später folgte Frankreich. Weltoffenheit, Außenhandel und Internationalität – in Hamburg leben Bürger aus 180 Ländern – sind die Gründe für diese Entwicklung. Seit 1790 sind die Vereinigten Staaten von Amerika mit einem Generalkonsulat präsent. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen die US-Berufsdiplomaten das „Weiße Haus“ am Alsterufer 27/28. Weil die USA weniger Diplomaten in Hamburg brauchen, steht der Umzug des Generalkonsulats in die HafenCity bevor. Es wird der 35. Umzug seit der Eröffnung des Konsulats durch den ersten Präsidenten der USA, George Washington.