Hamburg. 195 Bürger entscheiden über die Zukunft des Verkehrs in den Stadtteilen. Mäßige Gesprächsbereitschaft der Bewohner.
Weniger Parkplatznot, mehr Carsharing: Auf diese Ziele könnte man zwei geplante Verkehrsprojekte in Eimsbüttel und Ottensen reduzieren, mit denen von 2017 an die enervierende Parkplatzsuche für Bewohner ein Ende haben soll. Mit nachbarschaftlichen Leihwagen-Stationen für Elektroautos und ausreichend Fahrradstellplätzen will der Senat die hochverdichteten Viertel vom automobilen Druck befreien. Doch offenkundig haben wenig Anwohner Interesse, sich aktiv an dieser Befreiung zu beteiligen. Nur 195 Bewohner haben sich in beiden Pilotquartieren bisher für die projektbezogene Vorbefragung gemeldet. Für die in dieser Woche startende Interviewreihe wären 300 Teilnehmer pro Quartier möglich.
Kommentar: Alibi Bürgerbefragung
„Wir haben 90 Eimsbütteler und 105 Anwohner in Ottensen für die Mobilitätsumfrage gewinnen können“, sagt Richard Lemloh, Sprecher der Verkehrsbehörde. Im persönlichen Gespräch soll ermittelt werden, welche Verkehrsmittel die Anwohner bei welcher Gelegenheit nutzen, welche sie bevorzugen und ob ein eigenes Auto bei diesen Überlegungen eine Rolle spielt. Aus den Antworten will der Senat ableiten, welche Mobilitätsangebote künftig für die Viertel sinnvoll wären. Bisher wird davon ausgegangen, dass feste Stellflächen für Elektro-Leihautos die Parkplatzprobleme in Eimsbüttel und Ottensen lösen könnten. Die Behörde macht dabei kein Geheimnis daraus, den Anwohnern den Verzicht auf ein eigenes Auto so leicht wie möglich machen zu wollen.
Für Behördensprecher Richard Lemloh ist die bisher mäßige Gesprächsbereitschaft der Bewohner auch kein Zeichen von Unwillen. Im Gegenteil: „Wir haben bei unseren Auftaktveranstaltungen in den Vierteln durchgängig positive Rückmeldungen bekommen.“ Viele Anwohner würden dringenden Handlungsbedarf bei Parksituation und Straßenraumgestaltung sehen. Pro Quartier reichen laut Behörde schon zehn abgeschaffte Autos, um das Projekt, das im kommenden Mai umgesetzt werden soll, zum Erfolg zu führen. Je mehr, desto besser.
Kritik an Umfrage und Parkraumvernichtung
Schon nach der Ankündigung des neuartigen Versuchs hatte FDP-Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg die Befragung der Anwohner kritisiert. Da die Befragten weder zufällig noch strukturiert ausgewählt würden, sondern sich selber melden müssten, seien die Ergebnisse nicht repräsentativ. Zudem würden die Befragten nicht auf die vergleichsweise geringe Reichweite der geplanten E-Autos hingewiesen. Dennis Thering, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, forderte, „dass die Befragung der Anwohner ergebnisoffen“ erfolgt. Nicht mehr Parkplätze dürften vernichtet als für E-Autos geschaffen werden. Denn, so Thering, „es wäre falsch, Menschen in neue Mobilität zu zwingen, indem man ihnen die Möglichkeit nimmt, das Auto zu parken.“
Der ADAC hält Carsharing-Angebote zwar für eine sinnvolle Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. Allerdings, so ein Sprecher, sollte die Zahl der Carsharing-Parkplätze in Hamburg auf ein „sinnvolles Maß“ begrenzt bleiben, um den Parkplatzdruck nicht zu erhöhen. Eine aktuelle ADAC-Umfrage zeige zudem, dass nur drei Prozent der Befragten in den nächsten sechs Monaten auf Leihangebote umsteigen wollen.
Eine höhere Quote erhofft sich die Hamburger Verkehrsbehörde bei den Anwohner-Interviews in Eimsbüttel und Ottensen. Die Ergebnisse sollen Anfang 2017 vorliegen und zunächst den Bezirken Eimsbüttel und Altona vorgestellt werden. Sie dienen als Grundlage der späteren Pilotprojekte. „Sollten etwa mehr Fahrradhäuschen für Lastenräder nachgefragt werden, ist das kein Ausschlusskriterium“, so Behördensprecher Lemloh. Inwieweit dieses Mobilitätskonzept später auf andere Stadtteile übertragen werden kann, müsse der konkrete Versuch zeigen.
5000 Bewohner der zwei Viertel nutzen schon Leihautos
Schon heute ist die Zahl der Leihwagennutzer in den Untersuchungsgebieten mit ihren 16.000 Einwohnern (Eimsbüttel) und 18.000 (Ottensen) hoch. Mehr als 3200 Kunden des Carsharing-Dienstes DriveNow leben in Eimsbüttel, in Ottensen knapp 2000. Ähnliche Zahlen dürfte es bei Car2go geben. Beide Viertel sind von Parkplatzknappheit geprägt. Steigende Zulassungszahlen mit mehr als 750.000 Fahrzeugen in Hamburg verschärfen die Situation. Zehn bis 15 Parkplätze müssten für das Projekt aufgegeben werden, sagte Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD) jüngst – die Kernherausforderung bei dem Projekt.
Obwohl der Autobauer BMW den Impuls für den Modellversuch gegeben hat, versichert die Verkehrbehörde, keine Bevorzugung von Fahrzeugen der BMW-Tochter DriveNow zuzulassen. Da auch die Hochbahn mit „switchh“ beteiligt ist, werde es einen „diskriminierungsfreien Zugang“ für alle Leihwagen-Anbieter mit Elektroautos geben.
Die nun startenden Interviews werden von professionellen Marktforschern geführt, verantwortlich ist das Marktforschungsinstitut LDB Mica Research. Die Auswertung übernimmt das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das auch die Befragung entwickelt hat. Ob die Teilnehmer der Studie selbst Fahrzeuge besitzen, ob sie tatsächlich ihr Auto abschaffen und ob sich die Zahl der Wagen im Viertel wirklich verringert, werde aber nicht überprüft.
Für ein grundsätzliches Umdenken spricht allerdings, dass in den vergangenen zehn Jahren im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) 40 Prozent mehr Abonnements verkauft wurden und die Radleihe boomt. Auch die Carsharing-Anbieter der Stadt machen gute Geschäfte. Hamburgweit sprechen sowohl Car2go als auch DriveNow von jeweils mehr als 100.000 aktiven Nutzern.
Einwohner aus den Pilotgebieten Eimsbüttel und Ottensen können sich noch für Interviews anmelden, und zwar per Mail unter: mobil@steg-hamburg.de, telefonisch unter 040- 43 13 93-38/-52 oder auf der Seite www.firstmover.hamburg/gebiete/index.html