Hamburg. Das Unternehmen bietet im Jubiläumsjahr einen Stift an, der Handschrift auf dem Computer lesbar macht.

Oliver Gößler trägt weißes Hemd und dezent gemusterte Krawatte zum dunklen Anzug. Ganz klassisch. Schließlich vertritt der 40-Jährige ein Traditionsunternehmen. Schwarz und Weiß finden sich auch in dem weltbekannten Markenzeichen, einem stilisierten Gipfel des Montblancs. So weit alles nach den Regeln im hanseatischen Businessbetrieb. Aber dann zückt der Nordeuropa-Chef des Luxus-Herstellers seinen Füllfederhalter: korallenrot mit einem stilisierten Schlangenkopf als Clip. „Das ist im Moment mein Lieblingsschreibgerät“, sagt der 40-Jährige und lächelt über die kleine Extravaganz. „Er ist ganz aus Metall gefertigt. Fühlen Sie mal, wie der in der Hand liegt.“

Rouge et Noir heißt die Neuauflage des legendären Kolbenfüllers aus den 1920er-Jahren, mit der Montblanc in diesem Jahr das 110-jährige Bestehen feiert. Unter anderem. Die Uhrenkollektion 4810, in Anspielung auf die Höhe des höchsten Bergs Europas, gehört ebenfalls zur Geburtstagskollektion. Und auch im Bereich der digitalen Vernetzung experimentiert das Unternehmen, das zum Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont gehört. Gerade hat Montblanc den Notizblock Augmented Paper vorgestellt, mit dem sich Handgeschriebenes auf den Computer übertragen lässt. „Wir glauben an die Zukunft der Schreibkultur“, sagt Gößler. „Aber wir fragen uns, was wir tun können, um beide Welten zu verbinden.“

App speichert Texte und Skizzen

Auch andere Anbieter wie der Notizbuch-Spezialist Moleskine sind mit ähnlichen Produkte auf dem Markt. Bei Montblanc kommt das Gadget in schwarzer Ledermappe und speziell entwickeltem StarWalker-Schreibgerät, das mit normalen Kugelschreiber-Minen nachfüllbar ist. Kosten: 650 Euro. Aufgezeichnet werden die Notizen mit einen Digital-Übersetzer, der unter dem Papier versteckt ist. Per Knopfdruck werden Texte, Skizzen oder Kritzeleien kabellos (über Bluetooth) an eine App gesendet und gespeichert. Entscheidend ist das Erkennungsprogramm für die Handschriften. „Wir haben lange gesucht. Wir wollten etwas auf den Markt bringen, das unseren Ansprüchen gerecht wird“, sagt Oliver Gößler. Wie gut das tatsächlich läuft, hängt allerdings von der Handschrift ab. Ersten Tests von Brancheninsidern zufolge muss diese für eine fehlerfreie Übertragung schon sehr gut leserlich sein. Also wohl eher nichts für Menschen mit Sauklaue.

Um gutes Schreiben und das beste Gerät dafür geht es in der Montblanc-Manufaktur im Hamburger Stadtteil Lurup rund um die Uhr – Computern, Tablets und Smartphones zum Trotz. „Das Digitale ist inzwischen Alltag. Das Analoge wird wieder interessant. Auch weil viele Menschen sich danach sehnen“, sagt Gößler. Der Hamburger ist seit 16 Jahren bei Montblanc. Begonnen hatte er mit Aufträgen als BWL-Student, inzwischen verantwortet er als Managing Director Vertrieb, Marketing und das Boutiquennetz für Deutschland, Österreich und Osteuropa.

Die Luxusmarke macht nach seinen Angaben inzwischen hohe Umsätze mit Uhren, Lederwaren und Schmuck, aber immer noch 40 Prozent der Erlöse werden mit Schreibgeräten made in Hamburg erzielt. Geschäftszahlen werden nicht veröffentlicht. Das müsse man entschuldigen, sagt Gößler mit Hinweis auf die Geschäftspolitik der äußerst verschwiegenen Genfer Konzernzentrale. Richemont gehört zu den größten Luxusgüterherstellern der Welt, meldete für die ersten fünf Monate dieses Jahres aber Umsatzrückgänge von 14 Prozent.

Neues Konzept des Filialnetzes

Weniger zurückhaltend ist man, was das neue Konzept des Filialnetzes mit weltweit 275 Boutiquen angeht. Der Start dafür erfolgte im Dezember 2015 mit der Eröffnung des neuen Flagshipstores am Neuen Wall, der eine Verkaufsfläche von 200 Quadratmetern hat. „Hamburg ist die erfolgreichste Boutique in Deutschland“, zieht Gößler eine erste Bilanz. Die Zahl der Kunden habe sich nahezu verdoppelt. Gründe aus seiner Sicht seien das neue, edle Design – und auch der „Heimat-Bonus“ des 1906 von drei Hamburgern gegründeten Unternehmens spiele eine Rolle. Bis zum Ende des Geschäftsjahrs im März nächsten Jahres werden insgesamt 60 Filialen nach dem Hamburger Vorbild umgestaltet, im nächsten Jahr sollen 100 weitere folgen.

Alles, was dort an Füllfederhaltern, Kugelschreibern oder Druckminenstiften liegt, kommt aus der Fertigung in Hamburg. 1100 Männer und Frauen arbeiten am Montblanc-Stammsitz, mehr als die Hälfte in der Produktion. Wobei die meisten im Wortsinn Handwerker sind: 100 Arbeitsschritte sind nötig, um einen Füller mit der klassischen Goldfeder herzustellen. Die Preisspanne für das berühmte Meisterstück beginnt bei 500 Euro, für limitierte Sammler-Editionen oder brillantengeschmückte Schreibgeräte schlagen bis zu mehrere Hunderttausend Euro zu Buche.

Augmented Paper nennt Montblanc
das smarte Notizbuch
Augmented Paper nennt Montblanc das smarte Notizbuch © Montblanc

Um mehr Menschen zurück zum Schreiben mit Tinte zu bringen, gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, eine computergestützte Schreibanalyse machen zu lassen. Das Ziel: für jede Schreib-DNA die richtige Feder zu finden. Das Angebot, die Mehrkosten betragen 1200 Euro, gibt es derzeit in 17 ausgewählten Boutiquen, darunter auch in der am Neuen Wall. US-Schauspieler Silvester Stallone hat es schon genutzt, Fürst Albert II. von Monaco und der bekannte TV-Mime Hardy Krüger jr. Die meisten der 700 Analyse-Kunden kommen allerdings aus dem asiatischen Raum. Dort ist laut Gößler auch der größte Wachstumsmarkt. „Vor allem die neue Mittelschicht in China ist sehr offen für Luxus.“

Prunkstück zur Ehren von William Shakespeare

Das gilt offenbar auch für deutsche Volksvertreter. Im Spätsommer hatte die „Bild“ veröffentlicht, dass 2009 in den Büros zahlreicher Bundestagsabgeordneter auf Staatskosten edle Federn aus Hamburg bestellt wurden. Darunter das des früheren CDU-Politikers und heutige Bahnmanagers Ronald Pofalla, aber auch SPD-Grande Otto Schily und Laurenz Mayer von der CDU sollen dabei gewesen sein. Das war zwar legal, aber moralisch eher zweifelhaft. Um die Causa, die als Montblanc-Affäre wochenlang in den Schlagzeilen war, hatte es einen jahrelangen Rechtsstreit gegeben, weil Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sich weigerte, die Bestellungen offenzulegen. Seit 2010 gibt es diese Einkaufsoption nicht mehr. In der Montblanc-Zentrale will man sich dazu nicht äußern.

Es gibt ja auch Schöneres. Zum Beispiel das neue Prunkstück, das gerade zur Ehren von William Shakespeare in der Writers Edition herausgekommen ist. Die Edelfeder kommt ohne technische Spielereien aus und ist bei Sammlern sehr beliebt. Auch Montblanc-Mann Oliver Gößler, der mit Familie ganz bodenständig in Langenhorn wohnt, hat die Begeisterung fürs Produkt zum Sammler gemacht. Neben seinem korallenroten Lieblingsschreibgerät mag der Nordeuropa-Chef den Füllfederhalter, der Pinocchio-Erfinder Carlo Collodi gewidmet ist. Und natürlich hat er auch ein Meisterstück. „Damit unterschreibe ich Verträge.“