Neustadt. Zwei Nordafrikaner und ein Iraker sollen eine 18-Jährige auf St. Pauli sexuell genötigt haben. Verteidiger machen der Polizei Vorwürfe.

Raoul S. arbeitet in einem Club an der Großen Freiheit auf St. Pauli. In der Silvesternacht hatte er seine Kameraausrüstung dabei, stellte sich auf den Balkon des Gebäudes und fotografierte drauflos. Es war drangvoll eng auf der schmalen Straße. Zehntausende Menschen feierten, und Hunderte Frauen wurden in jener Nacht sexuell belästigt. So wie in Köln und Stuttgart auch. Die Silvester-Übergriffe auf junge Frauen durch vorwiegend nordafrikanische Flüchtlinge schrieben Kriminalgeschichte und sorgten bundesweit für Entsetzen. Was den Ermittlern in den anderen Städten fehlte, waren vor allem Beweismittel. Die lieferte in Hamburg Raoul S. – er stellte der Polizei Hunderte seiner Aufnahmen aus der Silvesternacht zur Verfügung.

Darauf sollen auch die drei mutmaßlichen Grapscher zu sehen sein, die seit Dienstag vor dem Landgericht stehen. Alireza N. (26), Abidi A. (24) und Aydub B. (18) sollen in der Silvesternacht eine 18-jährige Frau sexuell genötigt haben.

Anklage: Sexuelle Nötigung

Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, sollen die beiden nordafrikanischen Flüchtlinge und der Iraker auf Höhe der Bar Superfly die junge Frau mit anderen, namentlich nicht bekannten Personen umringt und körperlich bedrängt haben. Alireza N. und Aydub B. berührten sie demnach im Intimbereich und an den Brüsten, während Abidi A. sie laut Anklage am Gesäß begrapschte. Die sexuellen Handlungen, so die Staatsanwaltschaft, dienten nur einem Zweck: die ihnen schutzlos ausgelieferte junge Frau in ihrer Ehre herabzuwürdigen.

Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring lässt im Gerichtssaal auf das Format A0 vergrößerte Aufnahmen aus der Silvesternacht von den Prozessbeteiligten begutachten. Zusätzlich werden die Bilder per Beamer an die Wand des Gerichtssaals projiziert. Viel ist darauf nicht zu sehen – nur ein Gewusel von Menschen, viele Männer, vergleichsweise wenig Frauen. Mittendrin: eine junge Frau mit rotem Schal, dabei soll es sich um das 18 Jahre alte, mutmaßlich von den Angeklagten umzingelte und bedrängte Opfer handeln.

Ein Fotograf sagt als Zeuge aus

Es sei schwierig gewesen, in dem Trubel den Überblick zu behalten, sagt Fotograf Raoul S., der vor Gericht als Zeuge gehört wird. Er habe beobachtet, wie eine Frau ein von Männern umringtes Mädchen „an den blonden Haaren gepackt“ und aus dem Pulk gezogen habe. Er habe außerdem gesehen, wie eine weitere in Bedrängnis geratene Frau mit Pfefferspray um sich gesprüht habe. „Die wusste sich allerdings mit Fäusten und Tritten zu wehren“, sagt Raoul S. Ihre Peiniger hätten deshalb von ihr abgelassen.

Tathandlungen, also offensives Grapschen, habe er zwar nicht wahrgenommen, sagt der Zeuge auf Nachfrage. Doch habe sich ihm von seinem Posten aus immer das gleiche Bild geboten: „Männer, die Frauen umzingelt haben – so ging das die ganze Nacht.“ Er habe mit kleinen Unterbrechungen von 0.45 Uhr bis 2.30 Uhr fotografiert und dabei viele ausländische Männer gesehen, die „sicher nicht zum Feiern auf die Reeperbahn gekommen sind“.

Die Angeklagten streiten die Vorwürfe ab

Gegen 5 Uhr, nach der Arbeit, sei er zur Davidwache gegangen, um mit seinem Auto nach Hause zu fahren. Auf dem Weg dorthin habe er viele weinende und schreiende Mädchen gesehen. „Verzweifelte Pärchen klopften an die Scheibe und fragten, ob ich sie mitnehmen könnte“, sagt Raoul S.

Die Angeklagten streiten indes sämtliche Vorwürfe ab. Ihre Verteidiger halten das gesamte Verfahren ohnehin für eine Farce, wie aus dem „Opening Statement“ von Verteidiger Jonas Hennig hervorgeht.

Erst Anfang Juni war es Hennig und seinen Mitstreitern gelungen, das Landgericht davon zu überzeugen, die Haftbefehle gegen die drei Angeklagten mangels Beweisen aufzuheben. Sechs Wochen war das Trio auf freiem Fuß, dann kassierte das Oberlandesgericht auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin den Beschluss.

Verteidiger: Polizei hat Zeugin beeinflusst

Die Vorwürfe, die Hennig am Dienstag erhebt, sind dieselben wie vor vier Monaten: So seien dem 18 Jahre alten Opfer Wahllichtbildvorlagen viel zu spät gezeigt worden. Die Polizei habe die Zeugin durch suggestive Fragen beeinflusst und durch „unprofessionelle Vernehmungsmethoden“ großen Schaden angerichtet, während die Staatsanwaltschaft entlastenden Momenten praktisch keine Beachtung geschenkt habe.

Im ersten Prozess um die Silvester-Übergriffe in Hamburg war Mitte Mai ein 30 Jahre alter Mann freigesprochen worden. Zwei Zeuginnen hatten den Angeklagten aus Afghanistan nicht wiedererkannt. Viel hängt im aktuellen Fall nun von der Schilderung des 18 Jahre alten Opfers ab. Es soll am Donnerstag aussagen.