Hamburg. Architekten- und Ingenieurverein würdigt wegweisende Neubauten – dabei ist kein einziges Wohngebäude.
Die Auszeichnung gilt als der wohl älteste Preis der Baubranche in Hamburg: Mit dem Titel „Bauwerk des Jahres“ würdigt seit 1979 bereits der Architekten- und Ingenieurverein (AIV) die aus seiner Sicht wegweisenden Neubauten eines Jahrgangs in der Stadt und hatte seinerzeit diese Aufgabe schon von der früheren Baubehörde übernommen. Heute Abend wird diese Würdigung für 2015 fertiggestellte Projekte mit der markanten und begehrten bronzenen Fassadenplakette wieder vergeben – diesmal an das Veranstaltungszentrum Zinnschmelze in Barmbek, an das Gymnasium Hoheluft und an den Kunst- und Mediencampus Finkenau.
Auffallend dabei: Obwohl Hamburg die Schlagzahl beim Neubau von Wohnungen deutlich erhöht hat und gut 10.000 neue Wohnungen pro Jahr schaffen will, ist bei den von der Jury ausgewählten Neubauten kein einziges Wohngebäude dabei – so wie in den vergangenen beiden Jahren auch schon: „Das ist uns auch aufgefallen“, sagt AIV-Vorstandsmitglied Mathias Hein. Aber obwohl die Jury explizit nach herausragenden Beispielen dieser Kategorie gesucht habe, sei kein Kandidat dabei gewesen, der habe überzeugen können, sagt Hein. Weder aus städtebaulicher Sicht, noch als Beispiel eines technisch besonders innovativen Gebäudes.
„Wir werden das jetzt zum Anlass nehmen, die Debatte für mehr Qualität im Wohnungsbau in die Öffentlichkeit zu tragen“, kündigte Hein an.
Allgemeine Uniformität der neuen Gebäude
Grund für diesen Mangel an herausragenden Beispielen „in Zeiten des Massenwohnbaus“ sei die allgemeine Uniformität der neuen Gebäude, vermutet AIV-Mitglied Hein. Mit anderen Worten: Zwar wird überall in der Stadt gebaut, aber überall auch ziemlich gleich. Von einem „ewigen Einerlei“ spricht Hein und sieht als eigentliche Ursache den großen Markt-Druck, unter dem Ingenieure und Architekten oft stünden. „Da gilt es, angesichts der Kosten die vorhandene Fläche möglichst ganz auszunutzen.“ Und das mache man eben mit den gleichen Mitteln.
Der bereits 1859 gegründete Verein AIV steht in der Branche mit dieser Kritik im Übrigen nicht allein. So hatte kürzlich auch die Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer, Karin Loosen, vor einer „monotonen“ Quartiersarchitektur in Hamburg gewarnt.
Von den drei prämierten „Bauwerken des Jahres“ sind diesmal zwar keine neuen Wohngebäude dabei – aber gleich zwei Beispiele, wo die Planer an eine historische Bebauung angeknüpft haben: So bei dem Umbau und der Erweiterung der Kultureinrichtung Zinnschmelze in Barmbek, die eben als echte Zinnschmelze 1876 für die „New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ gebaut worden war. Das denkmalgeschützte Backsteingebäude ergänzten Architekten und Ingenieure mit einem Neubau aus dunkelbraunem Kupfer.
Entstanden sei ein Neubau, der die vorhandene Bebauung aufwertet „ohne zu vertreiben“, heißt es in der Laudatio. Dabei würdigte die Jury auch, dass trotz Zeitverzögerungen und damit verbundener Preissteigerungen an dem Entwurf festgehalten wurde, der ursprünglich in einem Architekten-Wettbewerb auch gewonnen habe. Was heute nach Ansicht der Jury sehr selten sei, wie es zurückhaltend weiter in der Laudatio heißt, und daran erinnert, dass die gezeigten Computer-Simulationen oft fantasievoller erscheinen, als das, was am Ende dann tatsächlich gebaut wird.
Zweites Bauwerk des Jahres wird mit dem Kunst- und Mediencampus Finkenau ebenfalls eine Ergänzung zu einem traditionsreichen Gebäude. Das ehemalige „Institut für Geburtenhilfe“ wurde nach den Plänen von Hamburgs legendärem Oberbaudirektor Fritz Schumacher 1914 gebaut. Heute ist es eine Art Ausbildungszentrum für Medien und Film. Fakultäten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften finden sich dort, die Hamburg Media School und der Filmbereich der Hochschule für Bildende Künste und viele verschiedene andere Institute.
Der Neubau ist nun ein neues Campusgebäude, wo unter anderem Labore, Arbeitsräume, Ton- und Lichtstudios sowie eine öffentliche Bibliothek und eine Mensa für 2000 Studenten eingerichtet sind. Wie der Altbau ist auch dieses neue Bauwerk vor allem durch Backstein geprägt. „Sein schnörkelloser Einsatz hebt seine Ursprünglichkeit hervor“, heißt es in der Preiswürdigung.
Drittes Bauwerk des Jahres wird der Erweiterungsbau des Gymnasiums Hoheluft, der Räume für rund 700 Schüler bietet. In der Preiswürdigung ist von einem „hochwertigen Gesamteindruck“ des u-förmigen Ensembles die Rede. Hervorgehoben wird dabei auch, dass die Planer auf besondere Unterrichtsanforderungen mit ihrer Architektur reagiert hätten. So habe der Kunstbereich im ersten Obergeschoss beispielsweise eine eigene Terrasse erhalten. Und der „leicht laborhafte Charakter“ der Innenräume lasse den naturwissenschaftlichen Schwerpunkt der Schule „erahnen“. Entstanden sei so ein Schulbau, der in „jeglicher Hinsicht vorbildlich und zukunftsweisend“ sei. Eine Bewertung, die sich für neue Wohnhäuser in Hamburg eben offenbar nicht mehr finden ließ.