Hamburg . 576 Handwerker im Hamburger Michel geehrt. Norbert Kröger ist der älteste Teilnehmer des Jahrgangs 2016.

Norbert Kröger packt schwungvoll den Eimer mit weißer Farbe, über die Schulter hat er eine Leiter gehängt. Dann macht er sich über sorgfältig abgeklebte Flure auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Es ist früh am Morgen und in dem Bürogebäude in Hamburg-Hamm ist viel zu tun. „Es ist eine gute Arbeit, die mir Spaß macht“, sagt Kröger. „Auch weil ich wieder alles machen kann.“

Selbstverständlich ist das nicht. Norbert Kröger ist 60 Jahre alt. Ein
Alter, in dem viele an die Rente denken. Kröger nicht. Er hat gerade seine Meisterprüfung als Maler und Lackierer abgelegt. Bei der Meisterfeier des Hamburger Handwerks war er der Älteste seines Jahrgangs, der am Montagabend zur Musik der Combo „Men in Blech“ in die Hauptkirche St. Michaelis einzog. Und auch wenn es keine gesicherte Altersstatistik gibt: So alt wie Kröger war noch kein Neu-Meister, heißt es in der Handwerkskammer. Insgesamt bekommen in diesem Jahr 576 Frauen und Männer in 27 Berufen ihren Meisterbrief. Auch das ist ein Rekord.

Für Norbert Kröger ist es ein Neustart. Im vergangenen Jahr hatte er sich entschieden, noch mal die Schulbank zu drücken – nachdem er fast zwei Jahrzehnte in einem Malerbetrieb nördlich von Hamburg beschäftigt gewesen war. „Ich habe immer gedacht, das geht bis zur Rente“, sagt der gelernte Tischler, der auch schon als Speditionskaufmann, Lastwagenfahrer und Trockenbauer gearbeitet hat. 2011 kam das böse Erwachen. Sein damaliger Chef wurde krank, schloss innerhalb von Monaten den Betrieb. Kröger stand auf der Straße – mit viel Erfahrung, aber ohne Gesellenprüfung.

„Ich hatte keine Chance auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Kröger. Niemand hätte ihm abgekauft, dass er was könne. Dazu das Alter. Er heuerte in einer Zeitarbeitsfirma an. „Aber da war ich immer der Letzte, musste fast ausschließlich die schweren Vorarbeiten wie Schleifen und Spachteln machen.“ Und das für deutlich weniger Geld als zuvor und immer mit der Angst, dass er den Job schnell wieder los sein könnte. Schließlich kündigte er selbst, und meldete sich für den einjährigen Meisterkurs an. Das war kein einfacher Schritt: Plötzlich sollten statt Streichen, Lackieren und Tapezieren Buchführung, Materiallehre, Fachrechnen und Jura seinen Tag füllen. „Ich hatte schon Befürchtungen, dass ich nicht mitkomme“, sagt der gestandene Handwerker.

Aber der Entschluss stand fest, seinem Leben noch mal eine Wende zu geben. So fest, dass er seine gesamten Ersparnisse investierte, weil das Meister-BAföG von knapp 700 Euro im Monat nicht zum Leben reichte. „Letztlich ist alles gut gegangen“, sagt Kröger und man hört den Stolz in seiner Stimme. Er sei der Klassen-Opa gewesen, Pro­bleme habe er damit aber nicht gehabt. Maximale Aufmerksamkeit, keine Fehlzeiten. „Im Unterschied zu vielen der Jüngeren wusste ich immer, warum ich das mache“, sagt er. Im Juni bestand er – kurz vor seinem 60. Geburtstag – die Prüfung im ersten Anlauf. Und bekam, direkt von der Schulbank, auch sofort einen Job.

Boom bei den Meisterprüfungen

Denn am gleichen Tag wie Kröger machte auch Martin Pochert, Inhaber eines Malerbetriebs in Hamburg-Bramfeld mit sechs Beschäftigten seine letzte Meisterprüfung. „Es ist nicht einfach, gute Leute zu finden“, sagt der 38-Jährige, der berufsbegleitend an drei Abenden in der Woche für den Titel gebüffelt hatte. Seit August arbeitet Kröger für Pochert. Zwei Meister, gibt das nicht Gerangel? Kollektives Kopfschütteln. „Jeder macht seinen Job, so gut er kann“, sagt Kröger.

Schon bald wird es zudem einen dritten Meister in dem Betrieb geben. Noch-Geselle Markus Kleeeis fehlt nur noch der Ausbilder-Kurs. Mit seinem Chef will der 33-Jährige danach eine Weiterbildung zum Restaurator im Malerhandwerk machen.

In den vergangenen Jahren gibt es laut Handwerkskammer einen Boom bei den Meisterprüfungen. Eine kammerinterne Statistik weist für 2012 noch 500 neue Meister aus. 2013 waren es 530. Nach einer kleinen Delle 2014 (517 Meister) wuchs die Zahl 2015 erneut auf 535 Meisterbriefe. Im aktuellen Jahrgang ist die Führungselite besonders stark gestiegen: um 7,7 Prozent auf 576 Titel – in absoluten Zahlen sind es 41 neue Meister. Zuwachsraten gab es bei den Kraftfahrzeugtechnikern, den Feinwerkmechanikern, den Metallbauern und bei Straßenbauern und Tischlern. Einen Rückgang verzeichneten die Friseure.

Der jüngste Neu-Meister ist Alexander Thielbörger aus Reinstorf (Landkreis Lüneburg), 19 Jahre alt und Fleischermeister. „Es gibt in diesem Jahr so viele neue Meisterinnen und Meister wie nie zuvor“, sagte Wirtschaftssenator Frank Horch vor 1600 Gästen bei der Feier im Michel. Die Handwerksbetriebe seien ein wichtiger Eckpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Stadt.

Norbert Kröger ist im Moment einfach froh, dass er es geschafft hat. „Ich kann arbeiten und weiterkommen“, sagt der 60-Jährige. Gerade hat er eine Hausfassade gestrichen, auch ein Treppenhaus für einen Auftrag ausgemessen und dann gemalert. Wenn die Probezeit vorbei ist, will er über eine Gehaltserhöhung verhandeln. Denn: Nach der Prüfung muss er einen Teil des Meister-Bafögs zurückzahlen, immerhin 5500 Euro.