Hamburg . Fast 4500 Betriebe in Hamburg brauchen in den nächsten Jahren einen neuen Chef. Viele Unternehmer machen sich zu spät auf die Suche.

Werkstatt, Mitarbeiter, Kunden – als Mirko Krüger vor knapp zwei Monaten einen Kfz-Fachbetrieb übernahm, gehörte alles dazu. Sogar der Name des früheren Besitzers. „Olaf Streng“ steht in großen Buchstaben über der Tür des BMW- und Mini-Wartungsservice in Blankenese. „Der Betrieb wird seit etwa 30 Jahren unter diesem Namen geführt. Er ist den Kunden daher ein Begriff“, sagt der 43-Jährige. Der einzige sichtbare Unterschied ist der Zusatz e. K. im Handelsregister für „eingetragener Kaufmann“. Das ist die rechtliche Absicherung für den neuen Inhaber.

Im Sommer vergangenen Jahres hatte der Kfz-Meister, der zuletzt als kaufmännischer Leiter in einem großen Autohaus in Niedersachsen gearbeitet hatte, durch Zufall die Verkaufsofferte des kleinen Handwerksbetriebs entdeckt. „Eigentlich stand eine Existenzgründung für mich nicht an“, sagt er. Aber dann begann der Fachmann für BMW und Mini doch zu recherchieren. „Es passte alles“, sagt er heute. Die Ausstattung der Werkstatt mit drei Arbeitsplätzen, etwa 1800 Stammkunden, vor allem aber der hohe Marktanteil der beiden Automarken mit 4000 Fahrzeugen im direkten Einzugsgebiet überzeugten ihn. Er startete in das, wie er sagt, „Abenteuer Betriebsübernahme“.

Ein Drittel der Betriebe haben Chefs über 55 Jahren

Was in diesem Fall zu einem guten Ende gekommen ist, steht in vielen Hamburger Handwerksbetrieben in den nächsten Jahren noch an. In der Handwerksrolle sind aktuell 4473 Unternehmen registriert, deren Inhaber oder Geschäftsführer 55 Jahre alt oder älter sind. Das bedeutet: Etwa ein Drittel der Hamburger Handwerksbetriebe stehen in den kommenden Jahren vor der Frage, ihr Unternehmen an Nachfolger zu übergeben. „Das ist ein großes Thema“, sagt Niels Weidner, der Chef der Unternehmensberatung bei der Handwerkskammer.

Und ein schwieriges Thema. Der Fachkräftemangel im Handwerk macht sich auch beim anstehenden Generationswechsel deutlich bemerkbar. „Es gibt derzeit viele gut bezahlte Jobs in den Betrieben“, sagt Weidner. Das wirke sich negativ auf die Bereitschaft aus, selbst Unternehmer zu werden. „Wir haben keine Gründerwelle.“ Die
Folge: Nachfolger werden dringend gesucht. Im vergangenen Jahr ging es bei den 800 Betriebsberatungen bei der Handwerkskammer in etwa jedem vierten Fall um einen Betriebsübergang und eine Nachfolgeregelung. Der Anteil solcher Beratungen steigt.

Wenn es keinen Nachfolger in der Familie des Betriebsinhabers gibt und ein Übergang an einen oder mehrere Mitarbeiter keine Option ist, geht es zumeist darum, einen geeigneten Käufer zu finden. „Das ist die erste große Hürde“, sagt Betriebsberater Weidner. „Denn für die meisten Inhaber geht es auch darum, das Lebenswerk in gute Hände zu übergeben. Da spielen viele Emotionen mit.“

Ein Prozess des Loslassens ist notwendig

Das ist auch bei Ludwig Hiltmeyer so. Vor 20 Jahren hatte der Elektromeister den alteingesessenen Betrieb Elek­tro Henn e. K. in Hamburg-Lokstedt übernommen. Jetzt sucht der 67-Jährige selbst einen Nachfolger. Das ist schwieriger als gedacht, ein Interessent ist kurz vor Vertragabschluss abgesprungen. „Es muss jemand sein, der die Arbeit kennt und auch mal mit anpackt“, sagt Hiltmeyer. Wichtig ist ihm auch, dass seine drei Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden. Möglicherweise muss der neue Inhaber auch eine neue Werkstatt suchen, weil das derzeitige Gebäude verkauft werden soll. Bis Ende des Jahres will Hiltmeyer einen Nachfolger gefunden haben. Sollte das nicht klappen, sagt er, überlege er, den Betrieb zu schließen.

Die Handwerkskammer bietet auf ihrer Internetseite eine „Betriebsbörse“, auf der sich Unternehmen präsentieren können, die einen Nachfolger suchen. Ähnlich funktioniert auch die Unternehmensbörse „nexxtchange“, die vom Bundeswirtschaftsministerium mit mehreren Kooperationspartnern betrieben wird. „Wir raten dazu, die Nachfolgesuche frühzeitig anzugehen, möglichst schon ab 55 Jahren“, sagt Handwerkskammer-Berater Niels Weidner.

Sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen, fällt vielen Unternehmen aber offensichtlich schwer. Knapp die Hälfte der Unternehmensinhaber ist nach einer Umfrage nicht rechtzeitig auf die Nachfolge vorbereitet. „In vielen Betrieben wird zwar darüber gesprochen, aber es wird nicht umgesetzt“, sagt Werner Vogel, der sich mit seinem Unternehmen Generationen, Nachfolge, Management (gnm) als Prozessbegleiter für Nachfolgeregelungen spezialisiert hat. Der 70-Jährige weiß, wovon er spricht. Er hat in den vergangenen Jahren selbst ein Beratungsunternehmen übergeben. „Es ist ein Prozess des Loslassens“, sagt Vogel, zu dessen Kundenkreis kleine Handwerksbetriebe genauso gehören wie hoch spezialisierte Mittelständler. „Die Problemstellungen sind in jedem Betrieb anders, aber es gibt wiederkehrende Muster.“

Die Handwerkskammer berät kostenlos

Dazu gehört auch das Ringen um den Kaufpreis. „Oft haben Betriebsinhaber überhöhte Preisvorstellungen, weil sie mit dem Erlös auch ihre Altersvorsorge finanzieren müssen“, sagt Niels Weidner von der Handwerkskammer. Auf der anderen Seite stehen die Nachfolger, die das Unternehmen in die Zukunft führen sollen und oftmals nur über begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten verfügen. Deshalb bieten die Handwerkskammern bundesweit eine neutrale und kostenlose Unternehmensbewertung an.

Auch bei der Betriebsübernahme des Blankeneser Kfz-Betriebs Olaf Streng war der Preis ein Thema. „Es gab Differenzen“, sagt der neue Chef Mirko Krüger. Schritt für Schritt hätten er und der Verkäufer sich angenähert. Grundlage für den Kaufpreis im mittleren sechsstelligen Bereich war die Bewertung der Handwerkskammer. „Bei den Nachverhandlungen haben wir noch mal die Karten auf den Tisch gelegt“, sagt Krüger, der sein Zukunftsprojekt über ein Programm der Hamburgischen Investitions- und Förderbank finanzierte.

Danach lief es fast nach Lehrbuch. Firmengründer und Nachfolger verabredeten eine mehrwöchige Übergangsphase, in der sie eng zusammenarbeiteten. „Es gab keine Probleme, meinem Vorgänger ging es darum, dass der Betrieb weiter besteht. Da ist viel Herzblut drin“, sagt Krüger. Inzwischen hat er schon einen neuen Mitarbeiter eingestellt. „Die Inhaberrolle fühlt sich gut an“, sagt er. Einige Veränderungen hat er bereits eingeleitet. Die Homepage ist grunderneuert, seit Kurzem gibt es auf der Internetseite auch einen Online-Termin-Planer. Ganz modern, unter dem bekannten Namen.

Die Betriebsberatung der Handwerkskammer, das kostenfreie Beratungsangebot für Existenzgründer und Betriebsinhaber im Handwerk, ist unter der Telefonnummer 040/359 05-361 (Terminvereinbarung) erreichbar.