Hamburg . Das System ist denkbar einfach: Zehn Minuten haben die jungen Leute Zeit, sich bei den Unternehmen zu präsentieren.

Ein Jahr lang hat sie gejobbt – jetzt weiß Lena Molitor, was sie will: einen Ausbildungsplatz, am liebsten „was mit Medien“, sagt sie. Ein bisschen aufgeregt sitzt die 21-Jährige im Großen Börsensaal der Handelskammer und wartet, in der Hand ihre Mappe: „Ich habe schon fast 40 Bewerbungen geschrieben, aber bislang hat noch nichts gepasst.“ Jetzt will sich die Rahlstedterin, die 2015 Abitur gemacht hat, direkt bei Firmen vorstellen. „Das ist eine Chance, weil man im persönlichen Gespräch mehr erklären kann, auch wenn das Zeugnis nicht ganz so gut ist.“

Mehr als 420 junge Hamburger sind zum Azubi-Speeddating gekommen, ihnen gegenüber sitzen an diesem Dienstagvormittag die Personalverantwortlichen von 64 Hamburger Unternehmen – vom Klinikkonzern Asklepios über die Deutsche Bahn, die Drogeriekette dm bis zum Bauunternehmen Otto Dörner. „Unser Ziel ist es, für den Ausbildungsbeginn im Sommer noch möglichst viele Plätze zu vermitteln“, sagt Fin Mohaupt, der bei der Handelskammer für die Aus- und Weiterbildungsberatung zuständig ist.

Derzeit weist die Lehrstellenbörse 970 offene Lehrstellen in der Hansestadt aus. „Das sind überraschend viel“, so Mohaupt. Im vergan­genen Jahr seien zu diesem Zeitpunkt gut 150 Stellen weniger zu besetzen gewesen. Die meisten Ausbildungsplätze sind demnach in folgenden Berufen frei: Kaufmann/-frau im Einzelhandel (115), Büromanagement (93), Fachinformatiker (79), Fachkraft für Lagerlogistik (48), Fachkraft für Spedition- und Logistikdienstleistungen (44). Aber auch Verkäufer, Köche, Lageristen und Hotelkaufleute werden gesucht. Ähnlich die Situation im Handwerk: Aktuell gibt es laut Handwerkskammer 517 freie Plätze. Der Gesamtüberblick bei der Arbeitsagentur zeigt, dass Ende Mai 4434 offene Lehrstellen registriert waren. Damit war sechs Wochen vor Beginn der Sommerferien etwa die Hälfte der insgesamt für das Ausbildungsjahr 2016 in Hamburg gemeldeten 9973 Stellen noch zu haben.

Patrick Nehr, 23, studiert derzeit noch
Sport in Hamburg
Patrick Nehr, 23, studiert derzeit noch Sport in Hamburg © HA | Bodig

Im Prinzip also beste Aussichten für Bewerber. Das merkt auch Patrick Nehr bei seinen Blitzbewerbungsgesprächen. Im Moment studiert der 23-Jährige noch Sport an der Universität Hamburg. „Aber mir ist klar geworden, dass das nichts für mich ist“, sagt er. Der Pinneberger, der in frisch gebügeltem Hemd und heller Hose erschienen ist, sucht jetzt eine neue berufliche Perspektive im kaufmännischen Bereich. Im Internet hat er sich über die Unternehmen informiert, mit denen er sprechen möchte. Auf der Wunschliste stehen die Postbank, die Sparkasse Holstein und der Kupferproduzent Aurubis.

Dabei ist das System denkbar einfach: Zehn Minuten haben die jungen Leute Zeit, sich bei den Unternehmen zu präsentieren. Im besten Fall läuft es so gut, dass ein Vorstellungstermin vereinbart wird. In früheren Jahren gab es sogar Fälle, in denen direkt ein Ausbildungsvertrag unterschrieben werden konnte. Allerdings gibt es Limits. Wenn die große schwere Glocke schlägt, muss gewechselt werden. Bis zu drei Bewerber sitzen jeweils auf der Wartebank direkt gegenüber den Personalern.

Beim Logistikdienstleister Kühne + Nagel wartet Ausbildungsleiter Christian Preis auf Interessenten. Im Angebot hat er freie Ausbildungsplätze für Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistungen, Fachlageristen, im Büromanagement und für Berufskraftfahrer. Das Unternehmen war bereits in den beiden Vorjahren beim Azubi-Speeddating dabei. „Das ist eine gute Sache, man kann sich schnell einen ersten Eindruck verschaffen“, sagt Preis. 2015 wurden über diesen Weg letztlich sieben Ausbildungsverträge geschlossen, im Jahr zuvor waren es fünf. Dazu kamen diverse Praktikumsplätze. „Eigentlich war in allen Fällen schon beim Speeddating klar, dass das passt.“

Auch das Empire Riverside Hotel und das Hotel Hafen Hamburg haben noch freie Ausbildungsplätze. „Ich hatte schon einige Gespräche, aus denen etwas werden könnte“, sagt Julian Fröhlich aus der Personalabteilung der Hotels im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Insgesamt beschäftigen die beiden Häuser etwa 30 Azubis für die Berufe Hotel- und Restaurantfachleute sowie Köche. Das Unternehmen ist zum ersten Mal beim Speeddating vertreten. „Das ist für uns interessant, weil man viele Bewerber auf einen Schlag sieht“, sagt Fröhlich. Auch im Hotelfach ist es schwieriger geworden, Auszubildende zu finden. Von den rund zehn Plätzen pro Jahrgang im Empire Riverside Hotel sind aktuell noch drei bis vier zu besetzen.

Regine Rosenau läutet die Glocke zum
Wechsel beim Speeddating
Regine Rosenau läutet die Glocke zum Wechsel beim Speeddating © HA | Bodig

In der Handelskammer ist es im Laufe des Vormittags deutlich voller geworden. Zielsicher steuern die Bewerber die Unternehmen an, die sie interessieren. Junge Frauen mit Kopftuch befinden sich genauso darunter wie Jugendliche in Anzug, Hemd und Krawatte. „2015 sind 58 Verträge nach dem Speeddating geschlossen worden“, sagt Fin Mohaupt von der Ausbildungsberatung. Wie viele es in diesem Jahr sind, wird sich in den nächsten Wochen herausstellen. Für alle Interessierten, die diesen Termin verpasst haben: Am 22. Juni bietet die Arbeitsagentur eine Ausbildungsmesse an, auf der 45 Hamburger Unternehmen ausschließlich Lehrstellen für Abiturienten anbieten.

Lena Molitor und Patrick Nehr gehen an diesem Tag mit der Hoffnung nach Hause, sich einige Chancen verschafft zu haben. „Ich habe in einer halben Stunde drei gute Gespräche geführt“, sagt der Pinneberger Nehr. Spontan hat er sich auch in die Warteschlage bei der Debeka Versicherung eingereiht. „Das war positiv. Gut fand ich, dass es nicht nur um Fakten ging, sondern auch um Menschliches“, sagt er. Auch Lena Molitor hat ihre Bewerbungsmappen nach Gesprächen bei verschiedenen Werbeagenturen abgegeben. „Ich bin gut ins Gespräch gekommen“, sagt sie. „Die wollen sich in den nächsten zwei Wochen bei mir melden.“